Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Pionierinnen der Mitbestimmung
Bettina Kohlrausch und Johanna Wenckebach sprechen über die ersten Frauen in Betriebsräten vor mehr als 100 Jahren. Und: Was wurde aus ihren Forderungen für mehr Gleichstellung heute?
[12.2.2021]
Es ist ein bislang wenig erforschtes Thema: Welche Rolle haben Frauen gespielt, als 1920 die Mitbestimmung gesetzlich verankert wurde und erste Betriebsräte eingerichtet wurden? „Ich habe mir das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der betrieblichen Mitbestimmung angeschaut und mich gefragt: Wo kommen da eigentlich die Frauen vor? Da ist nur sehr wenig drüber bekannt“, erzählt HSI-Direktorin Johanna Wenckebach in unserer neuen Podcast-Folge und hat es natürlich nicht bei dieser Frage bewenden lassen sondern eine HSI-Studie in Auftrag gegeben. Diese ist nun erschienen und trägt den schönen Titel „Pionierinnen der Mitbestimmung“.
Das erstaunliche Ergebnis der Untersuchung: Trotz der stark männerdominierten Arbeitswelt haben damals Frauen am Betriebsrätegesetz mitgearbeitet und sich auch Betriebsrätinnen in der Mitbestimmungspraxis beteiligt. Und: Diese hatten schon damals mehr Mitspracherechte für Frauen gefordert und insbesondere für deren Weiterbeschäftigung nach dem Krieg eingesetzt, die oft zugunsten der Männer gecancelt wurde, berichtet Johanna Wenckebach.
Hartnäckige strukturelle Benachteiligung
Erstaunliche Parallelen zur heutigen Situation sieht darin WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Noch immer – oder wieder - seien es heute in der Corona-Krise zuerst Frauen, die im Zweifelsfalle wieder in die häusliche Sphäre verwiesen werden. „Frauen haben sich den Zugang zum Arbeitsmarkt erkämpft. Aber jetzt in der Krise wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Frauen die Kinderbetreuung übernehmen“, sagt Kohlrausch.
Kohlrausch und Wenckebach zeichnen eiene historische Fortschreibung der strukturellen Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt nach, bei der auch die Gewerkschaften lange gebraucht haben, zu engagierten Alliierten zu werden. Heute finden sich in Betriebsräten im Schnitt schon ein deutlich höherer Frauenanteil, von 50 Prozent sei man an vielen Stellen, insbesondere natürlich in der Industrie, jedoch noch weit entfernt.
Dennoch: „Weibliche Erwerbstätigkeit ist noch immer deutlich weniger geschützt und weniger selbstverständlich und präsent in der Wahrnehmung. Man darf nicht unterschätzen, wie tief sich solche Leitbilder einschreiben in Strukturen“, sagt Bettina Kohlrausch. Auch im Hinblick auf die bevorstehende Transformation des Arbeitsmarkts sei dies wieder eine Herausforderung, hier für Gerechtigkeit zu sorgen und Verhandlungsmacht für Frauen sicherzustellen.
„Wir können sehr gut zurückgreifen auf die Forderungen der Mitbestimmungs-Pionierinnen vor 101 Jahren: Quoten, Quote, Quote, wenn man Repräsentanz sicherstellen will“, fordert daher auch Johanna Wenckebach.
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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Christina Schildmann