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Magazin Mitbestimmung

: Werkstatt für Tarif- und Arbeitspolitik

Ausgabe 06/2004

Die Auto 5000 GmbH ist ein mutiges Experiment. 3800 Mitarbeiter - ehedem Arbeitslose - fertigen den VW Touran unter neuen arbeits- und tarifpolitischen Bedingungen. Was läuft gut? Wo klemmt es? Akteure und Begleitforscher geben einen Einblick.

Von Matthias Helmer
Der Autor ist Soziologe und arbeitet als freier Journalist in Göttingen.

Mit der Auto 5000 GmbH ist es den Wolfsburgern gelungen, binnen kurzer Zeit mit einer Mannschaft aus zwar gut qualifizierten, aber autoindustrieunerfahrenen Arbeitslosen eine neue Fabrik und ein neues Produkt - den VW Touran - zum Laufen zu bringen. Dabei stand bei der Volkswagen AG Ende der 90er Jahre eigentlich schon fest, dass der Touran in Bratislava von den Bändern rollen soll. Denn die Unternehmensstrategie ging seinerzeit weg vom Standort Wolfsburg: Zwischen 1989 und 2001 sank die Zahl der im Stammhaus produzierten Fahrzeuge von 886 000 auf 541 000, bei einem gleichzeitigen Personalabbau von 61 300 auf 51 450.

Impulse für die Zukunft der Industriearbeit

Das VW-Projekt zeigt, dass es in der aktuellen Standortdebatte andere Antworten gibt als Lohndumping, Produktionsverlagerung und die Zerschlagung der Flächentarifverträge. Der Anstoß für "5000 x 5000" kam im Herbst 1999 von VW-Personalvorstand Peter Hartz. Die Idee war, 5000 Beschäftigte zu einem festen Monatslohn von damals 5000 DM einzustellen, um eine neue Großraumlimousine zu fertigen. Das Konzept löste vor allem innerhalb der IG Metall kontroverse Diskussionen aus, denn ursprünglich waren eine 48-Stunden-Woche und ungeregelte Arbeitszeiten geplant. Hartmut Meine, Leiter des IG-Metall-Bezirks Hannover, erläutert auf einem Workshop der Hans-Böckler-Stiftung und der IG Metall, warum seine Gewerkschaft dem Projekt nach einigem Verhandlungshickhack und erheblichen inhaltlichen Verbesserungen letztlich dennoch zugestimmt hat.

Dabei spielten arbeitsmarkt- und tarifpolitische Motive eine Rolle, betont Hartmut Meine. Gegen den herrschenden Standortdiskurs wollte man beweisen, dass Industriearbeitsplätze in Deutschland weiterhin eine Chance haben und neue Jobs nicht durch Deregulierung, sondern im Gegenteil durch gezielte Regulierungsmaßnahmen - etwa des Tarifsystems - geschaffen werden können. Meine hebt insbesondere diesen tarifpolitischen Gestaltungsanspruch des Projektes hervor. "Das Tarifmodell 5000 ist ein wichtiger Bezugspunkt gegen die Kritiker des Flächentarifvertrages." Ungeachtet aller Abstriche gegenüber dem VW-Haustarifvertrag habe man es geschafft, einen Kompromiss auf dem Niveau des Flächenabschlusses der IG Metall zu erzielen.

Aber auch inhaltlich weist das Tarifmodell einige Besonderheiten auf, etwa was die Regelungen in Bezug auf Arbeitsorganisation oder Qualifizierung angeht. Für Hartmut Meine ist es so denn auch eine entscheidende Frage, ob es gelingt, die innovativen tariflichen Normen der Arbeitsorganisation in die Praxis umzusetzen: flache Hierarchien, Teamarbeit und ganzheitliche Arbeitsinhalte. In puncto Selbstorganisation ist das Konzept von Auto 5000 weitreichender als alle bisherigen Gruppenarbeitsprojekte bei VW. Ziel ist es auch, nur vier Führungsebenen zu installieren, entgegen der in Autofabriken sonst üblichen sechs oder sieben. Vereinbart wurden zudem ein eigener Qualifizierungstarifvertrag und ein Mitbestimmungstarifvertrag mit erweiterten Beteiligungsrechten des Betriebsrates. So hat dieser ein Mitbestimmungsrecht bei der Leistungs- und Personalbemessung, das sich nicht nur an betriebswirtschaftlichen Benchmarks, sondern auch an arbeitswissenschaftlichen Kriterien orientiere, lobt Hartmut Meine.

Tarifpolitische Folgen für Deutschland

Für Werner Widuckel, Referent beim Gesamt- und Konzernbetriebsrat von VW, ist Auto 5000 ein strategisches Schlüsselprojekt, sowohl für die Tarifpolitik der IG Metall wie auch für die Betriebspolitik bei VW. Aufgrund seines Rahmencharakters und seiner Regelungsinhalte werde es tarifpolitische Folgen für ganz Deutschland haben. Insbesondere das darin formulierte Beschäftigungsziel eröffne eine neue tarifpolitische Perspektive. Widuckel beschreibt aber auch die "Persönlichkeitsspaltung", in der sich der VW-Betriebsrat befinde, nachdem innerhalb des VW-Tarifsystems ein neues, eigenes System eingeführt worden sei. Gemischte Gefühle bereitet überdies, dass es bislang der Auto-5000-Belegschaft noch nicht ermöglicht wurde, eine eigene Interessenvertretung zu wählen. Gemäß "Tarifvertrag gemeinsamer Betriebsrat" werden sie extern vom Betriebsrat der Volkswagen AG betreut: Diese Regelung soll bis 2006 gelten, wenn turnusgemäß die nächsten Betriebsratswahlen stattfinden. "Die Mannschaft hier drängt auf Demokratie", mahnt Widuckel. Ein Selbstbewusstsein, das auch daher rührt, dass sich die mittlerweile 3800 Touran-Bauer in einem aufwändigen und mehrstufigen Auswahlverfahren unter 48 000 Bewerbern durchsetzen konnten.

Seit knapp zwei Jahren kann die Auto-5000-Mannschaft ihre "Industrie- und Automobiltauglichkeit" nun auch in der Praxis unter Beweis stellen. Ob dabei auch die innovativen Gestaltungsansprüche des Vorhabens realisiert werden, begleitet und erforscht das Soziologische Forschungsinstitut in Göttingen (SOFI) unter Leitung von Michael Schumann. Erste Ergebnisse belegen, dass insbesondere das innovative arbeitsmarktpolitische Ziel erreicht wurde. Es wurden unbefristete tarifliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, wobei auch ältere Arbeitnehmer eine Chance bekommen haben, anders als sonst bei VW, wo niemand mehr eingestellt wird, der älter als 35 Jahre ist. "Die Mannschaft ist kompetent, motiviert, leistungsbereit und nimmt ihre Situation realistisch wahr, ohne dabei demütig zu sein", charakterisiert SOFI-Forscher Hans-Joachim Sperling den zwar kritischen, aber "modernen Arbeitnehmertypus", der sich die Unternehmensinteressen zu eigen macht.

Problematisch findet Sperling die Entgeltdifferenz zur Volkswagen AG, die von den Beschäftigten aber akzeptiert werde. Das monatliche Grundentgelt bei Auto 5000 beträgt rund 2300 Euro brutto, während die VW-Montagekollegen gut 300 Euro mehr verdienen. Es wird nach Programmerfüllung bezahlt, wobei sich das Entgelt an einer vorab vereinbarten Stückzahl und Qualität orientiert. Nacharbeit wird nur vergütet, sofern kein Eigenverschul-den vorliegt. VW-Betriebsrat Bernd Osterloh bemängelt, dass der Erfolgsbonus im ersten Jahr nicht ausbezahlt wurde, obwohl die Beschäftigten Überdurchschnittliches geleistet hätten. Dies sei nicht gut für die Motivation. Der persönliche Bonus wird gemäß Tarifvertrag aber nur bei positivem Unternehmensergebnis gezahlt.

Qualifizierungszeit ist nicht Wertschöpfungszeit

Wichtiger Baustein des Projektes ist der Qualifizierungstarifvertrag, der das Ziel verfolgt, "die Trennung von Arbeiten, Lernen und Kommunizieren aufzuheben", wie Frauke Sanders vom SOFI betont. Dazu gehört, dass sich die Beschäftigten über die Vorab-Qualifizierungen hinaus drei Stunden pro Woche ihrer Fortbildung widmen, wobei nur die Hälfte davon bezahlt wird. Diese Zeit ist auch nicht in der tariflichen 35-Stunden-Woche enthalten. Die Qualifizierung erfolgt entweder vor Ort im Arbeitsprozess, in so genannten Lernfabriken entlang der Fertigung, oder im Rahmen von externen Schulungen. Parallel dazu finden Entwicklungsfeedbacks statt.

In Bezug auf die Arbeitsorganisation in der Touran-Fabrik stellen sich für Martin Kuhlmann vom SOFI noch viele offene Fragen. Entgegen dem ganzheitlichen Anspruch dominieren bislang viele traditionelle Arbeiten den Alltag der Werker, planerische Aufgaben haben sie nur bedingt. Auch ihre Zeitsouveränität innerhalb des entkoppelten Drei-Schicht-Systems ist begrenzt. Und Michael Schumann ergänzt: "Bei dem Projekt 5000 x 5000 handelt es sich um einen offenen Prozess und gestaltungspolitisches Neuland, das auch die Gefahr beinhaltet, die hoch gesteckten Ziele an einigen Stellen nicht zu schaffen."

Auto 5000 ist denn auch keine "…heile Welt. Gerade in der Anlaufphase gab es auch Probleme", weiß IG-Metaller Hartmut Meine zu berichten. So lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aufgrund erforderlicher Nacharbeiten bei rund 45 Stunden, was zu einigem Unmut führte. Startschwierigkeiten und Überstunden seien aber bei der Einführung neuer Fahrzeugtypen und Produktionsverfahren nichts Außergewöhnliches. Die wissenschaftliche Auswertung zeigt denn auch, dass viele der anfänglichen Produktionsprobleme in erster Linie technischer oder administrativer Natur und weniger in der Leistung und Qualifikation der Beschäftigten begründet waren.

VW-Haustarif: IG Metall gegen Dumpingversuche

Wie sieht nun die Zukunft von Auto 5000 aus? Offen sind die Impulse, die das Projekt für das tarif- und arbeitspolitische Gefüge in Deutschland insgesamt haben wird. Die IG Metall muss zunächst einmal intern klären, welche Elemente des Tarifvertrages in den VW-Haustarifvertrag übernommen werden sollen. Nimmt man die jüngsten Äußerungen von Personalvorstand Peter Hartz (vgl. Der Spiegel 19/04), dann könnten zumindest Elemente des Projektes 5000 x 5000 für weiterreichende Krisenlösungskonzepte, nicht nur bei VW, instrumentalisiert werden - und damit mittelfristig auch die Tariflandschaft zum Beben bringen.

IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine sieht diesbezüglich allerdings keine unmittelbare Gefahr: "Die IG Metall betreibt ihre Tarifpolitik bei Volkswagen aus der Position der Stärke und wendet sich gegen Dumpingansätze, auch wenn sie geschickt verpackt sind", sagte er dem Magazin Mitbestimmung. Außerdem "eignet sich das Projekt 5000 x 5000 nicht als Instrument zum Abbau tariflicher Standards", so Meine weiter. "Die Jobs bei 5000 x 5000 sind gesicherte Normalarbeitsverhältnisse mit der 35-Stunden-Woche, mit Tariflohn wie in der Metallindustrie und Kündigungsschutz.

Für denkbar jedoch hält es Hartmut Meine, "den Grundgedanken der Qualifizierung aufzunehmen". Und grundsätzlich begrüßt der IG-Metall-Bezirksleiter, dass Volkswagen im Gegensatz zu anderen großen Unternehmen versuche, die im Inland bestehenden Arbeitsplätze zu sichern. Massive Einschnitte bei den VW-Beschäftigten, insbesondere eine gewinnabhängige Bezahlung, werde die IG Metall aber nicht hinnehmen.

Workshop
5000 x 5000 bei VW, am 27./28. April 2004 in Wolfsburg, veranstaltet von der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG-Metall. Weitere Infos: www.igmetall-bezirk-hannover.de/,"Materialien" anklicken; www.sofi-goettingen.de,"Aktuelles" anklicken

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