Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Wachstum ohne Haustarif
UNTERNEHMEN Das Windkraftunternehmen Repower zählt zu den großen Spielern in der Branche und schafft jedes Jahr neue Arbeitsplätze. Aber über die Löhne verhandelt jeder allein.
Von JÖRN BREIHOLZ, Journalist in Hamburg/Foto: ullstein bild
Dichte graue Wolkenknäuel ziehen von der Nordsee Richtung Festland, Wellen klatschen an die Kaimauern des Husumer Hafens, die Haare auf den Köpfen wirbeln durcheinander. Es ist der Wind, der in der grauen Stadt am Meer vieles in Bewegung setzt. Hier an der strukturschwachen Westküste Schleswig-Holsteins ist der Wind Synonym für Aufschwung. Welt-Windhauptstadt nennt sich das nur 23?000 Einwohner zählende Husum. Die zweieinhalbtausend Arbeitsplätze in den Produktionshallen, in kleinen Planungsbüros, bei Zulieferern und Versicherern bestreiten die Hälfte der Grundsteuereinnahmen. Ohne Wind wäre die Stadt pleite.
DER BODEN GIBT UNTER DER LAST DER BAUTEILE NACH_ Zwei Global Player produzieren in Husum - der dänische Weltmarktführer Vestas Wind Systems A/S und die Repower Systems AG, die Nummer drei in Deutschland. Repower segelt derzeit unter starkem Wind Richtung Offshore und Wind-Großkraftwerke. Im ersten belgischen Offshore-Windpark will das norddeutsche Unternehmen insgesamt sechs Fünf-Megawatt-Anlagen installieren, zwei sind bereits fertig.
Kaum etwas boomt derzeit mehr als die Windenergiebranche. Das freut auch die Aktionäre. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern lag im Jahr 2007 bei knapp 30 Millionen Euro. Repower konnte im letzten Jahr Aufträge von etwa 1300 Megawatt akquirieren. Das entspricht 860 Windrädern mit einer Leistung von jeweils 1,5 Megawatt. Ende August notierte die Aktie bei mehr als 210 Euro - ein Fünfjahreshoch. Eine mächtige Gondel nach der anderen reiht sich auf dem Außenareal der Repower-Werft aneinander.
Gondeln nennt man die Herzstücke der Windkraftanlagen, die die Techniker von Repower hier in Husum zusammensetzen. In dem Verbindungsstück zwischen den Rotorblättern und dem Mast wird der Wind, der die Rotorblätter treibt, zu Strom. Weil sich immer mehr und immer schwerere Gondeln, Masten und Rotorblätter auf dem Husumer Repower-Gelände stapeln und auf den darunterliegenden Marschboden drücken, müssen Untergrund und Spundwand jetzt verstärkt werden. "Ganz schön bröckelig alles hier", sagt Wolfgang Vockamm, Lagerist bei Repower. Der 55-Jährige zeigt auf den rissigen Zementboden. "Das muss neu gegossen werden, sonst landet die ganze Soße bald im Hafenbecken."
Der geschundene Boden ist einerseits ein gutes Zeichen. Weil er zeigt, wie voll die Auftragsbücher sind. Aber auch ein schlechtes. Weil die großen, die Fünf-Megawatt-Anlagen für den Offshore-Betrieb draußen auf den Meeren hier in Husum nicht mehr gebaut werden können. Sie sind noch schwerer und viel zu sperrig, um über die Bundesstraße transportiert zu werden. Die Zukunft ist in Husum also vielleicht auch schon wieder ein Stück vorbei. Und so werden die Offshore-Riesen nicht in Husum, sondern am neuen Standort Bremerhaven gebaut, mit ausreichend Wassertiefe für den Transport direkt auf dem Wasser.
Wolfgang Vockamm und seine beiden Kollegen Dirk Rohde und Karsten Thiele haben die Auf und Abs der Windenergie in den vergangenen zehn Jahren in Norddeutschland mitgemacht. So schnell wie aus einem Lüftchen ein Sturm erwachsen kann, so schnell dreht sich derzeit die Windbranche. "Bis vor kurzem war das hier oben noch eine urdeutsche Angelegenheit", sagt Karsten Thiele. Das ist vorbei. Nach einer Bieterschlacht mit dem französischen Atomunternehmen Areva hat der Inder Tulsi Tanti mit seinem Windenergiekonzern Suzlon die Aktienmehrheit bei Repower übernommen.
Es ist der nächste Konzentrationsschritt in der sieben Jahre jungen Geschichte Repowers. Mit Suzlon übernahm die Nummer fünf auf dem Weltmarkt die Nummer acht. Und von den Repower-Mitarbeiteraktien hat der Konzern auch schon einen Teil geschluckt. Bei einem Angebot von 150 Euro für eine 50-Euro-Aktie konnten viele Beschäftigte nicht Nein sagen. Heute, ein Jahr später, kostet das Wertpapier schon wieder mehr. Tanti ist in Indien in die Windenergie eingestiegen, als er Textilfabrikant war und keinen fand, der ihm ausreichend Strom liefern konnte.
Zwar lassen sich seine kleineren indischen Suzlon-Fabrikate bisher mit den Hochleistungsanlagen von Repower nicht vergleichen. Aber er scheint fest entschlossen, die Wertschöpfungskette zu verlängern. Tanti hat auch schon einen belgischen Getriebehersteller und einen österreichischen Generatorproduzenten gekauft. Vor Abwanderung von Arbeitspaketen hat man in Husum bisher noch keine Angst. Mit zehn Prozent Gesamtkostenanteil sind die Personalkosten in der Windenergiebranche eher gering.
Repower hat Niederlassungen und Joint Ventures in zehn Ländern auf vier Kontinenten. Und die deutschen Servicetechniker betreuen Anlagen rund um die Welt. Derzeit brummt der Laden, aber die Branche steckt auch in einem harten Konzentrationsprozess. Repower-Mitarbeiter Karsten Thiele hat das selbst erfahren. Früher hat er beim nordrhein-westfälischen Windanlagenhersteller Frisia gearbeitet und dort eine Insolvenz miterlebt. Vier Jahre ist es nun her, dass auch die Repower-Belegschaft auf Lohn verzichten und zusätzliche Stunden schieben musste.
Sonst hätten die Banken vielleicht den Hahn zugedreht. Heute macht der Laden fast eine Viertelmilliarde Euro Umsatz - im Quartal. Das ist anderthalb mal so viel wie noch im Vorjahr. Für 30 Windparks hat die Bundesregierung schon einmal Raumordnungspläne in Nord- und Ostsee aufstellen lassen, verkündete Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee im Sommer dieses Jahres. Er sprach von einer Investition von 30 Milliarden Euro. Da wird auch für Repower ein schönes Stück vom Kuchen der bis 2030 avisierten 25?000 Megawatt dabei sein.
VOCKAMM STEHT FÜR DIE IG METALL_ Wolfgang Vockamm, gelernter Klempner und überzeugter Gewerkschafter, hat im Husumer Hafen fast sein ganzes Berufsleben verbracht. 25 Jahre in der Husumer Schiffswerft (HSW), die auch schon Windkrafträder baute, jetzt seit ein paar Jahren bei Repower. Bei der HSW musste er zuletzt als Betriebsratsvorsitzender die Insolvenz abwickeln. Das kostete viele schlaflose Nächte.
"Wir haben für alle 316 Kollegen einen Ersatzarbeitsplatz gefunden", sagt er. Er selbst kam mit fünfzehn HSW-Kollegen bei dem Dithmarscher Unternehmen Jacobs Energie aus Heide unter, das bald mit zwei weiteren Unternehmen zu Repower verschmolz. So wurden Vockamm und Rohde Kollegen. Rohde war bei Jacobs dabei und hat Wolfgang Vockamm als Betriebsratsvorsitzenden vor anderthalb Jahren beerbt. "Früher, bei der HSH, hatten wir 95 Prozent Organisationsgrad", erzählt Vockamm stolz.
Mit seinem Blaumann unterscheidet er sich schon optisch von seinen Nachfolgern. "Als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender kriegt man wohl nicht seinen Traumjob. Ich bin jetzt Lagerarbeiter", meint er lakonisch, schiebt aber schnell nach: "Ich wäre traurig, wenn ich in der EDV arbeiten würde." Es ist klar, wen er damit meint - seine beiden Nachfolger, denen das fremd ist, was für ihn immer wichtig war: die Treue zum Kollektiv, zur Gewerkschaft, die Sicherheit bot und Pleiten abfederte.
BETRIEBSRAT OHNE GEWERKSCHAFT_ "Wenn man so schnell wächst wie wir, bleibt der Schreibkram auf der Strecke", sagt Dirk Rohde, der neue Vorsitzende des Betriebsrates. Damit meint er wohl, dass in einem schnell wachsenden Unternehmen die Interessen der Belegschaft nicht immer Vorrang haben können. Er drückt das vorsichtig aus. Mit einem neuen Team hat sich der 40-Jährige in die Betriebsratsarbeit gestürzt, ein ruhiger, gemütlicher Typ mit Vollbart und Bauch, Jeans und Sandalen. Einer, der sich seine eigenen Überlegungen macht und auf Fragen bedächtig antwortet.
Rohde ist kein Gewerkschaftsmitglied wie sein Vorgänger. "Warum soll ich bei der IG Metall viel Geld ausgeben für Leistungen und Versicherungen, die ich woanders billiger bekomme?", fragt er. Die IG Metall, sagt er, müsse vor Ort mehr machen und Überzeugungsarbeit leisten, wenn sie mehr Mitglieder haben wolle.
CONTROLLER UND INGENIEURE STATT MALOCHER_ So wie Rohde denkt auch sein Betriebsratskollege Karsten Thiele. Auch er ist kein Gewerkschaftsmitglied. Der Organisationsgrad bei Repower ist selbst von den 30 Prozent weit entfernt, die Firmen in der Branche erneuerbarer Energien sonst aufweisen. Während die Büromenschen an den Computern, die Ingenieure, Controller, Vertriebler und Sachbearbeiter sich permanent vermehren, geraten die Malocher bei Repower in die Minderheit. Gerade 20 Prozent sind noch gewerblich Beschäftigte, Tendenz fallend.
Das Milieu wird akademischer - mit allen Folgen für die Betriebskultur. Eigentlich müsste der Betriebsratsvorsitzende Dirk Rohde freigestellt sein. Mit mehr als 300 Arbeitnehmern in Husum bei insgesamt weit über 1000 Beschäftigten an allen Standorten in der Bundesrepublik hätte die Husumer Belegschaft von Repower nach dem Betriebsverfassungsgesetz das Recht auf mindestens einen freigestellten Betriebsrat. Doch Rohde leistet die Arbeit während seiner Arbeitszeit - ohne Unterstützung der IG-Metall-Verwaltungsstelle in Rendsburg.
Er holt sich lieber Hilfe bei einem Arbeitsrechtsanwalt, der den neuen Betriebsrat geschult hat. "Jetzt wissen wir, wo wir im Gesetzestext nachgucken müssen", sagt der Vertreter der Arbeitnehmer, der derzeit eine Menge Betriebsvereinbarungen mit der Unternehmensspitze aushandelt. Das ändert nichts daran, dass Repower noch nicht mal mehr einen Haustarifvertrag hat - trotz explodierender Auftragszahlen, jährlichem Beschäftigungszuwachs von 300 bis 400 neuen Mitarbeitern und dem Ziel, in fünf Jahren vier Milliarden Euro Umsatz im Jahr zu machen.
ZWEI VERSIONEN_ Der Mann, der solche Ziele formuliert und über die Kosten wacht, heißt Pieter Wasmuth und sitzt in einem modernen Büro-Glaspalast in Hamburgs City. Wasmuth hat als externer Berater dem damaligen Unternehmenschef Fritz Vahrenholt schon 2004 nahegelegt, radikale Maßnahmen einzuleiten. Im Januar 2005 wurde er dann Finanzvorstand von Repower und exekutierte die Einschnitte. "Ich war es, der den Haustarifvertrag gekündigt hat", sagt Wasmuth und blickt seinem Gegenüber direkt in die Augen. "Sonst wären hier die Lichter ausgegangen."
Warum? "Weil es Managementfehler gab", sagt der 42-Jährige. "Wir standen kurz vor der Insolvenz." Vom Betriebsrat und von der IG Metall forderte er damals eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit um vier auf 42 Stunden, mehr als zehn Prozent Mehrarbeit ohne mehr Lohn. "Das hätte die Banken zufrieden gestellt." Doch die Gewerkschaft habe sich geweigert. "Also haben wir das über Einzelvertragsgespräche gelöst", sagt der Mann im Businessanzug mit goldfarbenen Manschettenknöpfen.
Was Wasmuth verschweigt: Die örtliche IG Metall war sogar bereit, das gleiche Volumen an Mehrarbeit anzubieten, allerdings gestreckt über zwei Jahre in einer 40 Stunden-Woche statt für ein Jahr in einer 42 Stunden-Woche. Doch der Mann, der bei Repower für die Bilanzen zuständig ist, setzte sich durch. Die Banken hat Wasmuth damit zufrieden gestellt. Und die Belegschaft gespalten: in die, die noch auf dem alten Haustarifvertrag mit 38-Stunden-Woche beharren und die, die 42 Stunden arbeiten gingen, ohne Lohnausgleich.
Bis auf wenige Dutzend Mitarbeiter ist jeder Repower-Mitarbeiter im Vieraugengespräch Wasmuth gefolgt. Wasmuth ist um die zwei Meter groß und bezeichnet sich selbst als Hanseat und Kaufmann. "Am Ende zählen immer die Zahlen", sagt er. "Wir wachsen jedes Jahr um 40 bis 50 Prozent, mehr geht nicht." Er macht keinen Hehl daraus, dass es der Führungsspitze gefällt, im Unternehmen tarifvertragsfrei agieren zu können. Obwohl die Krise längst überwunden ist und die Auftragsbücher wieder voll sind, sei bei Repower die 40-Stunden-Woche die Regel.
"Darüber wollen wir auch nicht mehr diskutieren", sagt er selbstbewusst. Die wenigen Mitarbeiter, die immer noch auf ihren alten Haustarifverträgen bestünden und freitags schon mittags nach Hause gehen, würden von ihren Kollegen schief angeguckt. Der Finanzvorstand und der Personalchef können derzeit bei jedem neuen Mitarbeiter die Bedingungen völlig frei verhandeln. Meist kommen junge Leute, die das Durchschnittsalter von ohnehin nur 36 Jahren noch weiter senken. Dabei sind es nicht die Personalkosten, die die Geschicke des Unternehmens bestimmen.
Sie machen nur rund zehn Prozent der Gesamtkosten aus, der größte Teil des Budgets geht für den Einkauf von Stahl drauf. Aber man spart eben da, wo man kann. Eine schwache Arbeitnehmervertretung hat für die Unternehmerseite noch einen anderen Vorteil: Sie redet beim Anheuern von Fremdfirmen nicht rein. "Wir nutzen Leiharbeit auch, um Personal zu testen", sagt Wasmuth. "Wenn es um Tarifpolitik geht, ist Repower sicherlich kein Vorzeigekandidat", sagt der Finanzchef. Aber, so fügt er hinzu, bereits seit 2006 seien Arbeitnehmer im Aufsichtsrat des Unternehmens vertreten. Und es gebe ein "konstruktives Miteinander mit dem Betriebsrat".
"DAS GEHT NUR MIT DER IG METALL"_ Das sieht der ehemalige Betriebsratschef Vockamm anders. "Die Firma könnte sich goldene Bleistifte leisten", glaubt er. "Aber die Mitarbeiter verkaufen sich unter Wert." Er sagt, dass die Beschäftigten Angst haben, sich zusammenzuschließen und sich zu engagieren. "Stattdessen verhandelt jeder hier selbst mit dem Chef. Da geht es mal um 50 und mal um 500 Euro im Monat." Das ist für alle ziemlich anstrengend und wohl auch ungerecht.
Um es hier wieder geordneter zugehen zu lassen, müsste endlich wieder ein bindender Tarifvertrag her. Da ist sich Vockamm auch mit seinen Nachfolgern einig. Nur - wie kriegt man das Management dazu? "Das geht nur mit der IG Metall", glaubt Vockamm. Vielleicht gäbe es dann auch bei Repower irgendwann mal wieder einen freigestellten Betriebsrat, der den ganzen Arbeitstag parteiisch sein darf, für die ganze Belegschaft.
Mehr Informationen
Gemeinsame Arbeitsstelle Ruhr-Universität Bochum und IG Metall (Hrsg.): "ÖKO-BRANCHE" IM AUFWIND - ERKENNTNISSE AUS EINER EXPLORATIVEN BESTANDSAUFNAHME, Bochum, Oktober 2007.
Die Dokumentation ist im Rahmen der Dialog-Reihe erschienen und als PDF erhältlich:
www.ruhr-uni-bochum.de/rub-igm (in der Navigation auf Forschung, Veröffentlichungen klicken)