Quelle: HBS
Böckler ImpulsEuropa: "Plattformen in die Pflicht nehmen"
Die EU-Kommission hat im Dezember Vorschläge zur Regulierung von Plattformarbeit veröffentlicht. Was es damit auf sich hat, erklärt HSI-Direktorin Johanna Wenckebach.
Brüssel möchte die Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie verbessern. Wen betrifft das überhaupt?
Die Kommission geht davon aus, dass in der EU zurzeit 28 Millionen Menschen im Bereich der Plattformarbeit tätig sind. Für 2025 wird schon mit 43 Millionen Beschäftigten gerechnet, an die über digitale Plattformen Arbeit vermittelt oder direkt vergeben wird. Es geht um ortsgebundene Arbeit, wie Essenslieferungen, Fahrdienste oder Dienstleistungen im Haushalt, um ortsungebundene Arbeit im digitalen Raum, die von Designaufträgen und kreativer Projektarbeit bis hin zu so genannten Microtasks reicht, die im Internet einer „Crowd“ angeboten werden.
Woran hapert es bislang aus gewerkschaftlicher Sicht?
Natürlich lässt sich nicht sämtliche Arbeit über und für Plattformen über einen Kamm scheren. Aber es gibt Probleme, die eindeutig mit den Besonderheiten dieser Art von Arbeit im digitalen Raum zu tun haben und damit, welche Funktion die Plattformen auf Märkten einnehmen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass fünfeinhalb Millionen Plattformbeschäftigte Scheinselbstständige sind – also zu Unrecht um Arbeitnehmerrechte gebracht werden und nicht sozialversichert sind. Letzteres ist bei diesen Zahlen selbstverständlich auch ein Problem der Solidargemeinschaft. Es geht also darum, dass ganz grundlegender Schutz und soziale Sicherung zur Anwendung kommen. Hier müssen die Plattformen in die Pflicht genommen werden.
Plattformen nutzen digitale Techniken, die weitere Probleme mit sich bringen. So kommt beispielsweise algorithmisches Management zum Einsatz. Beschäftigte werden überwacht, ihre Daten ausgewertet, Aufträge durch Algorithmen erstellt, verarbeitet und delegiert. Das ist ein ganz neues Potenzial von Macht und Kontrolle, das auch jenseits der Plattformarbeit eine Rolle in der Arbeitswelt spielen wird und bisher arbeitsrechtlich kaum erfasst wird. Für Beschäftigte und Interessenvertretungen sind Algorithmen häufig eine Black Box. Das Informationsgefälle verhindert Mitbestimmung und Rechtsdurchsetzung. Hier besteht Handlungsbedarf!
Welchen Herausforderungen müssen Gewerkschaften sich stellen?
Arbeit, die ausschließlich im digitalen Raum vergeben wird – und zum Teil auch online ausgeführt wird – bringt eine große Schwierigkeit für die Ausübung kollektiver Rechte mit sich. Wie lässt sich Solidarität organisieren unter Beschäftigten, die sich gar nicht begegnen und austauschen können? Neben dem Umstand, dass Plattformen mehrfach mit der Bekämpfung von Betriebsratsgründungen aufgefallen sind, stellt sich für Gewerkschaften und Aktive auch das ganz praktische Problem, Solidarität im digitalen Raum herzustellen.
Was könnten die vorgeschlagenen Reformen ausrichten?
Ganz zentral ist, dass die Statusfrage so geklärt werden soll, dass Scheinselbstständigkeit effektiv eingedämmt wird. Hierfür liegen nun konkrete, auf Plattformen zugeschnittene Vorschläge vor. Und die Beweislast soll nicht mehr bei den Beschäftigten liegen, was die Rechtsdurchsetzung ganz erheblich verbessert.
Sehr gut ist auch, dass die Techniken des algorithmischen Managements in den Blick genommen werden und die Richtlinie für mehr Transparenz sorgen soll. Das sind wichtige – wenn auch nur erste – Schritte für einen arbeitsrechtlichen Rahmen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz.
Wichtig ist mit Blick auf die angesprochene Vereinzelung der Beschäftigten zudem, dass die Richtlinie die Plattformen verpflichten soll, Kommunikation der Beschäftigten untereinander, aber auch mit ihren Interessenvertretungen zu ermöglichen. Das entspricht der Idee eines digitalen Zugangsrechts, das als gewerkschaftliche Forderung in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden hat.
Wann ist mit konkreten Ergebnissen zu rechnen?
Der Vorschlag der Kommission wird jetzt von EU-Parlament und Rat beraten. Sobald die Richtlinie verabschiedet wird, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Vorgaben in das nationale Recht umzusetzen. Bis also im deutschen Arbeits- und Sozialrecht verankert ist, was der Vorschlag vorsieht, ist es noch ein langer Weg.
In den USA haben die Plattformen sehr viel in Lobbyarbeit investiert, um insbesondere die Klarstellung des Arbeitnehmerstatus zu verhindern. Auch hier ist erkennbar, dass es Gegenwind geben wird. Deswegen wird es wichtig sein, die Interessen von Arbeitnehmenden stark zu machen – sowohl in Brüssel als auch im Anschluss bei der Umsetzung der Richtlinie in Deutschland.