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Magazin Mitbestimmung

: Zwischen Zuversicht und Zukunftsangst

Ausgabe 07/2006

Die NRW-Landesregierung baut die Forschungslandschaft um. Außeruniversitäre Institute sollen unter das Dach der Hochschulen. Für manche Beobachter nur Sparmaßnahmen - andere vermuten auch politische Motive.



Von Christoph Mulitze
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf.



Die Einladung kam nicht überraschend. Als der nordrhein-westfälische Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) Ende 2005 zum Gespräch bat, wussten die Chefs der außeruniversitären Forschungsinstitute schon, worum es ging: um die Umstrukturierung der Forschungslandschaft in NRW. "Wir kannten die Pläne der neuen Landesregierung", sagt Jörn Rüsen, Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen. Pinkwart habe seine Pläne, die Forschungsinstitute spätestens zum 1. Januar 2007 an die Universitäten anzuschließen, nur näher erläutert.

Die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf setzt den Rotstift bei den hochschulfreien Forschungseinrichtungen an. Deren Landeszuschüsse werden gekürzt, wobei die Höhe der Einschnitte noch offen zu sein scheint. Um die Institute trotzdem am Leben zu halten, sollen sie sich universitäre Träger suchen. Ob die forschungspolitischen Vorstellungen der NRW-Regierung allerdings allein von der schwierigen Situation im Landeshaushalt geprägt sind, ist umstritten. "Das ist eine ordnungspolitische Entscheidung", meint Gerhard Bosch, Vizepräsident am Institut Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen, das von der geplanten Umstrukturierung betroffen ist.

Eingegliederte Institute wären von den Hochschulen gut zu kontrollieren, sagt ein Mitarbeiter aus dem Ministerium, der nicht namentlich zitiert werden möchte. Er hat keinen Zweifel am eigentlichen Motiv: "Die Koalition, insbesondere der liberale Teil, hat den arbeitnehmerorientierten Instituten den Kampf angesagt, denn vor allem gegen diese richten sich die Kürzungen." Die Lage fast aller 20 betroffenen Einrichtungen ist prekär, ihre finanzielle Zukunft ungewiss und ihr Überleben daher fraglich.

Denn es ist kaum vorstellbar, dass die nordrhein-westfälischen Hochschulen alle Institute integrieren können (und wollen), weil auch ihre Geldtöpfe gedeckelt sind. Wer also bei den Unis anklopft, sollte am besten schon seine eigene Finanzierung weitgehend geklärt haben. Doch nicht nur am fehlenden Mammon drohen Verhandlungen zu scheitern.

"Die Hochschulen haben strukturelle Probleme, wenn sie ein interdisziplinäres Institut übernehmen. Das hängt damit zusammen, dass sie aus Einzelfakultäten bestehen. Die Eingliederung eines großen Instituts, wie es das IAT ist, würde das Gewicht zugunsten der das Institut übernehmenden Fakultät verschieben. Das sähen die anderen Fakultäten natürlich nicht gerne", erläutert Bosch eine Schwierigkeit bei der Suche nach einem universitären Partner.

Die Uni Bochum wollte nur einzelne IAT-Mitarbeiter übernehmen

Eine Einigung mit der Uni Bochum scheiterte, weil diese nur einzelne Mitarbeiter übernehmen wollte. Um eine Teilung kam das IAT trotzdem nicht herum: Einige Institutsbereiche werden künftig zur Universität Duisburg-Essen gehören, andere zur Fachhochschule Gelsenkirchen, die sich vor allem für zwei Schwerpunkte des IAT interessierte: Gesundheitswirtschaft und innovative Räume. Damit hofft die Fachhochschule, sich in regionaler Innovation zu profilieren.

Die Teilung des IAT kommt einer Zerschlagung gleich. Das Institut wird in zwei Jahren den Wissenschaftspark in Gelsenkirchen verlassen. Für die Stadt ist das eine mittlere Katastrophe: Denn das IAT ist das Vorzeige-Institut, eines der wenigen Zugpferde für den schleppenden Strukturwandel in der Stadt mit der nach Bremerhaven höchsten Arbeitslosenquote in Westdeutschland.

"Wir wissen nichts Konkretes, haben nichts Schriftliches über Kürzungen, unsere Finanzen sind völlig ungeklärt", sagt Bosch. Von 2002 bis 2005 sanken die Landesmittel von 3,7 auf 2,76 Millionen Euro. Die Drittmittelgeber im Jahr 2004 waren: die Landesregierung mit 800.000 Euro, die Bundesregierung mit 150.000 Euro, diverse Stiftungen mit 250.000 Euro, die Europäische Union mit 650.000 Euro, Unternehmen und Sonstige mit 750.000 Euro.

Zu den wichtigsten Forschungsbereichen gehören Arbeitszeit und Arbeitsorganisation, Entwicklungstrends des Erwerbssystems sowie Flexibilität und Sicherheit. Bosch: "Wir haben einen guten Ruf, sind bundesweit anerkannt, auch auf Arbeitgeberseite." Trotzdem ist völlig offen, ob das IAT weiterhin IAT heißen wird. Möglicherweise wird es zu einer Namensänderung kommen. Bosch erwartet auch, dass das Institut seinen Charakter verändern wird. "Wir sind Fremdkörper in einer Uni, die in Fakultäten arbeitet und denkt." Fakultäten in der Uni haben ihre feste Disziplin, die hochschulfreien Institute aber arbeiten meistens interdisziplinär. "Die Entwicklung macht uns nicht glücklich. Das Institut ist für mich ein Lebenswerk", sagt Bosch.

Ellen Hilf, stellvertretende geschäftsführende Direktorin am Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs), äußert sich über die Zukunft ihres Instituts vorsichtig optimistisch. "Nach gegenwärtigem Stand werden wir erhalten bleiben. Wir befinden uns in aussichtsreichen Gesprächen mit der Universität Dortmund", sagt sie.

Auch für die sfs gilt: Zum Jahresbeginn 2007 muss die Neuordnung des traditionsreichen Instituts, das bereits 1946 gegründet wurde, abgeschlossen sein. Seine Besonderheit: die starke Verzahnung von Praxis und Wissenschaft. Die Arbeitsforschung orientiert sich am Berufsalltag. Die sfs untersucht die Folgen der Multimedia-Technologie und beschäftigt sich mit frauenspezifischer Arbeitsmarktpolitik, mit Gesundheitspolitik und der Zukunft der Mitbestimmung.

Ellen Hilf kritisiert wie Bosch, dass sie bislang nichts Schriftliches in der Hand hat. Die sfs wäre gern selbständig geblieben, aber man kann sich auch vorstellen, in anderer institutioneller Form weiterzuarbeiten. "Wir nehmen die Äußerung von Minister Pinkwart ernst, dass es nicht um die Zerschlagung der Institute geht, sondern um ihre Weiterentwicklung", sagt Hilf. Da keine Uni gezwungen werde, Institute aufzunehmen, könne über einvernehmliche Lösungen verhandelt werden.

Hilfs Zuversicht hängt vermutlich damit zusammen, dass die sfs schon im vergangenen Jahr zu zwei Dritteln eigenfinanziert war: 1,2 Millionen Euro Landesmittel standen in 2005 rund 3,5 Millionen Euro Drittmitteln gegenüber. Auftraggeber waren die Europäische Union und der Bund, deren Anteil an den Drittmitteln zusammen bei 78 Prozent lag, sowie Landesministerien, Stiftungen, Verbände, private und öffentliche Unternehmen.

Ellen Hilf geht nicht nur davon aus, dass der Mitarbeiterstamm von zurzeit 75 Beschäftigten gehalten werden kann, sondern hofft auch, dass die eigene Betriebskultur fortbestehen wird. "Wir sind keine hierarchische Organisation; es gibt eine Geschäftsführung und sehr eigenständige Forschungsbereiche. Uns ist das Miteinander wichtig, auch in der gegenwärtigen Umbruchsituation."
Manche Institutschefs zeigen Zuversicht, andere eher Zukunftsangst. Beides hat das KWI zunächst einmal hinter sich.

Das liegt daran, dass seine Neuorganisation bereits in trockenen Tüchern ist. Noch in diesem Jahr soll es aus dem Verbund des Wissenschaftszentrums herausgelöst werden und als eigenständiges Institut in die Trägerschaft der drei Ruhrgebietsuniversitäten Duisburg-Essen, Dortmund und Bochum übergehen. "Wir sind über diese Lösung nicht unglücklich", sagt KWI-Präsident Rüsen, "denn eine stärkere Anbindung an die Hochschulen, mit denen wir schon einige größere Projekte umgesetzt haben, hatten wir ohnehin im Fokus."

Hintergrund für diese Überlegungen war, dass die letzte SPD-geführte Landesregierung den drei Instituten am Wissenschaftszentrum (IAT, KWI und Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie) die Fördergelder in den vergangenen drei Jahren um mehr als 30 Prozent gekürzt hatte.

Wenn kein Geld gestrichen wird, ist das schon Fortschritt

"Auch mit der Neustrukturierung des Wissenschaftszentrums mit einem Senat, der den Institutionen vorgeordnet ist, waren wir unzufrieden", sagt Rüsen. "Deshalb haben wir die Neuordnung als Chance gesehen, das KWI langfristig auf ein sicheres Fundament zu stellen." Sicheres Fundament heißt: Es wird sich finanziell nichts ändern, was schon als Fortschritt gewertet wird. "Denn die Kürzungen beim Wissenschaftszentrum wären weitergegangen, da bin ich mir sicher", so Rüsen.

Nun bleibt der Name KWI erhalten, der derzeitige Standort in Essen-Mitte auch, und kein Personal wird abgebaut. "Wir müssen keinerlei Abstriche in Kauf nehmen. Wie gewohnt weiterzuarbeiten ist eine ordentliche Perspektive", findet Rüsen, der allerdings einschränkt: "1998 habe ich in dem Amt begonnen. Damals konnten wir noch forschen, die Finanzierung war gesichert. Heute müssen wir mehr das Geld als die Forschung im Auge behalten. Das ist eine sehr traurige Entwicklung."

Ob das Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipation (FIAB) 2007 überhaupt noch forschen kann, ist zurzeit ungewiss. "Wir haben am 30. Dezember 2005 durch das Ministerium schriftlich mitgeteilt bekommen, dass wir zwei Tage später keinen Cent mehr an Landesmitteln bekommen", sagt FIAB-Institutsdirektorin Karin Derichs-Kunstmann. Quasi zur Entschädigung habe das FIAB ein Landesprojekt für zwei Jahre erhalten, das aber nicht annähernd an die bisherigen Zuwendungen reiche.

Ohne FIAB würde eine Einrichtung fehlen, die grundlegend zu Globalisierung, Zukunft der Arbeit, sozialer und politischer Partizipation forscht und Konzepte für die politische und berufliche Bildung und Weiterbildung entwickelt - auch dies aus Arbeitnehmersicht. Zuständig fürs FIAB ist nicht das Innovationsministerium, sondern seit 2004 das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales unter Karl-Josef Laumann (CDU).

Schon für 2004 und 2005 wurden dem FIAB die Landesmittel, die 2003 noch 500.000 Euro betrugen, um jeweils 20 Prozent gekürzt - nun steht die Null. "Drittmittel machen bereits im Jahr 2005 mehr als 70 Prozent unseres Etats aus", sagt Derichs-Kunstmann. Noch zu wenig. 90 Prozent sind notwendig. Die restlichen zehn Prozent nimmt das Aninstitut, das zur Ruhr-Universität Bochum gehört, aber eine externe, rechtlich eigenständige Einrichtung ist, durch Mitgliedsbeiträge ein.

Im Gegensatz zum FIAB ist die Technikberatungsstelle (TBS) beim DGB NRW ohne Kürzungen im laufenden Jahr davongekommen. Der CDA-Vorsitzende und zuständige Minister Laumann weiß, dass weitere Einschnitte für die TBS vermutlich das Aus bedeutet hätten - und ihm deshalb die eigene Gewerkschaft, die IG Metall, aufs Dach gestiegen wäre. "Das operative Geschäft ist eben wichtiger als die Forschung", sagt dazu ein Kenner der NRW-Forschungslandschaft, der nicht genannt werden möchte.

Auch die Zuwendungen an die TBS wurden in den vergangenen beiden Jahre um jeweils 20 Prozent (bis auf 1,5 Millionen Euro 2005) gestrichen - durch eine rot-grüne Regierung, was die Seele vieler Gewerkschafter besonders geschmerzt haben dürfte. "Wir konnten darüber nicht großartig diskutieren, weil bei allen institutionell geförderten Einrichtungen gleichermaßen gespart wurde - obwohl wir gut gearbeitet und vorbildlich gewirtschaftet hatten", sagt Jürgen Grumbach, Leiter der TBS NRW.

Der damals verantwortliche Minister Harald Schartau hatte gehofft, die TBS könnte die erwirtschafteten Eigeneinnahmen so steigern, dass die Einschnitte nicht zu spüren sind. Tatsächlich sanken die Eigeneinnahmen zwischen 2003 und 2004 von 1,419 Millionen auf 1,337 Millionen und die Drittmittel im gleichen Zeitraum sogar von 1,04 Millionen auf 819.000 Euro. Die Folge: Drei von sechs TBS-Standorten wurden geschlossen - Köln, Hagen und Münster - und 9,5 Stellen im Verwaltungs- und 4,5 Stellen im Beraterbereich gestrichen. Außerdem trennte sich die TBS von Bildungsräumen, weil sich ihre Arbeit zunehmend in die Betriebe verlagert hat.

Die TBS hat sich auf Technologie- und Organisationsberatung bei Innovations- und Veränderungsprozessen spezialisiert. Ihre Zielgruppe sind Betriebs- und Personalräte, Arbeitnehmer sowie Führungs- und Fachkräfte. Grumbach erläutert: "Wir haben uns auf die neuen Gegebenheiten eingestellt, unsere Leistungsangebote erhalten, die Reorganisation gut überstanden." Mit den künftigen Standorten Dortmund, Düsseldorf und Bielefeld sei die TBS regional gut vertreten. Minister Laumann kenne die Bedeutung der  Gewerkschaften und der Interessenvertretungen im Betrieb sehr genau, sagt Grumbach.

Das klingt wie eine Aufforderung, dem liberalen Koalitionspartner auch bei den nächsten Haushaltsberatungen die Stirn zu bieten: Schon in der Opposition hatte die FDP im Landtag durch Anfragen an die SPD-Grünen-Regierung deutlich gezeigt, was sie von der TBS hält: gar nichts. Zehn Tage vor Redaktionsschluss wurde das FDP-geführte Innovationsministerium um eine Stellungnahme gebeten, wie es sich die Zukunft der noch hochschulfreien, zumeist arbeitnehmerorientierten Forschungsinstitute vorstellt. Die Anfrage blieb unbeantwortet.

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