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Magazin Mitbestimmung

: Würdigung einer einzigartigen Institution

Ausgabe 05/2004

Die Hans-Böckler-Stiftung ist nicht nur eines der größten Studienförderungswerke sondern auch Denkfabrik und Beratungseinrichtung der deutschen Gewerkschaften. Ihre Existenz verdankt sie der Mitbstimmung - ihre Zukunft liegt in einem sozialen Europa.

Von Peter Seideneck
Der Autor war in verschiedenen Positionen für die Hans-Böckler-Stiftung und den Deutschen Gewerkschaftsbund tätig. Bis zum Jahr 2003 war er Berater des damaligen EGB-Generalsekretärs Emilio Gabaglio.

Großorganisationen im Allgemeinen und Gewerkschaften im Besonderen tun sich schwer damit, ihre organisatorischen Strukturen den Erfordernissen der realen Welt anzupassen - die Guerilla der Apparate spielt zuweilen der der Vernunft einen Streich. Dass im Jahr 1954 gleich zwei gewerkschaftliche Einrichtungen gegründet wurden, deren Agenda sich auf das weite Feld der deutschen Mitbestimmung bezog, - die Hans-Böckler-Gesellschaft und eine gute Woche später die Stiftung Mitbestimmung - gehört ohne Zweifel in diese Kategorie. Dennoch, vergleicht man die Aufgabenstellungen der beiden Organisationen miteinander, ist Komplementarität erkennbar: Während die Hans-Böckler-Gesellschaft sich einer gesellschaftspolitischen Orientierung verschrieb und sich als Plattform für den Erfahrungsaustausch und für die Verbreitung des Mitbestimmungsgedankens verstand, stand für die Stiftung Mitbestimmung die Förderung begabter Arbeitnehmer im Mittelpunkt, die ein Studium der Rechts-, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften absolvieren wollten. Schon ein gutes Jahr nach der Gründung wurde das Spektrum der wissenschaftlichen Disziplinen um "technische und Naturwissenschaften” erweitert.

Mitbestimmung als Gesellschaftsmodell

Die Hans-Böckler-Gesellschaft war ein direktes Produkt der Montanmitbestimmung. Dass sie den Namen des ersten DGB-Vorsitzenden trug, war kein Zufall. Es war Böckler gewesen, der für das Gesellschaftsmodell "Mitbestimmung” eingetreten war und gegen massive Widerstände die Montanmitbestimmung durchgesetzt hatte. Die Gesellschaft, die bis zu ihrer Auflösung über nur geringe Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen und einen äußerst knappen Personalbestand verfügte, beschränkte ihre Aktivitäten zunächst auf die Mitbestimmungsträger in der Montanindustrie, dann erweiterte sie ihre Zuständigkeit auf den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, also auf Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten mit einer Zweidrittelmehrheit für die Kapitalseite.
Der erste Sitz der Hans-Böckler-Gesellschaft war die Friedrich-Ebert-Straße 34/38 in Düsseldorf, das Quartier des DGB-Landesbezirkes NRW, der dort bis heute seinen Sitz hat. Trotz ihrer angespannten materiellen Lage entfaltete sie eine beachtliche Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie organisierte regelmäßige "Informationsgespräche” für die Mitbestimmungsträger in deutschen Großstädten; zusätzlich entstand ein Netzwerk von Arbeitsgemeinschaften und Fachausschüssen. Beachtlich war auch die publizistische Tätigkeit der Gesellschaft, die neben der Zeitschrift "Das Mitbestimmungsgespräch” - dem heutigen Magazin "Mitbestimmung” - eine Reihe von Handbüchern und Praxisberichten herausgab.

Der Gründungsakt der Stiftung Mitbestimmung hingegen lässt auf eine gehörige Portion Pragmatismus schließen, wie er die deutschen Gewerkschaften oftmals, wenn auch nicht immer, auszeichnet. Die Satzung der Stiftung bringt diesen Pragmatismus auf den Punkt: Zur Finanzierung ihrer Arbeit zog sie sowohl die Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder aus dem Geltungsbereich der Montanmitbestimmung sowie des Betriebsverfassungsgesetzes heran als auch "sonstige Personen, die als Repräsentanten des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder einer Gewerkschaft einem Aufsichtsrat oder einem ähnlichen Kontrollorgan angehören oder in der Leitung eines wirtschaftlichen Unternehmens oder führend in einer staatlichen oder überstaatlichen Einrichtung tätig sind.” Eine durch Beschluss untermauerte Verpflichtung zur Abführung bestand allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Stiftung setzte auf das Prinzip Hoffnung und auf "laufende Zuwendungen, die zu erwarten sind”. So sollten die Vergütungen möglichst vieler Mitbestimmungsträger eingesammelt werden.

Dass Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten Tantiemen und Arbeitsdirektoren Gehälter wie die Vorstandsmitglieder der "anderen Seite” bezogen, war ein sozialer Quantensprung, der so ohne Weiteres von Mitgliedern und Funktionären nicht "geschluckt” wurde. Außerdem bestand im Einzelfall die Gefahr der Korrumpierung. In der Einführung zum DGB-Vorstandsbeschluss zur Gründung der Stiftung wurden diese Probleme offen angesprochen: "Es darf abschließend darauf hingewiesen werden, dass das persönliche Verhalten der einzelnen Menschen, wenn sie in gehobene Positionen kommen, unterschiedlich ist. Manch einer bleibt seinem alten Milieu verbunden, während andere sich bald einen neuen Lebensstil aneignen.”

Nach diesen mahnenden Worten geht dann der Beschlussvorschlag ans Eingemachte: "Unsere Vertreter in den Aufsichtsräten und die Arbeitsdirektoren gingen in Ermangelung einer zentralen Einrichtung dazu über, an die verschiedensten wohltätigen und wissenschaftlichen Stellen Spenden abzuführen.” Um eine der gewerkschaftlichen Tradition und dem gewerkschaftlichen Gedankengut gemäße Verwendung solcher Beiträge zu sichern, beschlossen der Bundesvorstand und -ausschuss im Einvernehmen mit den Beteiligten am 10. und 11. Dezember 1953 die Errichtung der "Stiftung Mitbestimmung”. In den ersten Jahren lebte die Stiftung von Spenden und Zuwendungen, deren Höhe schwer vorherzusagen war. Zuweilen meldeten sich kritische Stimmen zu Wort, wie Wolfgang Hirsch-Weber, Autor des Buches "Gewerkschaften in der Politik”. Er schrieb im Jahr 1959 über die Vergütungen der Arbeitnehmervertreter: "Ein Teil dieser Einkünfte soll an die ‚gemeinnützige Stiftung Mitbestimmung‘ abgeführt werden, aber es ist ein lächerlich geringer Teil (bei Aufsichtsräten mindestens 20 Prozent der Nettotantieme, bei Arbeitsdirektoren zwischen vier Prozent und sieben Prozent des Bruttoeinkommens), und nicht einmal dieser Obolus wird von allen Gewerkschaftsfunktionären abgeführt.”

Zusammenschluss nach 23 langen Jahren

Gleichwohl entwickelte sich das Spendenaufkommen positiv - nicht zuletzt, weil der Spendenbereitschaft durch DGB-Beschlüsse zunehmend mehr Verbindlichkeit zugemessen wurde. Im Jahr 1964, 10 Jahre nach Gründung, betrug das Jahresbudget aus Spenden, Zinseinnahmen und einem Bundeszuschuss von 488.000 Mark für die Studienförderung bereits 2,2 Millionen Mark. Zum Vergleich: Der Etat der Hans-Böckler-Gesellschaft lag zu diesem Zeitpunkt noch unter 200.000 Mark - ihre Einnahmen blieben hinter der steigenden Zahl der Mitglieder zurück. Obwohl beide Institutionen, die Hans-Böckler-Gesellschaft und die Stiftung Mitbestimmung, seit den ersten Jahren eng zusammenarbeiteten und auf Gewerkschaftstagen mit gemeinsamen Ständen auftraten und obwohl die Hans-Böckler-Gesellschaft bald auch finanzielle Zuwendungen der Stiftung Mitbestimmung erhielt, wurde das Nebeneinander lange Zeit nicht ernsthaft in Frage gestellt. Erst in den 70er Jahren, in der Amtszeit des DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter, nahm der Prozess der Annährung zwischen den beiden Institutionen Fahrt auf - forciert durch eine neue Mitbestimmungsdebatte, die in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 mündete.

Erst diese Ausweitung der Aufsichtsratsmitbestimmung bewegte die Gewerkschaften, ihre Ressourcen zu bündeln und sich mit der Stiftung ein Instrument zu schaffen, das sich "der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Bildung und Erziehung sowie des Gedankens der Mitbestimmung” unter einem Dach verschrieb. "Stellen schon gegenwärtige Entwicklung und betriebliche Praxis im Bereich der Montanmitbestimmung und des Betriebsverfassungsgesetzes Mitbestimmungsträger und Gewerkschaften vor eine Fülle von Überlegungen, Schwierigkeiten und offenen Fragen”, schrieb Rudolf Quast, einer der früheren Geschäftsführer der Stiftung Mitbestimmung, im Jahr 1974 hier in dieser Zeitschrift, "so wird eine neue Gesetzgebung zur Mitbestimmung - wie immer sie auch aussehen mag - diese Tendenz noch verstärken.” Er mahnte "eine von Misstrauen freie Zusammenarbeit und einen von Ressortegoismus gelösten Erfahrungsaustausch” an und ließ damit auf vornehm-wissenschaftliche Art durchblicken, wie ausgeprägt das Beharrungsvermögen der jeweiligen Akteure war und dass persönliche Animositäten und Interessen dem Fortschritt zuweilen im Wege standen.

Ein offenkundiges Signal für bevorstehende Veränderungen war eine gemeinsame Festveranstaltung beider Einrichtungen unter dem Dach des DGB zum 25. Jahrestag des Montanmitbestimmungsgesetzes am 2. Juni 1976 im Ruhrfestspielhaus Recklinghausen. Am gleichen Tag fand eine Mitgliederversammlung der Hans-Böckler-Gesellschaft statt, auf der eine Fusion beider Institutionen erörtert wurde. Ende September des gleichen Jahres legte eine vom DGB-Vorsitzenden Vetter eingerichtete Arbeitsgruppe eine Konzeption zur Vereinigung von Stiftung Mitbestimmung und Hans-Böckler-Gesellschaft vor. Nachdem der Bundesvorstand des DGB im Dezember 1976 den Zusammenschluss empfohlen hatte, verständigten sich im März des folgenden Jahres die Vorstände, Geschäftsführer, Referenten und Betriebsräte beider Einrichtungen auf einer Klausurtagung über einen Satzungsentwurf für die neu zu schaffende Stiftung. Am Ende waren 23 lange Jahre vergangen, bis beide Institutionen "in eigener Sache” erklärten: "Hans-Böckler-Gesellschaft und Stiftung Mitbestimmung streben den Zusammenschluss an.”

Am 1. Juli 1977 wurde die Hans-Böckler-Stiftung gegründet. Längst ist sie ein Stück deutscher Mitbestimmungskultur geworden. Seit ihrer Gründung - erst recht nach dem Zusammenschluss mit dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB im Jahr 1995 - ist sie eine einzigartige Institution, die nur unter den Bedingungen der deutschen Mitbestimmung entstehen konnte - sowohl was ihre Aufgabenstellung, ihre Struktur und Arbeitsweise als auch was ihre Finanzierung durch die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsträger und die öffentliche Hand angeht. Sie ist für die deutschen Gewerkschaften eine - oft auch von ihnen selbst unterschätzte - internationale Referenz, die im Zuge der Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts und der Rolle von Arbeitnehmervertretern aller EU-Mitgliedstaaten in den Aufsichtsräten europäischer Aktiengesellschaften auch europäisch Schule machen könnte.

Die Arbeit der Stiftung braucht Freiraum

Expertise und Beratung, unabhängige wissenschaftliche Begleitung gewerkschaftlicher Politik - das sind unerlässliche Rahmenbedingungen für den gewerkschaftlichen Erfolg bei der Durchsetzung sozialer Ziele und der Verteidigung der Mitbestimmung auch im Kontext der europäischen Integration. Allerdings ist es höchste Zeit für die deutschen Gewerkschaften, von der Illusion Abschied zu nehmen, die Mitbestimmung sei ein im europäischen Maßstab übertragbares Modell, ein gesellschaftspolitischer Exportartikel. Sie wird gelegentlich noch immer verbreitet. Die deutsche Mitbestimmung ist das spezifische Produkt einer langen, im nationalen Kontext entstandenen Sozialgeschichte. Sie wird in der europäischen Gewerkschaftsbewegung mit Interesse, aber auch kontrovers aufgenommen. Es soll nicht unterschlagen werden, dass die "Vorgänge” um die "Neue Heimat” und Vorgeschichte sowie Verlauf des Mannesmannprozesses dem Ansehen der Mitbestimmung erheblich geschadet haben.

Die Zeiten, in denen die deutsche Mitbestimmung als unzulässige Einmischung der Gewerkschaften in Unternehmensentscheidungen oder schlicht als verräterische Klassenkollaboration karikiert wurde, sind glücklicherweise längst vorbei. Sie repräsentiert heute einen wichtigen Teil des europäischen Sozialmodells. Die deutschen Gewerkschaften müssen darauf bedacht sein, sich einen angemessenen Platz in der Debatte über das europäische Gesellschaftsrecht zu sichern. Sie dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, sie wollten gewissermaßen per Diktat ihre Konzepte durchdrücken - ein Generalverdacht, mit dem sie sich seit langem auseinander setzen müssen.

Die Hans-Böckler-Stiftung, die über beachtliche Kompetenzen verfügt und im Spektrum "Gewerkschaften und Wissenschaft” Initiativen ergreifen und kritische Denkanstöße fördern kann, ist das am besten geeignete Instrument, in dieser Debatte die deutschen gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Geltung zu bringen.

Das allerdings erfordert auch die Mobilisierung von Mitteln und Personal und nicht zuletzt ein erhebliches Maß an Unabhängigkeit. Für die weitere Entwicklung der Stiftung wäre es fatal, wenn die Gewerkschaften sie intern in "Einflusszonen” aufteilten, sie als Personalversorgungseinrichtung und reine Serviceagentur missverstünden oder gar als "Freitankstelle” betrachteten. Für die Mitbestimmung gibt es keine Bestandsgarantie. Ihre Sicherung und Modernisierung verlangt eine strategisch angesetzte Bündelung der Kräfte. Der Hans-Böckler-Stiftung sollte dabei eine herausgehobene Rolle eingeräumt werden, als Katalysator und Denkfabrik - als unabhängiges und kritisches Forum zur Förderung und Begleitung der Mitbestimmung. So gesehen sollte es nicht als Sakrileg missverstanden werden, wenn die Stiftung sich den Namen geben würde, der es auf den Punkt bringt: "Stiftung Mitbestimmung”. Hans Böckler hätte im Interesse der Sache sicher nichts dagegen.

 

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