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Magazin Mitbestimmung

: 'Hier verfällt bares Geld'

Ausgabe 12/2007

INTERVIEW Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes gibt es noch Diskriminierungen, gegen die Betriebsräte und Gewerkschaften vorgehen können, sagt Klaus Bertelsmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Das Gespräch führte JÖRN BREIHOLZ.

Bei der Logistikfirma Süderelbe haben Frauen bis zu 300 Euro weniger verdient - trotz gleicher Arbeit. Der Betriebsrat ist auf Grundlage des AGG dagegen vorgegangen. Wie haben Sie ihn dabei unterstützt?
Die Frauen wurden bei Süderelbe nach dem Angestelltentarifvertrag, die Männer nach dem deutlich höheren Lohntarifvertrag bezahlt. Wir haben dann für den Betriebsrat einen Antrag nach § 17 Absatz 2 des neuen AGG vor Gericht gegen diese plumpe Art der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts eingereicht. Unser Antrag lautete: Die Süderelbe Logistik muss die Frauen ebenfalls in den Lohntarifvertrag eingruppieren.

Wie hat der Arbeitgeber darauf reagiert?
Er war zunächst nicht beeindruckt. Erst als Veröffentlichungen in der Presse und im Internet kursierten und erste Großkunden, wie beispielsweise Daimler, der Süderelbe Logistik deutlich machten, dass sie mit derlei frauendiskriminierenden Praktiken nicht in Verbindung gebracht werden wollen, hat sich die Geschäftsführung sehr schnell auf einen gerichtlichen Vergleich eingelassen.

Ein schönes Ergebnis.
Nicht ganz. Das Ärgerliche ist, dass der Vergleich wegen der tariflichen Ausschlussfristen nur für sechs Monate rückwirkend ist. Manche Frauen haben aber weit mehr als zehn Jahre für einen schlechteren Lohn gearbeitet als ihre männlichen Kollegen. Die Diskriminierung über Dekaden hinweg konnten wir also nicht korrigieren. Betriebsräte und Gewerkschaften, die ähnliche Fälle erleben, sollten sich schnell rühren. Hier verfällt jeden Monat bares Geld.

Gibt es noch hunderte andere Unternehmen, die Frauen auf ähnliche Weise diskriminieren wie die Süderelbe Logistik?
In dieser Schlichtheit kommt es tatsächlich nur selten vor. Aber es gibt bestimmte Branchen, in denen die Arbeitgeber darauf vertrauen, dass "schwache" Arbeitnehmer sich nicht wehren - weil dort keine Facharbeiter, sondern Arbeitnehmer ohne formale Qualifikation beschäftigt sind.

Welche?
Die Logistikbranche gehört sicherlich dazu, aber auch die Wachbranche, Friseure oder manche Einzelhandelsketten - überall, wo schlecht bezahlt wird. Aber auch in Unternehmen mit einem hohen Entgeltniveau gibt es heute noch Diskriminierungen: Oft ist es so, dass zwar das gleiche Grundgehalt gezahlt wird, die Zuschläge aber nach Geschlecht differenzieren.

Das heißt, Betriebsräte sollten genau prüfen, ob in ihrem Betrieb Diskriminierungen trotz des neuen AGG begangen werden.
Ja, aber nicht nur Betriebsräte sollten dies tun. Das AGG gibt auch den Gewerkschaften die Möglichkeit, gegen Diskriminierungen vorzugehen, sie können sogar ein Verfahren einleiten, wenn es in dem betreffenden Unternehmen keinen Betriebsrat gibt. Das heißt, Gewerkschaften können in betriebratsfreie Betriebe gehen und dort zugunsten von Beschäftigten tätig werden.

An welchen Bereich denken Sie konkret?
Es könnte sehr spannend werden, wenn ver.di den Einzelhandel in Discountketten auf strukturelle Diskriminierungen überprüft. Dort gibt es kaum Betriebe mit Betriebsrat. Man könnte beispielsweise die Stellenanzeigen dahingehend auswerten, ob diese geschlechtsspezifisch formuliert sind oder bestimmte Altersgrenzen beinhalten. Das wäre ein typischer Fall für das AGG: Gewerkschaften könnten nach § 17 Absatz 2 AGG die Arbeitgeber dazu verpflichten, keine diskriminierenden Stellenanzeigen mehr zu veröffentlichen und bei Einstellungen nicht zu diskriminieren.

Wo sonst noch können Gewerkschaften aktiv werden?
Selbst in Tarifverträgen sind eine ganze Menge diskriminierender Sachverhalte auf Grund des Alters etwa vorhanden. Diese können Gewerkschaften nun nicht nur über Tarifverhandlungen unterbinden, sondern auch wegen Diskriminierung nach dem AGG gerichtlich untersagen lassen.

Was für Diskriminierungen sind das?
Wenn jüngeren Arbeitnehmern nur 24 Tage Urlaub zugestanden werden statt 30 Tage, wie bei wenig älteren Arbeitnehmern, dann ist das eine Diskriminierung aufgrund des Alters. Das ist nur einer von vielen Fällen. Altersdiskriminierung ist meines Erachtens der wichtigste Schwerpunkt des AGG und wird in den nächsten Jahren zunehmend wichtiger werden.

Warum?
Weil es bei der Altersdiskriminierung sowohl um die Älteren als auch um die Jüngeren geht. Beispielsweise wenn Arbeitnehmer ab 27 Jahren mehr bezahlt bekommen als die Jüngeren, bei gleicher Arbeit. Früher war es bei Frauen ähnlich: Sie erhielten 80 Prozent vom Grundlohn - wegen der so genannten "Frauenabschlagsklauseln". Das gibt es bei jüngeren Leuten heute noch. In manchen Tarifverträgen steht: Ab 25 Jahren erhalten die Arbeitnehmer Summe X, die Jüngeren bekommen aber nur 85 Prozent. Alle Tarifvertragsparteien sollten die Verträge daraufhin prüfen und gegebenenfalls klagen.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach noch immer diese Formen von Diskriminierung?
Es mangelt selbst in den Gewerkschaften an Sensibilität für Altersdiskriminierung. Ganz besonders deutlich ist es im alten Bundesangestelltentarif (BAT) und auch noch im heutigen Beamtenrecht. Ein 23-Jähriger hat in der Gehaltsgruppe "BAT III" mehr als 1100 Euro weniger verdient als ein 45-Jähriger - bei genau der gleichen Arbeit.

Und ältere Beschäftigte, inwiefern werden die heute diskriminiert?
Die Zwangsverrentung mit 65 oder demnächst 67, die ist in jedem Tarifvertrag drin. Es ist ja in Ordnung, mit 65 Jahren in Rente zu gehen oder früher mit Abschlägen, wenn man will. Aber nur wenn man es will, nicht erzwungen durch einen Tarifvertrag. In den USA ist das beispielsweise abgeschafft. Da geht jeder in Rente, wann er will.

Was Stellenausschreibungen offerieren, ist das eine, die Praxis der Unternehmen steht auf einem anderen Blatt.
Auch Stellenausschreibungen sollten Betriebsräte prüfen. Da steht zwar nicht explizit drin, dass nur Arbeitnehmer unter 40 Jahren oder nur Frauen bzw. Männer den Job bekommen. In der Praxis ist es aber trotzdem oft so. Das heißt, Betriebsräte sollten sich die Neueinstellungen der vergangenen Jahre anschauen in Hinsicht auf tatsächliche Alters- oder Geschlechtsdiskriminierung oder auch wegen der ethnischen Herkunft der Bewerber.

Welche Anzeichen für Diskriminierungen gibt es dabei?
Manchmal haben sich zu gleichen Teilen Männer und Frauen beworben, es sind aber nur fünf Prozent Frauen eingestellt worden. Oder im Hinblick auf Schwerbehinderte: Vielleicht haben sich in den vergangenen fünf Jahren zehn Prozent Schwerbehinderte auf die offenen Stellen beworben. Es ist aber kein Schwerbehinderter eingestellt worden. Da gibt es eine Fülle von Tatbeständen, bei denen Betriebsräte Indizien für Diskriminierungen finden können, wenn sie sich ernsthaft mit den Segnungen des AGG befassen.

 

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