Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Besichtigung einer Reformbaustelle
Viele Reform- und Problemfelder der Unternehmensmitbestimmung sind mit der Zukunft der Gewerkschaftsvertreter sachlich verknüpft und könnten zu Konflikten zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite führen, analysiert Martin Höpner, Wissenschaftler am MPI Köln.
Von Martin Höpner
Dr. Martin Höpner ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Der Beitrag wurde am 30. Mai abgeschlossen.
Die politische Zukunft des Landes ist offen wie selten zuvor. Doch unabhängig davon, ob die von Kanzler Schröder angekündigte, gemeinsame Mitbestimmungskommission aus Verbandsvertretern und unabhängigen Experten zustande kommt oder nicht: Das Thema Mitbestimmung wird nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden. Fast dreißig Jahre nach Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes zeichnet sich erstmals eine größere Revision der Mitbestimmungsregeln ab.
1976 hatte unter einer sozialliberalen Koalition eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages - bei nur 22 Gegenstimmen - das "Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer" auf den Weg gebracht. In den 70er Jahren kam dem Mitbestimmungsgedanken große Anziehungskraft in allen politischen Parteien zu. Das hat nachgelassen - auch in der Sozialdemokratie. 1976 war die SPD mit dem Mitbestimmungsgesetz alles andere als zufrieden. Sie hoffte darauf, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Schritte in Richtung echter Parität gehen zu können. Davon ist heute nichts mehr zu hören. Status quo ja, Ausweitung nein.
Keine Partei hat sich in der Mitbestimmungsfrage so gewandelt wie die FDP, die in den 70er Jahren ein sozialreformerisches Profil entwickelt und den Mitbestimmungsgedanken offensiv gegen seine Kritiker verteidigt hatte. "Der gleiche Staatsbürger, der Gesetzgebungsorgane wählt, auf die Bildung seiner Regierung Einfluss nehmen kann , darf als Wirtschaftsbürger nicht wieder zum Untertan degradiert werden", formulierte der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick damals. 2005 fordert nun die FDP auf ihrem Kölner Parteitag, "die paritätische Mitbestimmung abzuschaffen und zur Drittelbeteiligung zurückzukehren". Außerdem solle "das Gewerkschaftsprivileg bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrates beseitigt werden" (s. Antrag an den Bundestag v. 11. 5.05).
Dagegen hat sich bei CDU und CSU noch keine klare Position herauskristallisiert. Im Wahlkampf des Jahres 2002 vermied Kanzlerkandidat Stoiber Festlegungen zur Mitbestimmungsfrage. Die CDU-Vorsitzende Merkel wies Rogowskis Wort vom "Irrtum der Geschichte" als "falsch und nicht hilfreich" zurück und erklärte vage: "Wir sind zu Gesprächen bereit, ohne das Kind mit dem Bade ausschütten zu wollen." Nach Entschlossenheit zu radikalen Reformen ohne Einbindung der Verbände klingt das eigentlich nicht. Gleichwohl: Auch CDU und CSU befinden sich nicht mehr in den 70er Jahren, verfügen sie doch über wachsende wirtschaftsliberale Flügel, die der Mitbestimmung kritisch gegenüberstehen.
Christdemokratische Mitbestimmungsgegner gab es zwar schon immer, vor allem im CDU-Wirtschaftsrat. Abgeordnete, die ihm nahe standen, lehnten das Mitbestimmungsgesetz im Bundestag ab. In den 70ern wurden diese Kräfte aber noch von den ungleich stärkeren CDU-Sozialausschüssen ausgebremst, die ja - auch das ist heute nahezu vergessen - den 1976er-Mitbestimmungskompromiss der sozialliberalen Koalition von links angriffen. So kritisierte Norbert Blüm, damals Sprecher des christlichen Arbeitnehmerflügels, die Gesetzesvorlage, weil sie hinter die Regelungen des Montanmitbestimmungsgesetzes von 1951 zurückfiel: "In der Paritätsfrage bieten Sie mehr Stühle, aber keine Parität. In Sachen Arbeitsdirektor liefern Sie nur ein Türschild, aber keinen Arbeitsdirektor."
Was könnte verhandelt werden, was besser nicht?
2005 nun will ein Teil der Wirtschaftsverbände zurück zur Drittelbeteiligung. Nach den Reformvorstellungen von BDA und BDI soll das Mitbestimmungsmodell im Unternehmen ausgehandelt werden. Und als Auffanglösung sollte die Drittelbeteiligung greifen. Konkret heißt das: Wenn die Arbeitgeberseite sich einer Einigung verweigert, würde automatisch nur noch ein Drittel der Sitze an die Arbeitnehmerseite fallen. Ein Konsens der Parteien und Verbände über einen solchen Vorschlag ist nicht vorstellbar.
Das geltende Mitbestimmungsgesetz schreibt Reichweiten und Prozeduren zwingend vor. Ein Mitbestimmungsrecht, das - als dispositives Recht - für Vereinbarungen offen ist, kennen wir vor allem aus dem europäischen Recht. Wäre der Vorschlag von BDA und BDI dann vernünftig, wenn als Rückfalllösung bei Nichteinigung der Status quo fungieren würde? Auch in diesem Fall erschiene das Ausmaß an Mitbestimmung kaum als sinnvoller Gegenstand von Verhandlungen auf Unternehmensebene. Ohne Not würden sich die Verhandlungspartner nicht auf Verschiebungen des Kräfteverhältnisses zu ihren Ungunsten einlassen.
Die sinnwidrige Kopplung mit anderen Fragestellungen - Standortverlagerungen, Streikdrohungen - sollte im Interesse aller unbedingt vermieden werden.
Gleichwohl sind dezentrale Aushandlungslösungen im Sinne "verhandelter Mitbestimmung" in Einzelfragen denkbar. Dazu zählen beispielsweise die Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke, vielleicht auch die Umsetzung einer etwaigen Verkleinerung der Aufsichtsräte. Die eigentliche Brisanz der Frage ausgehandelter Mitbestimmung ergibt sich jedoch an anderer Stelle: bei der Beteiligung externer Gewerkschafter an der Unternehmensaufsicht.
Die Beteiligung der externen Arbeitnehmervertreter war schon immer Anlass für strittige Debatten. Erinnern wir uns, warum es zur Beteiligung der Externen kam: Diese sollten "das mitunter zu unternehmensbezogene Denken der Arbeitnehmervertreter aus den Unternehmen ausgleichen", formulierte es im Jahr 1976 Arbeits- und Sozialminister Arendt (SPD). Übrigens im Konsens mit den Liberalen: "Wir wissen doch aus Erfahrung, dass eine allein auf Betriebsebene angesiedelte Mitbestimmung hier und da zu einer Form des Betriebsegoismus führen kann", gab Friedrich Hölscher für die FDP zu bedenken. Dem pflichtete das Bundesverfassungsgericht bei, als es in seinem Mitbestimmungsurteil von 1979 feststellte, die Beteiligung der Externen sei "namentlich geeignet, einem bei erweiterter Mitbestimmung nicht ohne Grund erwarteten Betriebsegoismus entgegenzuwirken oder diesen doch zumindest abzumildern."
Im Fokus der Mitbestimmungskritik: die Gewerkschafter
Heute wollen BDA und BDI auch an dem von ihnen angedachten Verhandlungsgremium über das Modell der Mitbestimmung keine externen Gewerkschafter beteiligen. Wäre denkbar, dass sich die Sozialpartner auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in den Unternehmen einigen, künftig ohne Einmischung durch externe Gewerkschafter arbeiten zu wollen? Sicher nicht als Regelfall. Aber abwegig erscheint so ein Szenario nicht.
Neben dem Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital gewinnt in den Unternehmen eine zweite Konfliktlinie zwischen In- und Outsidern zunehmend an Bedeutung. Unsere Studien zeigen: Die Balance verschiebt sich zu Gunsten der Unternehmensebene, nicht-betriebswirtschaftliche Ansprüche werden von den betrieblichen Akteuren stärker zurückgewiesen - egal, ob sie durch Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände an die Unternehmen herangetragen werden.
Entsprechend finden sich Befürworter und Skeptiker der externen Gewerkschaftsvertreter auf beiden Bänken. Das machen die von Nico Raabe geführten Interviews mit Aufsichtsräten deutlich (siehe Beitrag Seite 38). Raabe zeigt, dass die Akzeptanz der externen Gewerkschafter vor allem vom stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden abhängt. Kommt er aus dem Unternehmen, wird mitunter die Kritik laut, die Gewerkschaftsvertreter verfolgten nicht das Unternehmensinteresse. Ist der stellvertretende Vorsitzende hingegen ein Externer, wird dessen ausgleichende, moderierende Rolle gelobt - wohlgemerkt quer durch beide Bänke. Das gilt besonders, wenn das Unternehmen auf ein gutes Verhältnis zur Politik angewiesen ist.
Die Beteiligung der externen Gewerkschaftsvertreter an der Unternehmensaufsicht wird ein besonders brenzliger Gegenstand der zu erwartenden Reformdebatte sein. Auch und gerade im Zusammenhang mit den anderen potenziellen Reformgegenständen, wie etwa der Verkleinerung der Aufsichtsräte. Unbestritten ist, dass deutsche Aufsichtsgremien im internationalen Vergleich überdurchschnittlich groß sind. Dabei wählen viele Unternehmen freiwillig Aufsichtsratsgrößen oberhalb der gesetzlich definierten Mindestgröße. Dies als Problem zu sehen ist ein vergleichsweise junges Phänomen. Jedoch wird der Forderung nach Verkleinerung nur noch selten offensiv widersprochen. Im BDA/BDI-Papier wird eine Höchstgrenze von zwölf Personen vorgeschlagen.
Zwar wandte sich der DGB-Bundesvorstand gegen eine Verkleinerung, doch als Hubertus Schmoldt die Einrichtung einer Mitbestimmungskommission anregte, sagte er: "Ohne die Essentials der Mitbestimmung in Frage zu stellen, könnten hier alle offenen Fragen ergebnisorientiert diskutiert werden. Dies gilt auch für die Größe der Aufsichtsräte."
Verkleinerung führt absehbar zu Verteilungskämpfen
Wie stellt sich die Debatte über die Aufsichtsratsgröße für beide Seiten dar? Grundsätzlich ist die Verkleinerung für die Arbeitnehmerseite mit mehr Schwierigkeiten verbunden als für die Bänke der Anteilseigner, denn die Verteilung der Sitze der internen Arbeitnehmervertreter erfolgt in der Regel nach dem Prinzip der Repräsentation der Standorte. Gleichwohl scheint sich auch auf Arbeitnehmerseite Verständnis für die Ansicht entwickelt zu haben, der zufolge kleinere Aufsichtsräte intensiver arbeiten. Im Gesamtpaket mit der gesetzlichen Verankerung eines Pflichtkatalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte könnte die Verkleinerung tatsächlich zu einer Verbesserung von Kontrolle und Beteiligungsqualität beitragen.
Aber auch für die Kapitalseite ist die Verkleinerung nicht unbedingt leicht umzusetzen. Dort dienen Aufsichtsratsmandate häufig der Stabilisierung kooperativer Beziehungen zwischen Unternehmen. So kann die Forderung der Wirtschaftsverbände nach Rückführung der Mitbestimmung auf die Drittelbeteiligung als Versuch interpretiert werden, eine Verkleinerung der Aufsichtsräte ohne weit reichende Reduzierung der eigenen Sitze umsetzen zu können.
So viel ist sicher: Die Verkleinerung produziert Verteilungskämpfe, von denen auch die externen Gewerkschaftsvertreter nicht unberührt bleiben werden. Das gilt umso mehr, als sich am Minderheitenschutz für den leitenden Angestellten kaum etwas ändern dürfte - und außerdem noch die Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke angegangen werden muss.
Die Internationalisierung hat mit der Verkleinerungsfrage gemeint: Sie verknappt die Zahl der zu verteilenden Sitze, und auch hier ist der öffentliche Druck, Ergebnisse zu erzielen, besonders groß. Dabei wird die schwierige Frage der Internationalisierung der Arbeitnehmersitze von den Mitbestimmungsgegnern gern opportunistisch genutzt, um die Mitbestimmung gänzlich in Frage zu stellen. Dass sich diese Kritiker nicht wirklich um die Legitimität der Arbeitnehmerbänke sorgen - und dass sie die Präsenz ausländischer Gewerkschaftsfunktionäre auf den Arbeitnehmerbänken im Endeffekt noch nachdrücklicher ablehnen würden als die bestehende Mitbestimmung - erscheint ausgemacht.
Gleichwohl ist die Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmervertreter eine drängende Herausforderung. Auf Gewerkschaftsseite scheint man in dieser Frage vorpreschen zu wollen, auch wenn im Gegenzug Schritte zur Öffnung ausländischer Aufsichtsorgane für deutsche Beschäftigte vorerst nicht zu erwarten sind. Es sei daran erinnert, dass ja eine knappe Mehrheit aller EU-Länder die Mitbestimmung auf Ebene der Leitungsorgane bei privatwirtschaftlich organisierten Aktiengesellschaften kennt. Die mangelnde Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke ist also kein spezifisch deutsches Problem.
BDA und BDI fordern, der Gesetzgeber solle die Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke als Gegenstand von Verhandlungen an die Unternehmensebene delegieren. Der DGB-Bundesvorstand schlug vor, ausländischen Beschäftigten als ersten Schritt das passive Wahlrecht einzuräumen. Zahlreiche noch zu klärende Fragen verbleiben: Sollen solche Regeln sich auf Unternehmensteile in der Europäischen Union oder auf alle ausländischen Unternehmensteile beziehen?
Wäre neben einem passiven auch ein aktives Wahlrecht für ausländische Beschäftigte denkbar? Und: Sind dies sinnvolle Regelungsbereiche zur Aushandlung durch die Sozialpartner in den Unternehmen? Fest steht: Kleinere Arbeitnehmerbänke sollen in Zukunft heterogener besetzt werden. Und noch eine Frage stellt sich in Zusammenhang mit der Besetzung der Arbeitnehmerbänke: die des Wahlmodus.
Die Verfahren zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat waren schon in den 70er Jahren Gegenstand von Kontroversen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Kompromiss im Mitbestimmungsgesetz von 1976 ist aufwändig und kompliziert. Ab der Schwelle von 8000 Arbeitnehmern ist die Wahl durch ein spezielles Delegiertengremium vorgesehen. Zudem hatte die SPD ursprünglich vorgesehen, dieses Gremium solle die Aufsichtsratsmitglieder nach dem Prinzip der Mehrheitswahl bestimmen, nicht zuletzt um - wie Minister Arendt es sagte - "die demokratische Ordnung vor extremen Meinungen und Gruppen und vor emotional bedingten Zufallsergebnissen zu schützen".
Letztlich war mit dem Wahlverfahren niemand so recht zufrieden, nach Ansicht der CDU/CSU war es ein "Manipulationsinstrument zur Entmündigung der Arbeitnehmer". In der gegenwärtigen Debatte stimmen Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände darin überein, das Wahlverfahren zu vereinfachen. BDA und BDI argumentieren, das Verfahren sei zeitintensiv, bürokratisch und teuer. So hätten allein die letzten Wahlen der Arbeitnehmerbänke bei DaimlerChrysler ca. 4,3 Millionen Euro, bei der Deutschen Telekom zirka 3,9 Millionen Euro und bei Siemens rund 5,4 Millionen Euro gekostet. Auch der DGB spricht sich für weitere Vereinfachungen aus.
Dabei haben aber beide Seiten unterschiedliche Ziele vor Augen. Der DGB schlägt die Wahl der Arbeitnehmervertretungen durch die Betriebsräteversammlungen vor, so wie es im Montanbereich Praxis ist. Die Wirtschaft lehnt diese Wahl durch Betriebsräte ab - "sie würde zu einer unzulässigen Vermengung von betrieblicher und überbetrieblicher Mitbestimmung führen", so das BDA/BDI-Papier - und fordert die Urwahl nach dem Vorbild der Unternehmen unter 8000 Beschäftigten.
Das überbetriebliche Element der Mitbestimmung erhalten!
Fazit: Die bevorstehenden Reformdebatten werden dort am brisantesten werden, wo es um die den externen Gewerkschaftern vorbehaltenen Sitze geht. Zum einen ist die Beteiligung der Gewerkschaften das erste Angriffsziel der Mitbestimmungsgegner. Zum anderen sind viele Reform- und Problemfelder mit der Zukunft der Gewerkschaftsvertreter sachlich verknüpft und könnten opportunistisch genutzt werden, um deren Präsenz gezielt zu schwächen.
So etwa die Diskussion um ausgehandelte Mitbestimmung, weil gefordert wird, Gewerkschaftsvertreter nicht an den Verhandlungen zu beteiligen; so die Verkleinerung, weil sie Sitze kosten und absehbar zu Verteilungskämpfen führen wird; oder die Beteiligung ausländischer Beschäftigter an den Aufsichtsräten, weil sie ebenfalls die Zahl der zur Verfügung stehenden Sitze verknappen wird.
Auch der Ruf, die Aufsichtsratsmitglieder auf der Arbeitnehmerbank in einer Urwahl der Beschäftigten zu bestimmten, birgt Brisanz. Könnte dies doch - wie im BDA/BDI-Papier - die Forderung nach sich ziehen, auch die Mandate der Gewerkschaftsvertreter der Wahl der Belegschaften zu überantworten - ohne reservierte Sitze. An einer offensiv geführten Debatte über den Wert des überbetrieblichen Elements der Mitbestimmung führt deshalb kein Weg vorbei.