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Magazin Mitbestimmung

: Fit fürs Aufsichtsgremium

Ausgabe 09/2004

Immense Werte werden bei Unternehmenszusammenbrüchen vernichtet. Auch deshalb ist eine effiziente Unternehmensführung und -kontrolle zum Topthema geworden. Können Aufsichtsräte, die maximal viermal im Jahr tagen, überhaupt ihrer Verantwortung gerecht werden? Und wie können sie ihre Arbeit verbessern?

Von Matthias Müller
Dr. Müller leitet das Referat Wirtschaft II in der Hans-Böckler-Stiftung. Er ist in der Weiterbildung von Aufsichtsräten tätig und hat selbst zwei Mandate.


Hat eigentlich der Aufsichtsrat oder der Board nichts gemerkt? Das fragen alle immer dann, wenn gewaltige Schieflagen von Unternehmen wie aus dem Nichts auftauchen und ganze Branchen und den Aktienmarkt in die Krise ziehen. Und Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze verlieren, Sparer ihre Kapitalanlage und die Region Teile ihrer Steuereinnahmen einbüßt. Unternehmenszusammenbrüche wie die des amerikanischen Energieriesen Enron, des niederländischen Einzelhändlers Ahold oder des italienischen Milchunternehmens Parmalat vernichten immense Werte. Deshalb ist die Corporate Governance, die Unternehmensbeherrschung, in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses geraten.
Obwohl diese Mega-Crashs sich im Ausland abgespielt haben - zum Teil in anderen Rechtssystemen ohne Aufsichtsrat - ist die deutsche Diskussion nicht davon abgekoppelt. Auch hierzulande gab es Insolvenzen, die von heftigen Vorwürfen gegen das Aufsichtsgremium begleitet wurden. Spätestens mit der Holzmann-Insolvenz begann eine öffentliche Debatte darum, wie effektiv der Aufsichtsrat den Vorstand überwacht. In §111 Abs. 1 des Aktiengesetzes ist die Aufgabenstellung des Aufsichtsrates so umrissen: "Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen." Folglich müsste der Aufsichtsrat jederzeit in der Lage sein, bedenkliche Entwicklungen zu erkennen, Fehlsteuerungen zu korrigieren und Manipulationen aufzudecken. Aber das ist leichter gesagt, als getan. Öffentlichkeit, Medien, Politiker und interessierte Bürger haben offenbar Vorstellungen von der Aufgabe und Funktion des Aufsichtsrates, die durch die Praxis nicht erfüllt werden können - zum Teil, weil die Rahmenbedingungen hierfür nicht hinreichend gestaltet sind, zum Teil, weil sich kritische Stimmen nicht immer durchsetzen können.

Hoch gesteckte Erwartungen an den Aufsichtsrat

Neben der Überwachung gehören zu den Aufgaben der Aufsichtsräte die Be- und Anstellung der Vorstandsmitglieder und die Beauftragung des Abschlussprüfers für den Jahresabschluss oder den Konzernabschluss. Eine weitere, besonders verantwortungsvolle und gewichtige Aufgabe wird den Aufsichtsräten mit der eigenen Prüfung und Billigung der Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse zugewiesen. Diese gesetzlich definierten Aufgaben wurden ab 2002 durch den deutschen Corporate Governance Kodex präzisiert (siehe Infobox Seite 37). Der Kodex ist in erster Linie ein Regelwerk für börsennotierte Gesellschaften, das von einer Expertenkommission aus der Wirtschaft entwickelt wurde, in der auch ein Gewerkschafter, DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer, mitarbeitet. Der Kodex präzisiert und ergänzt die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit von Vorständen und Aufsichtsräten um weitere sinnvolle Regeln. Regeln, die die Unternehmensführung und -überwachung transparenter und effektiver machen sollen. Börsennotierte Gesellschaften haben einmal im Jahr zu erklären, in welchem Umfang sie den Kodex einhalten und von welchen einzelnen Regeln sie möglicherweise abweichen.
Der Kodex hat die Anforderungen an Aufsichtsräte weiter erhöht und damit auch die Differenz zwischen den Erwartungen der Öffentlichkeit und den realen Möglichkeiten des Aufsichtsrates weiter verschärft. Die Rahmenbedingungen der Aufsichtsratsarbeit könnten besser sein: Die Aufsichtsräte müssen lediglich mindestens viermal pro Jahr tagen, in nicht börsennotierten Gesellschaften kann die Frequenz per Beschluss des Aufsichtsrates sogar re-duziert werden. Die Aufsichtsratssit-zungen dauern zwischen zwei Stunden und einem Tag; in exotischen Ausnahmefällen kommt es zu zwei-tä-gigen Zusammenkünften. Niemand kann annehmen, dass zweistündige Sitzungen ausreichend sind, um den Vorstand effektiv zu überwachen. 
Die Überwachung der Geschäftsführung erfolgt gemeinhin so: Der Vorstand gibt schriftliche und mündliche Berichte ab, und anschließend findet eine Diskussion darüber statt. Gute Praxis der Arbeitnehmervertreter ist es, sich zu einer Vorbesprechung zu treffen, um die Sitzung intensiv vorzubereiten. Die Vertreter der Arbeitnehmer haben den Vorteil gegenüber den Anteilseignervertretern, den Bericht des Vorstands kritisch prüfen zu können - vor dem Hintergrund ihrer betrieblichen Praxis und ihrer unternehmensinternen Informationen. 

Reale Grenzen der Überwachungseffektivität

Und dennoch sind der Überwachungseffektivität des Aufsichtsrats Grenzen gesetzt - aus folgenden Gründen:
* Die Handlungsverantwortung liegt beim Vorstand. Er hat die Strategie zu entwickeln und die notwendigen Entscheidungen zu fällen. Der Aufsichtsrat ist ein kritischer Begleiter und Berater mit der Kompetenz, die Notbremse zu ziehen.
* Zwar können die unterschiedlichen Sichtweisen im Aufsichtsrat befruchtend wirken, es fehlt aber zu häufig die Bereitschaft, andere Positionen "offen" zu akzeptieren.
* Überwachung kann nicht heißen, dass jegliches Vorstandshandeln vom Aufsichtsrat mit Misstrauen betrachtet wird. Daher fordert auch der Kodex: "Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten zum Wohle des Unternehmens eng zusammen."
* Das können sie aber nur, wenn die Vorstandsmitglieder einen gewissen Vertrauensvorschuss auch verdienen, wodurch klar wird, wie bedeutsam die - gelegentlich unterschätzte - Aufsichtsratsaufgabe der Bestellung und Anstellung des Vorstands ist.
* Anteilseignervertreter vertrauen zu stark "ihren" Leuten im Vorstand und hören nicht so gern auf kritische Stimmen aus der Arbeitnehmerecke.
* Bisweilen vorkommende Geheimniskrämerei durch den Vorstand oder den Aufsichtsratsvorsitzenden behindert die Aufsichtsratsarbeit, weil Überwachung ein Mindestmaß an Transparenz erfordert.
* Nicht zuletzt nimmt die Komplexität unternehmerischen Handelns immer weiter zu, was die Steuerbarkeit behindert. Und erfolgsorientiertes Handeln ist auch nur eine begrenzt rationale Veranstaltung; Fehlleistungen sind selbst dann nicht auszuschließen, wenn kritische Beobachter dabei sind.

Klar umrissene Zustimmungsvorbehalte

Dazu kommen weitere Hemmnisse für eine effektive Aufsichtsratsarbeit: Die sind im Selbstverständnis, der Qualifikation, der starken zeitlichen Inanspruchnahme und in möglichen Interessenkonflikten begründet. Letzteres betrifft besonders die Vertreter der Anteilseigner, weil für Arbeitnehmervertreter bereits seit längerem enge, bindende Regeln des DGB und seiner Gewerkschaften gelten, die solchen Konflikten vorbeugen sollen.
So können Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat sitzen, die gleichzeitig Mitglied in bis zu zehn gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten sind und noch ein eigenes Vorstandsmandat in einem anderen Unternehmen haben. Dass diese Vertreter nicht wirklich gut überwachen können, dürfte offensichtlich sein. Immerhin geht der DGB von einem Aufwand von zirka zwölf Tagen pro Aufsichtsratsmandat und Jahr aus.
An sich sollte es aufgrund der Interessenkollisionen wohl auch ausgeschlossen sein, dass der Vertreter der eigenen Hausbank im Aufsichtsrat sitzt oder ein Kunde oder Lieferant. Derartige Konflikte sind aber durchaus möglich, weil das Gesetz solche Konstellationen nicht verbietet. Doch hat sich die Lage in vielen Unternehmen bereits deutlich gebessert, weil einerseits der positive Einfluss des Kodex und verschiedener gesetzlicher Änderungen wirksam ist und sich die Aufsichtsräte auf höhere Standards verständigen. Besonders wichtig ist die nunmehr gesetzliche Pflicht des Aufsichtsrats, einen Katalog von Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats festzulegen. Ohne einen solchen Katalog waren die jeweiligen Aufsichtsräte zahnlose Tiger, da sie kaum etwas zu bestellen hatten - außer den Vorstand.
Die gesetzliche Aufgabenstellung unterscheidet nicht zwischen Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Die Angehörigen beider "Bänke" tragen die gleiche individuelle Verantwortung für das Unternehmenswohl, unterliegen den gleichen Sorgfaltspflichten und müssen die gleichen straf- wie zivilrechtlichen Konsequenzen aus Fehlverhalten tragen. Für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist die Aufgabe aber noch anspruchsvoller, da die Beschäftigten, die sie gewählt haben, den Anspruch haben, dass zusätzlich ihre Interessen vertreten werden. Mitbestimmen heißt schließlich auch Teilhaben und Mitgestalten.
Daraus kann sich im Einzelfall durchaus ein Rollenkonflikt ergeben, weil das Unternehmensinteresse nicht identisch mit den Interessen der Arbeitnehmer sein muss. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn unabweislich Kapazitäten abgebaut werden müssen und damit Arbeitsplätze verloren gehen. Anteilseigner unterliegen solchen Konflikten übrigens durchaus auch, da das Interesse der Aktionäre an hohen Ausschüttungen von Dividenden mit dem Unternehmensinteresse einer guten Eigenkapitalausstattung kollidieren kann.

Qualifizierungsbedarf nimmt sprunghaft zu

Auch die Frage der Qualifikation betrifft alle Mitglieder des Aufsichtsrats - unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer der "Bänke". Welches Aufsichtsratsmitglied kann hinreichend die Risiken von Cash-Pooling-Systemen, die Wirkungen verschiedener Modelle der wertorientierten Unternehmensführung oder die Bedeutung der latenten Steuern im Konzernabschluss beurteilen? Da fällt so manchem nicht viel ein.
Auch hier ist die Arbeitnehmerbank im Vorteil, da sie über unternehmensinterne Vertreter verfügt, die Kenntnisse über die spezifische Technik und organisatorische Probleme sowie Herausforderungen der Märkte und Kunden haben. Auch betriebswirtschaftliches Know-how ist oftmals durch langjährige Erfahrung im Wirtschaftsausschuss und zusätzli-che Schulungen vorhanden. Anerken-nend hat die Regierungskommission Corporate Governance im Jahre 2001 formuliert: "In der Praxis wird die für die Aufsichtsratsarbeit erforderliche Qualifikation der Arbeitneh-mervertreter durch entsprechende Schulungen sichergestellt, soweit sie nicht bereits aufgrund entsprechender Ausbildung und Erfahrung vorhanden ist."
Dennoch gibt es keinen Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Qualifizierungsbedarf ist vorhanden und nimmt seit einiger Zeit sprunghaft zu, weil fortwährend neue -technisch-organisatorische Konzepte oder neue Managementmodelle die Unternehmen bewegen und damit in den Aufsichtsrat Einzug halten: angefangen von neuen Finanzierungsmodellen über technisch-organisatorischen Wandel bis hin zu veränderten Vertriebs- und Unternehmensstrategien. Allein bei der Rechnungslegung ist mit fortwährendem Wandel zu rechnen: Während die Welt des Handelsgesetzbuches noch relativ stabil war, rechtfertigen allein die Änderungen der International Accounting Standards (IAS/IFRS) des Jahres 2003 einen Wochenkurs für Aufsichtsratsmitglieder.
Die Qualifizierung der Aufsichtsratsmitglieder wird überwiegend von den Gewerkschaften und ihren Bildungseinrichtungen gewährleistet. Im Angebot sind hier auch Spezial-themen zum Risikomanagement, zur strategischen Unternehmens-füh-rung, zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS, zur Corporate Governance und zur Behandlung des Jahresabschlusses im Aufsichtsrat. Doch der Wandel der Aufsichtsratstätigkeit führt auch hier zu Veränderungsbedarf: Vielfach wird die Notwendigkeit aufgegriffen, zu neuen Lernformen zu kommen, die kommunikativen Aspekte stärker zu berücksichtigen und dem Erfahrungslernen einen großen Stellenwert einzuräumen. 
Es ist heute wichtiger denn je, die Angebote zur Qualifizierung wahrzunehmen. Gerade Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten wissen, welche Verantwortung sie haben - für das Unternehmen, seine Arbeitsplätze, Kapitalgeber, Zulieferer. Und dafür müssen sie gut gerüstet sein.

 


Regeln des CG-Kodex - was Aufsichtsräte wissen sollten

Der Corporate Governance Kodex will auch die Arbeit der Aufsichtsräte verbessern. Unter anderem beschreibt der Kodex das Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat so:
* Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.
* Für Geschäfte von grundlegender Bedeutung legen die Satzung oder der Aufsichtsrat Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Aufsichtsrats fest. Hierzu gehören Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern.
* Die ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats ist gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat. Der Vorstand informiert den Aufsichtsrat regelmäßig, zeitnah und umfassend über alle für das Unternehmen relevanten Fragen der Planung, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage und des Risikomanagements. Er geht auf Abweichungen des Geschäftsverlaufs von den aufgestellten Plänen und Zielen unter Angabe von Gründen ein.
* Der Aufsichtsrat soll die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen. Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat sind in der Regel in Textform zu erstatten. Entscheidungsnotwendige Unterlagen, insbesondere der Jahresabschluss, der Konzernabschluss und der Prüfungsbericht, werden den Mitgliedern des Aufsichtsrats möglichst rechtzeitig vor der Sitzung zugeleitet.

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