Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Der Absturz der Gewerkschaftsbank
Skandalträchtige Geschäfte innerhalb der BAWAG haben den ÖGB in die tiefste Krise seines Bestehens geführt. Der innenpolitische Schaden ist immens.
Von Renate Graber
Die Autorin arbeitet als Redakteurin bei der österreichischen Tageszeitung "Der Standard".
Die Pressekonferenz am 24. März 2006 bot eine wahrhaft gespenstische Szenerie, sie ist, obwohl noch ganz frisch, bereits jetzt in die Geschichte des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und seiner "Bank der kleinen Leute", der Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse AG - kurz "BAWAG P.S.K. - eingegangen. Es war der Tag, an dem der BAWAG-Aufsichtsratsvorsitzende Günter Weninger, zugleich ÖGB-Finanzchef, vor die Presse trat, um sich zu den Enthüllungs-Berichten der vergangenen Wochen zu äußern.
Er konnte nichts anderes tun, als die Vorwürfe zu bestätigen und gleichzeitig seinen Rücktritt von allen Funktionen in der BAWAG und im ÖGB anzukündigen. Den Blick gesenkt, die Aktentasche fest umklammert und bleich wie ein Gespenst hatte Weninger neben dem seit Anfang des Jahres amtierenden BAWAG-Chef und Universitätsprofessor Ewald Nowotny am Podium Platz genommen. Sein Auftritt geriet zum offiziellen Anfang vom Ende der Gewerkschaftsbank und zur Entzauberung des ÖGB als ihrem Eigentümer.
Tags zuvor hatte der BAWAG-Aufsichtsrat getagt. Es ging um die Krise der Bank, die dem ÖGB zu 100 Prozent gehört. In den Wochen zuvor war bekannt geworden, dass die BAWAG zwischen 1998 und 2000 mindestens eine Milliarde Euro bei hoch riskanten Spekulationsgeschäften in der Karibik verloren hatte. Die Verluste waren vom damaligen Vorstand unter Helmut Elsner und seinem Nachfolger Johann Zwettler, der 2005 den Hut nehmen musste, verschwiegen worden.
Losgerollt ist die Welle, die zum Beinahe-Absturz der Bank und zum ideologischen Bankrott ihres Eigentümers ÖGB geführt hat, in New York. Und sie hat wenig übrig gelassen. Um die Bank zu retten, musste die Regierung am Tag der Arbeit, dem 1. Mai, eine Staatshaftung von 900 Millionen Euro beschließen. Banken und Versicherer borgen der BAWAG 450 Millionen Euro Eigenkapital. Der unmittelbare Anlass für die Rettungsaktion: Die BAWAG muss für einen Vergleich mit Gläubigern rund um die Insolvenz des New Yorker Brokerhauses Refco 625 Millionen Dollar springen lassen und konnte ihre Bilanz für das Jahr 2005 nicht mehr ohne Hilfe erstellen.
Der ÖGB haftet für all das und muss - bevor der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird - sein gesamtes Vermögen versilbern. Und er sitzt auf rund 1,5 Milliarden Euro Schulden, die er sich bei der Fusion der BAWAG mit der Postsparkasse (P.S.K.) im vorigen Herbst hat umhängen lassen. Damit nicht genug: Der ÖGB muss die BAWAG schnellstens verkaufen.
Die US-Connection
Die Refco-Verwicklungen lassen sich so erklären: Die BAWAG war bis 2002 mit zehn Prozent am größten Brokerhaus der Welt, der von Philipp Bennett gegründeten Refco beteiligt. Erst vor rund zwei Monaten wurde bekannt, dass auch der ÖGB über eine Liechtensteinische Privatstiftung 27 Prozent an Refco gehalten hatte. Bis dahin hatten nur der ÖGB-Finanzchef und Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch davon gewussst.
Nachdem Refco und Bennett im vorigen Oktober in Turbulenzen geraten waren - was wiederum die Wiener Banker zu dem Zeitpunkt nicht wussten - vergab die BAWAG am 9. Oktober noch einen Kredit über 425 Millionen Euro an Refco. Es gab dafür keinen Aufsichtsratsbeschluss, und nur wenige Vorstandsmitglieder wurden involviert. Als Bennett festgenommen worden war, versuchte die BAWAG alles, um das Geld wieder zurückzuholen - aber es war zu spät. In der Folge musste Bankchef Zwettler gehen.
Der Staatsanwalt begann, zu ermitteln, die Finanzmarktaufsicht leitete eine Vorort-Prüfung ein. Im Rahmen der US-Recherchen rund um die Refco-Insolvenz flogen dann auch noch die übrigen Transaktionen auf, über die Bank-Präsident Weninger an diesem schwarzen Freitag im März ebenfalls zu berichten hatte.
Die Beichte des Präsidenten
Man hätte einen Grashalm fallen hören können, als Günter Weninger zu berichten begann. Ende 2000 habe ihn BAWAG-Chef Elsner davon informiert, dass die Bank enorme Verluste aus den Karibik-Geschäften angesammelt habe. Die BAWAG habe keine Bilanz mehr erstellen können. Also habe er dafür gesorgt, dass der ÖGB die Haftung für die Verluste übernimmt. Informiert habe er darüber nur ÖGB-Präsident Verzetnitsch.
Weder der Rest des Aufsichtsrates, noch das ÖGB-Präsidium, noch die Bayerische Landesbank - die damals 46 Prozent der BAWAG hielt - noch die Bankenaufsicht seien informiert worden, gestand Weninger ein. Den Grund dafür erklärte er, während über die Agenturen bereits die Meldung tickerte, dass die "BAWAG Ende 2000 am Rande der Insolvenz gestanden" habe, so: "Es hätte die Gefahr der Indiskretion bestanden, dann hätte womöglich ein existenzgefährdender Run auf die Kundengelder eingesetzt."
Auch den letzten Dolchstoß versetzte sich der heute 65-jährige Weninger, der bis 2003 ÖGB-Vizepräsident gewesen war, an jenem schwarzen Freitag selbst: "Auch der Streikfonds des ÖGB haftet für die Bank mit." Ein Satz mit enormer Sprengkraft: Denn der Streikfonds, mit dem Arbeitsniederlegungen finanziert wurden, war stets die Herzkammer der österreichischen Gewerkschaftsbewegung gewesen.
Nun stellte sich heraus, dass Weninger und der Präsident den Streikfonds schlicht verpfändet hatten. Die Höhe des in einer zugriffssicheren Privatstiftung gebunkerten Streikfonds ist - neben den Evakuierungsplänen für die österreichische Regierung - eines der bestgehüteten Geheimnisse der Republik. Der neue ÖGB-Finanzchef Clemens Schneider widerspricht heute aber nicht mehr, wenn man mutmaßt, dass der Streikfonds längst ziemlich leer geräumt ist.
Genaueres wird die österreichische Nationalbank demnächst erfahren. Die konservative Bundesregierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel hat den ÖGB dazu verdonnert, der Notenbank sein Vermögen offen zu legen - die Kapitulationserklärung des ÖGB. "Wir müssen unsere Unterhosen runterlassen", brachte Schneider das jüngst bildhaft auf den Punkt. So überraschend der BAWAG und der ÖGB auch explodiert sind - der Ausbruch hat sich im Inneren des Vulkans BAWAG jahrzehntelang zusammengebraut.
Der ÖGB hatte nie kontrolliert, wie die Banker des 1922 als "Arbeiterbank" gegründeten Instituts zu ihren Gewinnen und der ÖGB zu seinen Dividenden kam. "Das Problem war, dass das Management in fragwürdige Geschäfte und in eine Unternehmensphilosophie ging, an der der Eigentümer ÖGB aber nicht ganz unbeteiligt war", glaubt auch der Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), Wolfgang Katzian. "Während andere Banken nach Osteuropa gingen, beschloss die BAWAG-Führung, ihre Gewinne aus der Karibik zu holen."
Tatsächlich war Anfang der 90er Jahre längst klar, dass das alte Geschäftsmodell - die BAWAG gibt günstige Kredite und zahlt gute Zinsen auf Spareinlagen - nicht mehr reichte. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als der autoritär herrschende Bankchef Walter Flöttl, der die BAWAG von 1972 bis 1995 leitete, beschloss, seinen in den USA lebenden Sohn, den Investmentbanker Wolfgang Flöttl, Geschäfte für die BAWAG machen zu lassen.
Damals begann auf den internationalen Finanzmärkten das Geschäft mit dem komplexen Derivativhandel zu blühen - und die BAWAG stieg mithilfe von Flöttls Sohn ein. Allerdings wusste kaum jemand von den Milliardenbeträgen, die da (angeblich mit Gewinn) veranlagt wurden - die "ersten" Karibikgeschäfte wurden 1994 mit großem Donnerwetter bekannt.
Die Folge: Die BAWAG wurde geprüft, musste die Geschäfte beenden, und die Banker bekamen vom Finanzminister strenge Auflagen, sollten sie jemals wieder Geschäfte dieser Art machen. Die BAWAG machte. Und zwar ab 1995 unter ihrem neuen Chef Elsner. Und der - ein autoritärer Bankenmonarch wie sein Vorgänger - setzte erneut auf Flöttl. Er verlor gnadenlos Geld. Bereits im Oktober 1998 waren in der Karibik 639 Millionen Dollar versenkt, bis Ende 2000 sollten es 999 Millionen Euro sein.
Weisung zum Verschweigen
Und wieder bewährte sich - vermeintlich - das System BAWAG: Der Chef trifft eine einsame Entscheidung, der restliche Vorstand nickt ab, der Aufsichtsratspräsident wird mit knappen Informationen abgefertigt, bringt seinerseits den ÖGB-Chef zum Abnicken - und der Rest ist Schweigen. Ein Vorstandssitzungsprotokoll, das der Wiener "Standard" veröffentlicht hat, zeigt, wie das ging. Demnach hat Elsner am 26. Oktober 1998 seine Vorstandskollegen und den Präsidenten über den Verlust informiert und zugleich vorgeschlagen, Flöttl weitere 250 Millionen Dollar zur Investition anzuvertrauen.
Zudem gab die BAWAG Flöttl rund 230 Millionen Dollar, auf dass dieser nicht in Konkurs gehe, "weil dies "negative Folgen für die BAWAG... und starken Argumentationsbedarf gegenüber den Eigentümern... und für diesen unabsehbare politische Folgen hätte". Elsner erteilte "die Weisung, nach allen Seiten Stillschweigen zu bewahren, ausdrücklich auch gegenüber dem Aufsichtsrat und den Aktionären, insbesondere gegenüber der Bayerischen Landesbank". Präsident Weninger, der schnell angerufen wurde, schloss sich dem Plan und Schweigegelübde an. Nur ein Vorstandsmitglied stimmte gegen Elsners Plan. Ein Prozedere, das der jetzige ÖGB-Präsident, Rudolf Hundstorfer, so kommentiert: "Das beweist, dass es in der BAWAG eine Bank in der Bank gegeben hat."
Die Karibik-Geschäfte wurden erst Ende 2000 beendet; auch damals wählten Elsner und seine Kollegen den gleichen Weg wie 1998 - und breiteten einen Teppich des Schweigens über die Verluste. Ein Banker, der nicht genannt werden möchte, erklärt: "Wäre Refco nicht dazwischengekommen, dann wüssten wir von alledem heute noch nichts."
Denn die Karibikverluste wurden in einem atemberaubenden Karussell aus Gesellschaften, Privatstiftungen - rund 60 soll allein BAWAG gehabt haben, der ÖGB vier - und Transaktionen rund um den Erdball gewirbelt. Ganz nebenbei machte die Gewerkschaftsbank auch bei so genannten Pipe-Geschäften in den USA mit, bei denen marode Unternehmen aufgekauft und in ihre Einzelteile zerlegt werden. Geschäfte, die Gewerkschafter und Kapitalismuskritiker gemeinhin "Heuschrecken" zuordnen. Die Aufsichtsräte der Bank haben von diesen Engagements vor kurzem aus den Medien erfahren.
Wie und wo die Gelder verschwunden oder wieder aufgetaucht sind, ist Gegenstand von Untersuchungen der Bank, der Staatsanwaltschaft, die gegen die Ex-Bankchefs Elsner und Zwettler ebenso wie gegen Flöttl junior, Refco-Gründer Bennett und die Ex-ÖGB-Funktionäre Weninger und Verzetnitsch ermittelt, sowie der Bankenaufsicht.
Elsner - heute 71, Golfer und Villen-Besitzer in Südfrankreich - ging 2003 in Pension. Im Jahr 2000 hat er sich 6,8 Millionen Euro Pensionsabfertigung auszahlen lassen; im Vorjahr kaufte seine Ehefrau der BAWAG sein Dienst-Penthouse mit mehr als 300 Quadratmetern auf dem Dach der Bankzentrale für 470.000 Euro ab; Elsner bekam einen Versorgungsjob bei der Österreichischen Lotterien GmbH, der mit rund 500.000 Euro im Jahr entlohnt wurde. Sein Vermögen hat er in zwei Privatstiftungen geparkt.
Gewerkschaft als Unternehmer
Die Diskussion, ob sich die Gewerkschaft überhaupt Unternehmen halten soll, wird in ÖGB-Kreisen nur schemenhaft geführt. Derzeit herrscht die Macht des Faktischen: Der ÖGB muss die Bank verkaufen, um seine Schulden bedienen zu können; zudem erarbeitet der Finanzchef gerade einen Sparplan, um der akuten Finanzkrise zu entkommen. GPA-Chef Katzian, einer der Streitbaren im ÖGB, führt die Turbulenzen darauf zurück, dass "der Bankeigentümer ÖGB nie die Grundsatzfrage diskutiert hat, in welche Richtung die BAWAG gehen soll.
Hätte man früher einen Corporate-Governance-Katalog erstellt, hätte die Gewerkschaftsbank wohl eher nicht in Hedge Fonds investiert. Aber alle Diskussionsansätze dafür wurden im Keim erstickt." Dass der "ÖGB eine Haftung für die Bank übernommen hat, ohne dass das Präsidium informiert war, zeigt, welch Klima und Stimmung da geherrscht haben", analysiert der Gewerkschafter.
Dasselbe habe auf der ganz grundsätzlichen Ebene der Gewerkschaft stattgefunden. Der ÖGB habe den Wechsel von der Produktions- in die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft nicht nachvollzogen, "wir haben damals nicht diskutiert, wie man die Gewerkschaftsbewegung neu aufstellt.
Dadurch ist viel versteinert, zumal alte Konflikte der Einzelgewerkschaften und Machtfragen dazukamen." Eine Analyse, der Dietmar Ecker, Chef der Lobbying Agentur Ecker & Partner und kurzfristig Krisenberater der BAWAG, durchaus etwas abgewinnen kann. All das spreche aber nicht grundsätzlich gegen unternehmerische Aktivitäten von Gewerkschaften, meint er, "die Frage ist nur, ob sie Geschäftstätigkeit und Geschäftszweck mit ihren Grundsätzen vereinbaren kann."
Ob der ÖGB als Sozialpartner, der mit den Arbeitgebern Kollektivverträge verhandelt, noch erst genommen wird, lässt sich im wahlkämpfenden Österreich derzeit noch nicht sagen. Katzian gesteht zwar "Imageeinbußen" ein, "ob der ÖGB seine Macht abgegeben hat, wird sich aber erst langfristig herausstellen". Eckers Zeitrechnung ist konkreter, aber ähnlich: "Wenn die Gewerkschaft jetzt ohne Rücksicht auf Sentimentalitäten und persönliche Emotionen aufräumt, dann kann sie überleben. Tut sie das bis zum nächsten Bundeskongress im Januar 2007 nicht, dann ist sie in zehn Jahren tot."