Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungOnlinehandel: Blackbox Zalando
Zalando profitiert enorm vom Zustrom gut ausgebildeter junger Menschen aus den europäischen Krisenländern. Die Mitbestimmungsvereinbarung wurde vom Unternehmen handgestrickt und ver.di außen vor gelassen. Von Gunnar Hinck
Zalando wächst und wächst. Der Online-Modehändler beschäftigt fast 10 000 Mitarbeiter – mehr als doppelt so viel wie noch vor drei Jahren – und offeriert weiterhin Hunderte offener Stellen. Dabei startete die von zwei Jungunternehmern gegründete Firma gerade mal vor acht Jahren in einem kleinen Büro in Berlin.
Zalando profitiert vom Berlin-Hype, der junge Leute aus dem EU-Ausland und besonders aus dem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Südeuropa in die deutsche Hauptstadt zieht. Dort arbeitet in der Zentrale eine internationale Belegschaft, die im Kundenservice das europäische Vertriebsgebiet abdeckt. Die jungen Zalando-Mitarbeiter haben meistens einen Uni-Abschluss, jetzt beantworten sie als „Call Center Specialists“ für Zalando Fragen zu Lieferungen, Rechnungen und falschen Schuhgrößen – und der Onlinehändler kann sich aus einem Heer überqualifizierter Arbeitskräfte bedienen, die froh sind, einen Job zu bekommen.
Einen Job mit Schattenseiten. Mitarbeiter des Callcenters klagen über die hohe Arbeitsbelastung: Die Callcenter sind nach Ländern unterteilt. Beschäftigte, die für „arbeitsintensive“ Länder zuständig sind, müssen bis zu 100 Anrufe pro Schicht abarbeiten, Mitarbeiter für „ruhigere“ Länder weniger. Bei gleichem Stundenlohn. Der liegt nach Mitarbeiterangaben bei 10,50 Euro, was angesichts des Arbeitsstresses viel zu niedrig sei. „Es geht uns um Geld“, sagt eine Callcenter-Mitarbeiterin. Einen Tarifvertrag gibt es bislang nicht.
Diese Gespräche zeigen, dass Zalando nicht die große heile Familie ist, als die man sich nach außen darstellt. Inzwischen hat sich, auch wegen der gärenden Unzufriedenheit, ein Betriebsrat im Kundenservice gebildet. Es ist der erste in der Berliner Zentrale, in einem Outlet-Shop gab es schon vorher einen Betriebsrat.
Keine Ahnung, wie der Aufsichtsrat tickt
Derzeit streitet sich das Unternehmen mit ver.di darüber, ob die Mitbestimmungsvereinbarung der Zalando SE rechtens ist. Die wurde vor zwei Jahren verhandelt, als sich das Unternehmen in eine Europäische Aktiengesellschaft umwandelte, wobei die Drittelbeteiligung vereinbart wurde – und nicht die paritätische Mitbestimmung. Entsprechend sitzen im neunköpfigen Aufsichtsrat nur drei Arbeitnehmervertreter – langjährige Führungskräfte, die nicht repräsentativ sein können für die normalen Mitarbeiter in den Warenlagern, Callcentern und anderen Bereichen des Unternehmens.
Man weiß, dass die Arbeitnehmer-Aufsichtsräte bei Zalando vom SE-Betriebsrat gewählt werden und das Gremium „International Employee Board“ genannt wird. Ansonsten gleichen die Wahlen zum Aufsichtsrat einer „Blackbox“, sagt Martin Lemcke, Bereichsleiter Mitbestimmung bei ver.di. „Wir haben bis heute keinen Einblick in die vereinbarten Regelungen bei Zalando, die die Grundlage der Aufsichtsratswahlen bilden“, sagt er. Auch über den Aufsichtsrat selbst wisse man praktisch nichts. Gegen die verhandelte Mitbestimmungsvereinbarung hatte ver.di beim Arbeitsgericht Berlin Klage eingereicht, Ende Juni 2016 aber in erster Instanz verloren. Der Hintergrund: Die Gewerkschaft ist überzeugt, dass ihre Rechte bei der Wahl des „Besonderen Verhandlungsgremiums“ (BVG), das die Mitbestimmung in der SE verhandelt, missachtet worden sind. Sie kritisiert, dass ihre Informations- und Wahlvorschlagsrechte zum BVG nicht berücksichtigt und dessen Mitglieder in einem intransparenten Verfahren gewählt worden sind.
Nach dem SE-Beteiligungsgesetz hat eine Gewerkschaft Anrecht auf ein Drittel der Stimmen im Verhandlungsgremium, wenn sie „in einem an der Gründung der SE beteiligten Unternehmen vertreten ist“. Das ist die rechtliche Grauzone: Heißt „vertreten“, Mandate in Betriebsräten zu haben, oder dass Gewerkschaftsmitglieder im Unternehmen beschäftigt sind? Welcher Organisationsgrad ist hierfür nötig? Bei der Verhandlung zeigte sich der Richter zeitweise ratlos. „Das ist nicht ganz einfach. Wir betreten hier Neuland“, sagte er am Ende der Verhandlung sichtlich unzufrieden. In der Tat: Es gibt noch keine Rechtsprechung, keine Urteile höherer Gerichte, die Klarheit bringen könnten. Folglich hat das Arbeitsgericht Berlin nur festgestellt, dass es nicht über die Rechtmäßigkeit der Mitbestimmungsvereinbarung entscheiden kann, da gesellschaftsrechtliche Fragen berührt werden.
Nutzen SE-Unternehmen wie Zalando die derzeitigen Grauzonen bewusst aus? Auf jeden Fall nützen ihnen die Unklarheiten, um die Mitbestimmung im Aufsichtsrat klein und vor allem die Gewerkschaft außen vor zu halten. Beide Seiten wollen erst mal die Lage prüfen.
Markus Hoffmann-Achenbach ist für Handel zuständiger ver.di-Gewerkschaftssekretär und hat geteilte Erfahrungen mit dem zweitgrößten Onlinehändler gemacht. Immerhin gibt es bei dem jungen Unternehmen inzwischen drei Betriebsratsgremien, die mit ver.di-Hilfe aufgebaut worden sind, und einen Gesamtbetriebsrat für die Logistikstandorte. Und der ver.di-Sekretär schätzt die gute Zusammenarbeit mit den Personalleitungen.
Aber da ist die „intransparente Wahl“ des SE-Betriebsrats. „Der SE-Betriebsrat wurde indirekt über Delegierte gewählt, womit – aus Sicht der Geschäftsführung – die Wahl unliebsamer Mitarbeiter natürlich eher verhindert werden kann.“ Offenbar wurde hinter den Kulissen gesteuert: „Einer Mitarbeiterin wurde erklärt, dass sie nicht kandidieren könne, weil ihre Abteilung zu klein und damit nicht repräsentativ sei. Mit freien Wahlen hat das wenig zu tun“, sagt Hoffmann-Achenbach. Die indirekte Wahl gibt die umstrittene Mitbestimmungsvereinbarung vor.
ver.di will im Onlinehandel Fuß fassen
Dazu passt, dass der SE-Betriebsrat seine Aufgabe offenbar eher darin sieht, die Mitarbeiterleistung zu erhöhen und nicht die Interessen der Mitarbeiter zu vertreten. In einem internen Handbuch zur Wahl 2016 formulieren die amtierenden SE-Betriebsräte ihre Erwartung, „dass der Betriebsrat zu dem erwächst, was unsere Mitarbeiter (...) zur optimalen Umsetzung ihrer Aufgaben benötigen“.
Für die zuständige Gewerkschaft geht es darum, in diesem prosperierenden Unternehmen des Onlinehandels Fuß zu fassen. Denn jeweils rund 4000 Mitarbeiter sind im Logistikstandort Brieselang in Brandenburg beschäftigt, wo man, was die Mitgliederzahlen angeht, „auf gutem Wege“ sei, heißt es bei ver.di. Am Zalando-Standort Erfurt hingegen sei der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder noch „ganz gering“. Mitglieder im Unternehmen und damit ein besserer Organisationsgrad ist für ver.di der entscheidende Hebel, um Einfluss auf die nächsten SE-Betriebsratswahlen nehmen zu können – und irgendwann Tarifpartei von Zalando zu werden.
Spitzenreiter im Onlinehandel
Zalando ist zweitgrößter Onlinehändler in Deutschland – nach Amazon. Der Konzern wurde 2008 in Berlin von David Schneider und Robert Gentz gegründet und hat heute schon rund 10 000 Mitarbeiter. 2013 wandelte sich die GmbH in eine AG um, ein halbes Jahr später in eine SE, was mit der europäischen Ausrichtung des Geschäfts begründet wurde. Seit 2014 ist das Unternehmen börsennotiert, größter Aktionär ist die schwedische Beteiligungsgesellschaft Kinnevik mit über 30 Prozent. 2015 hat Zalando drei Milliarden Euro umgesetzt und schreibt nach Jahren mit Verlust seit 2014 Gewinn.