Quelle: HBS
Böckler ImpulsEuropa: Nachhaltig sozial
Unternehmen müssen nicht nur grüner, sondern auch sozial nachhaltiger werden. Das kommt im Regelwerk der EU bisher zu kurz.
Die Wirtschaft in der EU soll klimaneutral und nachhaltig werden. Doch die von der EU-Kommission vorgelegten Regeln für nachhaltige Investitionen stoßen auf Kritik. Die Entscheidung darüber, welche Bereiche und Technologien als zukunftsträchtig gelten, erscheint an manchen Stellen fragwürdig. Soziale Standards spielen in der sogenannten EU-Taxonomie bislang eine untergeordnete Rolle. Neben ökologischen müssten konkrete soziale Nachhaltigkeitsziele festgelegt werden, erklärt Maxi Leuchters, Europaexpertin des I. M. U. Dabei müssten die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berücksichtigt werden.
Die EU-Taxonomie stellt einen wichtigen Baustein des „European Green Deal“ dar, der die ökologische und soziale Transformation der europäischen Wirtschaft zum Ziel hat. In der Taxonomie sind Kriterien festgelegt, nach denen sich beurteilen lässt, ob Unternehmen nachhaltig wirtschaften und künftigen Generationen nicht schaden. Banken und Investoren sollen sich an dem Regelwerk orientieren, wenn sie Geld anlegen. Dadurch soll mehr privates Kapital in Unternehmen fließen, die die Nachhaltigkeitsziele erfüllen. Unternehmen können laut Taxonomie dann als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu einem von sechs Umweltzielen leisten und die anderen Ziele nicht erheblich beeinträchtigen sowie soziale Mindeststandards einhalten. Zu den Zielen gehören beispielsweise Klimaschutz, der Schutz von Biodiversität und die Vermeidung von Verschmutzung. Wirtschaftliche Tätigkeiten, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden zwar nicht verboten. Aber ein Unternehmen, das als Klimasünder gilt, wird es schwerer haben, an Kapital zu gelangen. Da die Kriterien eindeutig definiert sind, können Unternehmen nicht einfach behaupten, sie seien nachhaltig – sie müssen in ihren Berichten genau offenlegen, wie sie zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.
Anders als bei den Umweltzielen liegen zu den sozialen Mindeststandards bisher keine konkreten Berichts- und Bewertungsstandards vor. Eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission hat zwar erste Überlegungen präsentiert, wie eine ergänzende soziale Taxonomie aussehen könnte. Allerdings ist noch völlig offen, wie weit diese reichen und ob sie überhaupt umgesetzt werden soll. Ein Vorschlag bezieht sich nur auf Unternehmen der Daseinsvorsorge. Danach könnten Unternehmen als nachhaltig eingestuft werden, wenn sie Grundbedürfnisse wie Wohnen, Bildung oder Gesundheit erfüllen. Das Problem: Nur weil ein Unternehmen eine soziale Dienstleistung anbietet, heißt das nicht, dass es seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, etwa gegenüber seinen Beschäftigten. Gerade in systemrelevanten Branchen herrschen oft schwierige Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungsvermeidung. Ein weitergehender Vorschlag für eine soziale Taxonomie bezieht sich daher nicht nur auf die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen, sondern auf ihre gesamte Organisation. Danach müssten – letztlich alle – Unternehmen aufzeigen, wie sie die Einhaltung von guten Arbeitsbedingungen, Menschenrechten und Verbraucherinteressen sicherstellen sowie das Gemeinwohl stärken. Hierunter müsste auch die Mitbestimmung fallen.
„Die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen müssen sowohl in der ökologischen als auch in der sozialen Taxonomie eine stärkere Rolle spielen“, schreibt Leuchters. Bei der bereits geltenden ökologischen Taxonomie müssten die Berichtspflichten zu sozialen Mindeststandards konkreter gefasst werden. Daneben müsse es unbedingt auch eine soziale Taxonomie geben, die das gesamte Unternehmen in den Blick nimmt und nicht allein auf die wirtschaftliche Tätigkeit abstellt.
Maxi Leuchters: Sustainable Finance. Eine Chance für die Mitbestimmung?, Mitbestimmungs-Report Nr. 70, Januar 2022