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Magazin Mitbestimmung

: Mehr als eine Formsache

Ausgabe 07/2006

Mit der Debatte um gute Unternehmensführung ist das Interesse an den Berichten des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung gestiegen. Oft sind sie nur formelhaft abgefasst - die neue Rechtsprechung verlangt mehr.



Von Sebastian Sick, LL.M.Eur. Der Autor ist Experte für Unternehmensrecht im Referat Wirtschaftsrecht der Hans-Böckler-Stiftung.
sebastian-sick@boeckler.de



Gemäß § 171 Abs. 2 des Aktiengesetzes (AktG) muss der Aufsichtsrat als Kontrollgremium eines Unternehmens gegenüber der Hauptversammlung schriftlich Bericht erstatten. In der Praxis wird dieser Berichtspflicht oft durch reichlich knappe Texte Genüge getan, die kaum Rückschlüsse auf eine Überwachungstätigkeit zulassen. Ein Urteil des Landgerichts München vom 10. März 2005 (5 HK O 18110/04, abgedruckt in AG 2005, 408 ff.) hat aber Bewegung in die Diskussion gebracht. Die Richter verlangen darin eine sehr detaillierte Berichterstattung des Aufsichtsrats und erteilen allzu zurückhaltenden Berichten eine Absage.

In der Begründung ihres Urteils heißt es, der Bericht dürfe "Art und Umfang der Überwachungstätigkeit, die zu den zentralen Aufgaben des Aufsichtsrats im Kompetenzgefüge einer Aktiengesellschaft gehört, nicht nur formelhaft behandeln." Vielmehr, so heißt es weiter, müsse er neben der Zahl der Sitzungen auch "Angaben über die Häufigkeit der Prüfung, über Gegenstand und ihre Methoden" enthalten. Neben der Darstellung der Überwachung durch Berichte gemäß § 90 Abs. 1 oder Abs. 3 AktG seien auch Angaben über Einsichtnahmen in Bücher, Schriften etc. im Sinne des § 111 Abs. 2 AktG zu machen.

Im vorliegenden Fall war das Gericht der Meinung, ein Bericht des Aufsichtsrats würde diesen Anforderungen nicht gerecht, wenn er darauf verweise, "der Vorstand habe dem Aufsichtsrat laufend über die wesentlichen Geschäftsvorgänge und eingehend über die Lage des Unternehmens berichtet, insbesondere seien die Umsätze, Kosten und Entwicklung der durchgeführten Rationalisierung besprochen worden". In dem Urteil heißt es, es liege ein "Informationsdefizit der Aktionäre vor, das zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses über die Entlastung des Aufsichtsrats führt."

Das Landgericht München hat seine Rechtsprechung in einem weiteren Urteil vom 22. Dezember 2005 (5 HK O 9885/05, besprochen in ZIP 2006, 952 ff.) gegen die Hypovereinsbank AG nochmals untermauert. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die erhöhten Anforderungen nun ausdrücklich in einem Urteil gegen die RTV Family Entertainment AG für den Fall bestätigt, dass sich das Unternehmen in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet oder risikoträchtige, wegweisende Entscheidungen getroffen wurden (Urteil vom 15.03.2006 (20 U 25/05), abgedruckt in ZIP 2006, 756 ff. und BB 2006, 1019 ff.). Die Intensivierung der Überwachungspflicht bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft ziehe eine Intensivierung der Berichtspflicht nach sich.

Wer braucht den Bericht und warum?

Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung soll zwei Hauptzwecken dienen. Erstens soll er die Aktionäre und die Öffentlichkeit über das Ergebnis der Prüfung der Abschlussunterlagen durch den Aufsichtsrat unterrichten. Diese eigene Prüfung ist eine wichtige Aufgabe des Aufsichtsrats. Er muss dabei abschließend erklären, ob er Einwendungen erhebt, die zur Einschränkung des Bestätigungsvermerks führen müssten, und ob er den Abschluss billigt.

Zweitens muss der Aufsichtsrat in dem Bericht Rechenschaft über seine gesamte eigene Tätigkeit ablegen. Er muss erklären, in welcher Art und in welchem Umfang er die Geschäftsführung überprüft hat. Die genannten Urteile beziehen sich auf diesen zweiten Teil der Berichterstattung. Dazu bietet das Gesetz jedoch nur wenig Konkretes. Dem Wortlaut nach muß der Bericht des Aufsichtsrats aber wenigstens folgende Inhalte umfassen:

- Bericht über das Ergebnis der Prüfung der Abschlussunterlagen (Jahresabschluss, Lagebericht, Vorschlag über Verwendung des Bilanzgewinns, bei Mutterunternehmen auch den Konzernabschluss und Konzernlagebericht)

- Bericht über das Ergebnis der Prüfung des Abhängigkeitsberichts bei Aktiengesellschaften (Bericht über Beziehungen zu verbundenen Unternehmen)

- Art und Umfang der Prüfung der Geschäftsführung

- Berichtspflicht über Bildung von Ausschüssen bei börsennotierten Gesellschaften

- Berichtspflicht über Zahl der Sitzungen von Plenum und Ausschüssen bei börsennotierten Gesellschaften

- Berichtsempfehlung über Interessenkonflikte nach dem Deutschen Corporate Governance Kodex

- Berichtsempfehlung des Kodex, wenn ein Aufsichtsratsmitglied an weniger als der Hälfte der Sitzungen teilgenommen hat

Das Landgericht München urteilt nun detaillierter über die seit jeher umstrittene Frage, was mit "Art und Umfang der Prüfung der Geschäftsführung" gemeint ist. Bisher wurde dieser Punkt oft als reine Formsache betrachtet. Das galt insbesondere, wenn bei der Prüfung keine besonderen Probleme auftraten und keine außergewöhnlichen Prüfungsmaßnahmen getroffen wurden.

Oft gab man sich mit Leerformeln zufrieden, in denen der Aufsichtsrat versicherte, er habe die Geschäftsführung aufgrund der Vorstandsberichte und gemeinsamer Sitzung mit dem Vorstand laufend überwacht. An diesem Punkt hat das Landgericht München nun Klarheit geschaffen: Solche summarischen Berichte genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Das Gericht fordert, dass der Aufsichtsrat nach §171 Abs. 2 AktG detailliert über die von ihm vorgenommenen Prüfungsmaßnahmen berichten muss. Es fordert in jedem Fall die Angabe der Häufigkeit der Prüfung, deren Gegenstand und deren einzelne Überwachungsmethoden. Zu Letzterem gehören die Regel- oder Anforderungsberichte des Vorstands und die Einsicht in die Bücher oder Schriften der Gesellschaft. Über alle außergewöhnlichen oder problematischen Vorkommnisse muss der Aufsichtsrat - jedenfalls unstreitig bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten - berichten.

Praktische Folgen des Urteils

Um Kritik an der eigenen Arbeit vorzubeugen und die Verteidigung in möglichen Haftungsprozessen zu erleichtern, sollten Aufsichtsräte sich von einer formelhaften Berichterstattung verabschieden und möglichst detaillierte Berichte abliefern, wie sie in vielen börsennotierten Unternehmen schon gebräuchlich sind. Der Bericht über Art und Umfang der Prüfung der Geschäftsführung sollte demnach folgende Fragen beantworten:

- Welche Fragen standen im Mittelpunkt der Aufsichtsratssitzungen?

- In welchen Fällen hat der Aufsichtsrat die erforderliche Zustimmung erteilt?

- Mit welchen grundlegenden strategischen Fragen hat sich der Aufsichtsrat im Rahmen der Unternehmensplanung auseinander gesetzt?

- Welche besonderen Berichte hat er vom Vorstand angefordert?

- Hält der Aufsichtsrat das Risikoerfassungssystem der Gesellschaft für ausreichend und teilt er die Risikobeurteilung des Vorstands?

- Wurde die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats geändert, und wenn ja, wie?

- Welche Prüfungsschwerpunkte hat er bei der Auftragserteilung an den Abschlussprüfer vorgesehen?

- Welche Veränderungen bei der Vorstandsbesetzung gab es, und aus welchen Gründen?

- Zu welchen Fragen und mit welchem Ergebnis wurden Sachverständige hinzugerufen?

Was sind nun aber die direkten rechtlichen Konsequenzen einer fehlerhaften Berichterstattung? Das Landgericht München geht in dieser Frage sehr weit und sieht darin generell einen Anfechtungsgrund für die Entlastung des Aufsichtsrats nach § 120 Abs. 2 Aktiengesetz. Es argumentiert, mit der Entlastung billige die Hauptversammlung die Verwaltung als im Großen und Ganzen gesetzes- und satzungsmäßig. Ein unzureichender Aufsichtsratsbericht biete dazu aber keine ausreichende Informationsbasis. Die Versagung der Entlastung hat zwar keine unmittelbaren rechtlichen Folgen - sie hat aber eine nicht unwichtige psychologische Bedeutung als eine Art fehlende Vertrauenserklärung.

Obwohl die Urteile des Landgerichts München keine letztinstanzliche Rechtsprechung darstellen, wird man bloß formelhafte Berichterstattung nicht mehr mit gutem Gewissen vertreten können. Wo es solche Berichtspraktiken noch gibt, sollten diese durch Berichte mit den oben beschriebenen, konkreten Inhalten ersetzt werden. Die detaillierte Berichterstattung verschafft dem Aufsichtsrat Rechtssicherheit und bietet zugleich die Möglichkeit, selbstbewusst über die ordnungsgemäße Erfüllung der Überwachungsaufgabe zu berichten und eventueller Kritik vorzubeugen.

 

Zum Weiterlesen

Vetter, Eberhard: Die Berichterstattung des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung als Bestandteil seiner Überwachungsaufgabe. Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIP 2006, S. 257 ff.

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