zurück
Magazin Mitbestimmung

: Mitbestimmung als Gegenspieler

Ausgabe 06/2006

Vom Kapitalmarkt gehen mächtige Kräfte aus. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer muss demgegenüber ihre Kompetenzen ausspielen und mit allen Mitteln deutlich machen: Ein Unternehmen ist mehr als eine spekulative Anlage.



Von Lothar Kamp und Alexandra Krieger
Lothar Kamp leitet die Abteilung Mitbestimmungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung, Alexandra Krieger ein Wirtschaftsreferat.


Vor allem börsennotierte Unternehmen werden von den Kapitalmärkten unter Handlungsdruck gesetzt. Wie zum Beispiel die Linde AG. Mit den Industriegasen hat Linde eine hochprofitable Sparte, während der Bereich Gabelstapler am Rande der Verlustzone operiert. Mit der Möglichkeit der Quersubventionierung verstößt der Mischkonzern gegen gängige Shareholder-Value-Prinzipien.

Das könnte brisant werden. Denn sobald die Großaktionäre Allianz, Deutsche Bank und Commerzbank ihre Anteile an der Linde AG verkaufen, fällt die Schutzzone für das Unternehmen. Vorstandsvorsitzender Wolfgang Reitzle versucht, die Begehrlichkeiten des Kapitalmarktes schon jetzt zu dämpfen, indem er Milliarden in den Kauf des britischen Industriegasherstellers BOC investiert, um eine Weltmarktführerstellung zu erlangen. Die Gabelstapler will er verkaufen. Das Unternehmen ist jetzt zwar vor einer ungewollten Übernahme besser geschützt, die Zukunft der Beschäftigten im Gabelstaplerbereich aber ungewiss.

Industrielle Konflikte spitzen sich zu

In einer kapitalmarktorientierten Wirtschaft stößt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer an Grenzen. Sie operiert im nationalen Rahmen und hat über ihre Gremien zunächst nur begrenzt Einfluss auf die neuen wirtschaftlichen Strategien. Andererseits beobachten wir, wie industrielle Konflikte zunehmen, weil der Renditedruck an Unternehmen und Arbeitnehmer weitergereicht wird:

Im Kampf gegen die Standortschließung der AEG Nürnberg gelang es der IG Metall mit einem Sozialtarifvertrag, den Preis für die Standortschließung deutlich zu verteuern. Bei der Cateringfirma Gate Gourmet streikten Arbeitnehmer in Düsseldorf und London gegen massive Verschlechterungen - Arbeitszeitverlängerungen, Lohnkürzungen und Personalabbau -, die der Finanzinvestor Texas Pacific Group durchsetzen wollte.

Auch bei der Adam Opel AG wird Gegenwehr organisiert gegen ein Regime der Kennziffern, mit dem Arbeitnehmer und Standorte in Europa gegeneinander ausgespielt werden. Vielfach sind Arbeitnehmer und ihre Vertreter heute gefordert, unverhältnismäßigen Renditeforderungen und der Logik der Kapitalmärkte Grenzen zu setzen.

Unter dem Druck der Shareholder-Value-Orientierung werden die Unternehmen konsequent auf Effizienz ausgerichtet; Quersubventionen zwischen Unternehmensteilen gelten als nicht zulässig, der Verkauf unrentabler oder nicht zum Kerngeschäft zählender Geschäftsfelder wird forciert und oft wird ein kontinuierlicher Beschäftigungsabbau betrieben. Daneben werden die Unternehmen gezwungen, kurzfristiger zu handeln. Jahresabschlussdaten werden immer schneller nach dem Bilanzstichtag veröffentlicht, Investoren mit Hilfe von Quartalsberichten auch unterjährig über die wirtschaftliche Lage unterrichtet.

Unterstützt wird die Doktrin des Shareholder-Value durch eine neoliberale Wirtschaftsordnung, die den Markt vergöttert und dem Staat empfiehlt, sich herauszuhalten. In der Europäischen Union sind Anpassungsprozesse an das angelsächsische Modell in Form einer Liberalisierung von Güter- und Finanzmärkten erkennbar, auch wenn dies europäischen Traditionen zuwiderläuft. In Frankreich greift der Staat regulierend in die Wirtschaft ein. In Deutschland haben die Stakeholder traditionell eine starke Stellung. Bei uns bot die wechselseitige Verflechtung von Industrieunternehmen und Banken einen Schutzraum; Kooperation ging oft vor Konkurrenz in diesem System, in dem Gewerkschaften und Mitbestimmung eine starke Stellung erwuchs.

Doch die Deutschland AG befindet sich in rascher Auflösung. Die Banken stoßen nach und nach ihre Industriebeteiligungen ab. Sie sehen im Investment-Banking, der Beratung bei Unternehmenskäufen und Börsengängen, ein lukrativeres Betätigungsfeld als im Kreditgeschäft. Und beide, Banken und Unternehmen, positionieren sich in einer globalen Wirtschaft und brauchen dabei vor allem eines - Kapital. Das sichert ihnen den Zugang zu ausländischen Produktions- und Absatzmärkten, macht die Finanzierung von Investitionen und Innovationen möglich.

Und dieses Kapital gibt es heute vor allem am Kapitalmarkt. Hier trifft das Unternehmen auf Investmentfonds, Kleinaktionäre, vermögende Privatleute und Investmentbanken, die bereit sind, ihr Geld auf Erfolg versprechende Unternehmen mit guten Geschäftsideen zu setzen, und die ihren Kunden attraktive Renditen versprechen.

Eckpunkte für Arbeitnehmer

Das Unternehmen präsentiert sich auf Roadshows gegenüber den potenziellen Investoren, es muss jene Analysten überzeugen, die Anlage- und Finanzempfehlungen aussprechen. Rating-Agenturen treten auf den Plan und bewerten, wie kreditwürdig vor allem internationale Konzerne sind. Der Wert des Unternehmens bestimmt sich auch danach, wie viel die künftigen Erträge aus heutiger Sicht wert sind. Dabei wird auch Vermögen berücksichtigt, das nicht in den Bilanzen steht, wie Markennamen, Geschäftsideen und Branchenwissen. Ein wesentlicher Teil des Unternehmenswertes besteht also aus fiktivem Kapital.

Das Gütesiegel der Analysten hat seinen Preis: Transparenz. Wer sein Geld in die Hände anderer legt, verlangt nach Einblicken in Finanzdaten, Geschäftsprozesse sowie Kunden- und Lieferantenbeziehungen.

Die neuen Eigentümer haben Mechanismen entwickelt, wie sie das Management auf die Steigerung des Shareholder-Value hin verpflichten: Über Aktienoptionen sind die Manager berechtigt, Aktien des Unternehmens zu einem vorher festgelegten Preis zu kaufen und später zu dem aktuellen Aktienkurs zu verkaufen. Ist der Aktienkurs gestiegen, gewinnt auch der Manager. Er wird daher Maßnahmen fördern, die der Ertrags- bzw. Aktienkurssteigerung dienen, wie etwa Personalabbau.

Damit droht ein organisches, kontinuierliches Unternehmenswachstum aus dem Blick zu geraten zugunsten einer kurzfristigen Ertragssteigerung. Gleichzeitig muss man sehen: Ein hoher Aktienkurs schützt das Unternehmen vor einer ungewollten, feindlichen Übernahme.

Vielfältige Faktoren disziplinieren heute ein Unternehmen, nach der Logik des Kapitalmarktes zu handeln und dessen Interessen zu verinnerlichen. Damit sind der Kapitalmarkt und seine Vertreter zu externen Unternehmenskontrolleuren geworden.

Doch kann diese externe Kontrolle vollkommen versagen, wie die Finanzskandale um die US-Konzerne Enron und Worldcom zeigen. Außerdem neigt das System zur direkten Gefährdung von Unternehmen: Weil die Renditen von Beteiligungsgesellschaften und Hedge-Fonds deutlich zurückgehen, versuchen diese, durch aggressivere Strategien aus den Unternehmen noch mehr Gewinn abzuschöpfen.

Die Mitbestimmung stellt hier als Instrument interner Unternehmenskontrolle ein sinnvolles Gegengewicht dar. Angesichts der erheblichen Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsverhältnisse müssen sich die Akteure der Mitbestimmung intensiv mit der Logik des Kapitalmarktes auseinander setzen. Einige Eckpunkte:

* Wie weit beeinflusst der Kapitalmarkt das Unternehmen?
Arbeitnehmervertreter müssen zuallererst Stärken und Schwächen ihres Unternehmens aus dem Blickwinkel von Investoren und Analysten untersuchen. Je mehr die Aktionärsstruktur von institutionellen Investoren dominiert wird, je mehr eine Fremdfinanzierung über Kapitalmarkttitel wie Anleihen und Schuldverschreibungen zu Buche schlägt, desto stärker wird sich das Interesse renditeorientierter Anleger artikulieren.

In der Anlegerszene begehrt ist ein Unternehmen mit hohem Cashflow, mit einer stabilen Ertragslage und mit Produkten, die sich am Anfang der Reifephase befinden; dies und ein höherer Wert der Einzelteile eines Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtwert signalisieren Selbstfinanzierungskraft, mit der sich Anleihezinsen und Dividenden bezahlen lassen.
Abschreckend auf renditehungrige Investoren wirken dagegen eine kapitalintensive Produktion, hohe Wachstumsraten und ein saisonabhängiges Geschäft, da in solchen Situationen meist ein höherer Finanzmittelbedarf besteht, der nicht für Ausschüttungen zur Verfügung steht.

* Einflussmöglichkeiten im Aufsichtsrat sichern
Rechtzeitig, also bevor das Unternehmen eine ausgeprägte Kapitalmarktstrategie verfolgt, sollten Arbeitnehmervertreter auf einen erweiterten Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte hinarbeiten, um sich im Aufsichtsrat Einflussmöglichkeiten zu sichern.

Darin könnten Zustimmungsvorbehalte verankert werden bei Fusionen oder Großinvestitionen, bei Unternehmensübernahmen, Kapitalerhöhungen oder Börsengängen. Sind erst einmal konkrete Kapitalmaßnahmen in Planung, lassen sich diese - vor allem bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen im Aufsichtsrat - häufig nicht mehr durchsetzen, weil sie als Verkaufshemmnis in Übernahmeverhandlungen wirken.

* Plattformen wie die Hauptversammlung nutzen
Beschäftigteninteressen lassen sich auch außerhalb der klassischen Mitbestimmungsgremien vertreten, wenn Arbeitnehmer selbst zu Investoren werden. Die "Belegschaftsaktionäre in der Siemens AG" begleiten seit 1994 die Geschäftspolitik "ihres" Konzerns als kritischer Belegschaftsaktionärsverein. Auf der Hauptversammlung vertreten sie - gegenüber den Aktionärsvereinen - die Interessen der Siemens-Beschäftigten: Sicherung von Beschäftigung, angemessene Erfolgsbeteiligung, Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Ausbau der Mitbestimmung. Die Belegschaftsaktionäre treten damit einer einseitigen Ausrichtung des Konzerns am Shareholder-Value selbstbewusst entgegen.

Auch die Auslagerung von Pensionsverpflichtungen des Unternehmens in einen Pensionsfonds kann Einflussmöglichkeiten eröffnen. In den USA reden Gewerkschaften bei der Anlagepolitik der Fonds ein Wort mit. Arbeitnehmervertreter könnten selbst Roadshows als Plattform nutzen, um mit den potenziellen Investoren ins Gespräch zu kommen und ihre speziellen Kenntnissen einbringen - etwa wie sie die Human-Resource-Strategien einschätzen.

* Bündnisse mit anderen Stakeholdern schließen
In einigen Fällen gelingt es, andere Stakeholder mit ins Boot zu holen, eine Strategie, mit der die Arbeitnehmervertreter der Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA in Bremen ihre Interessen durchgesetzt haben. Durch Aktivierung von Bremer Bürgern, Mietern und Subunternehmern gelang es ihnen, mit Hilfe eines Bürgerbegehrens den Verkauf der Gesellschaft an einen Finanzinvestor zu verhindern.

Auch beim Automobilzulieferer Peguform konnten sich Betriebsräte zusammen mit Lieferanten und Geschäftsführern auf eine Strategie zur Rettung des Unternehmens einigen - und damit das Unternehmen dem aggressiven Zugriff des Finanzinvestors entziehen. Öffentlichkeitsarbeit und mediale Aufmerksamkeit spielten hierbei eine entscheidende Rolle.

Arbeitnehmervertretungen sollten außerdem ihrem Management den Rücken stärken, wenn dieses aus guten Gründen andere Unternehmensstrategien verfolgt, als sie der Kapitalmarkt stereotyp einfordert. Etwa um weiter eine Mischkonzernstrategie zu verfolgen, die das Risiko bei unterschiedlichen Konjunkturschwankungen der einzelnen Branchen streut und Investitionen in neuen Feldern bezahlbar macht.

Auch die Haltung von Managern wie Wendelin Wiedeking verdient die Unterstützung der Arbeitnehmervertreter, wenn er sich dem Widersinn der Quartalsberichte entzieht. Wiedeking bezweifelt den Aussagegehalt einer unterjährigen Berichterstattung für die Aktionäre - auch in dem Wissen, dass sie oft auf die Gewinnforderungen der Analysten hin gestaltet wird.
In einigen Fällen könnten Betriebs- und Aufsichtsräte sogar auf die Unterstützung der Aktionäre setzen; manchmal halten die Aktionäre die angeblichen Effizienzgewinne von Personalabbaumaßnahmen für ebenso fragwürdig und kurzsichtig wie die betroffenen Beschäftigten selbst.

* Grenzüberschreitende Arbeitnehmerkontakte aufbauen
Wenn Unternehmensgrenzen fast keine Rolle mehr spielen - sowohl bei der Kapitalbeschaffung für Unternehmen wie bei Fusionen und Verkäufen, dann müssen die Vertreter der Arbeitnehmer-Mitbestimmung ihre Strategien durch Vernetzung auf internationaler Ebene anpassen. Im Umgang mit kapitalmarktorientierten Strategien wird internationale gewerkschaftliche Kooperation zur Schlüsselkompetenz. Der Finanzmarkt-Kapitalismus ist kein naturwüchsiger Sachzwang, sondern fordert eine selbstbewusste Mitbestimmung geradezu heraus, gestaltend einzuwirken.

 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen