Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungUnternehmensformen: Alternatives Wirtschaften und Mitbestimmung – ein Dilemma?
Genossenschaften und selbstverwaltete Betriebe sind bei den Gewerkschaften noch immer umstritten, denn sie bedeuten eine Beteiligung am Firmenkapital. Dabei sind die Wertvorstellungen, für die sie stehen, hoch attraktiv. Von Walter Vogt
In der Debatte um eine demokratischere Ausrichtung der Wirtschaft nach der Krise geraten aktuell alternative Unternehmensformen wieder in den Fokus. Speziell Genossenschaften verkörpern die Attribute von mehr Nachhaltigkeit und demokratischer Partizipation. Auch selbstverwalteten Betrieben wird zugeschrieben, dass sie anders wirtschaften – jenseits von Interessen reiner Profitmaximierung und Shareholder-Value. Doch welche Folgen hat dies für die Mitbestimmung? Wie unterscheidet sich die Mitbestimmung in alternativen Unternehmensformen gegenüber anderen Rechtsformen? Werden Betriebsräte überhaupt noch gebraucht?
Die IG Metall bekennt sich explizit zu pluralen Eigentumsformen. „Mit der Schwarzweißfolie Privatunternehmen oder Staatsunternehmen kommen wir nicht weiter“, so Berthold Huber in seinem Zukunftsreferat am letzten Gewerkschaftstag. Es verwundert nicht, dass auch Mitarbeitergesellschaften und Genossenschaften in den Anträgen explizit Erwähnung gefunden haben. Denn in der Tat: Genossenschaften haben in Summe die Finanz- und Wirtschaftskrise schadensfrei überstanden. Ihre Insolvenzquote ist, gemessen an der Summe der Unternehmensinsolvenzen, mit 0,1 Prozent die niedrigste aller Unternehmensformen. Da stellt sich die Frage: Was machen Genossenschaften anders?
Gemessen an der Gesamtzahl von etwa 3,6 Millionen Unternehmen scheinen die rund 7800 Genossenschaften in Deutschland marginal. Trotzdem: Sie geben gut 877 000 Menschen ihre Existenzgrundlage. Und die Zahlen steigen. Laut Genossenschaftsgesetz kennzeichnet die Rechtsform die Hilfe zur Selbsthilfe, also den Zusammenschluss von Personen, um gemeinsam Aufgaben zu übernehmen, die der Einzelne für sich nicht bewerkstelligen kann. Die deutschen Genossenschaften stellen die Förderung des Mitglieds mit seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen in den Mittelpunkt – klar abgegrenzt zur Förderung allgemeiner Interessen. Die Höhe der Kapitalbeteiligung dagegen ist eher unbedeutend. Grundsätzlich gilt, anders als bei der AG: Gleiches Stimmrecht für alle! Und: Die Mitglieder erzielen die Vorteile aus der Nutzung, bei Ausscheiden erhalten sie nur ihr eingesetztes Kapital zurück. Die genossenschaftlichen Werte widersprechen der Übervorteilung wirtschaftlich Schwächerer. Auskömmliches Wirtschaften geht übertriebener Renditemaximierung vor. So die Intention des Gesetzgebers.
Genossenschaften zeigen ihre Stärke in einem überschaubaren regionalen Umfeld mit tendenziell eher risikoarmen Geschäftsmodellen. Eingebunden in einen genossenschaftlichen Verbund und durch ihr werteorientiertes Handeln erreichen sie ihre nachhaltige Stabilität. Doch sie sind auch Wirtschaftssubjekte, die sich im Wettbewerb behaupten müssen. So finden sich gerade auf dem Bankensektor und in der Landwirtschaft mehrheitlich große, häufig auch durch Fusionen entstandene Genossenschaften, deren ursprüngliche Identität oft nicht mehr erkennbar ist. Die Förderung der Mitglieder besteht dann mitunter nur noch in der Ausschüttung einer Dividende.
In der Vergangenheit wurde das Genossenschaftsgesetz immer mehr an die Bedürfnisse von Kapitalgesellschaften angenähert. Erst mit der Gesetzesnovelle 2006 wurde der Förderauftrag der Genossenschaft explizit auch auf soziale und kulturelle Zwecke erweitert. Seit der Jahrtausendwende kommt es zu nennenswerten Neugründungen von Genossenschaften – auch in Sektoren, die bislang kaum mit dieser Rechtsform in Verbindung gebracht wurden, etwa in der Energiebranche, im Handwerk oder im kommunalen Sektor. Hier ergeben sich neue Anknüpfungspunkte auch für Gewerkschaften.
Die Organe der Genossenschaft sind Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung. Grundsätzlich gilt das Prinzip der Selbstorganschaft: Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats müssen als natürliche Person zugleich Mitglieder der Genossenschaft sein – wobei dies aber nicht für Arbeitnehmervertreter gilt. Letzteres ist aber eher theoretischer Natur. Die Konzentration auf langfristige Förderstrategien und optimale Mitgliederförderung sind die zentralen Anforderungen, die an die Organe gestellt werden – wobei sich die Förderung nicht auf die reine Dividendenausschüttung beschränken darf. Das gilt gerade für den Aufsichtsrat, der sich aus den Reihen der relevanten Mitgliedergruppen repräsentiert und den Vorstand nicht nur kontrolliert, sondern auch an der langfristigen Strategie im Sinne des Förderzwecks aktiv mitarbeitet.
Die Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung gelten außer der Montanmitbestimmung auch für Genossenschaften; indes nur dann, wenn die jeweils maßgebenden Beschäftigtenzahlen erreicht werden. Aufgrund ihrer mittelständischen Struktur erreichen diese Grenzen selbst große Genossenschaften kaum. Nur wenige Genossenschaften fallen unter das Mitbestimmungsgesetz oder das Drittelbeteiligungsgesetz. Sie sind dazu zu klein. Ausnahmen sind zum Beispiel das 1966 gegründete Softwareunternehmen Datev eG, oder die 1939 gegründete Apothekergenossenschaft Noweda eG. Systematische Untersuchungen zu dem Thema fehlen bislang.
Viel relevanter für die Praxis ist die betriebliche Mitbestimmung. Grundlage bildet auch hier das Betriebsverfassungsgesetz. In etablierten Genossenschaften sind entsprechende Strukturen vorhanden und unterscheiden sich ebenso wenig wie Handlungsfelder und Aufgaben der Betriebsräte von denen anderer Rechtsformen. Der Unterschied ist das Geschäftsmodell: Da eine Genossenschaft nicht vom Shareholder-Value-Gedanken bestimmt wird, sondern von den Mitgliedern daran gemessen wird, ob sie ihren Förderauftrag erreicht, kommt auch den Beschäftigten und ihrem Wertbeitrag ein wichtiger Stellenwert zu. Zu Friktionen kann es kommen, wenn die Genossenschaft sich von ihrem Förderauftrag entfernt und dadurch die Belange der Beschäftigten negativ tangiert werden.
Auch Betriebe in Hand der Mitarbeiter werden als Mittel diskutiert, die Wirtschaft zu demokratisieren. Doch Unternehmen in Mitarbeiterhand beziehungsweise Produktivgenossenschaften, bei denen eine Identität zwischen Eigentümern und Beschäftigten besteht, sind in Deutschland selten. Man findet sie als Agrargenossenschaften in den neuen Bundesländern sowie vereinzelt im Handwerk und im Dienstleistungssektor. Belegschaftsinitiativen zur Übernahme des eigenen Betriebs in einer Unternehmenskrise, im Fall der Insolvenz oder im Rahmen einer Nachfolgeplanung bilden noch immer die Ausnahme. Auch die Erfahrungen der IG Metall mit der seit 2009 bestehenden Taskforce Krisenintervention brachten hier bislang kein Umdenken. Eine genossenschaftliche Ausrichtung wäre naheliegend, spielt aber praktisch keine Rolle. Das verwundert, denn Genossenschaften können einen Beitrag zur Standort- und Beschäftigungssicherung in der Region leisten.
Noch scheinen bei den Gewerkschaften die Bedenken gegenüber kooperativen Modellen zu überwiegen. Denn solche Formen bedeuten stets eine Beteiligung am Unternehmenskapital, welche Gewerkschaften vielfach noch skeptisch betrachten. Auch könnten durch die Selbstverwaltung Tarifstandards unterlaufen und Arbeitszeiten verlängert werden. Doch die wenigen Praxisbeispiele lassen diesen Schluss nicht zu. Fundierte empirische Analysen fehlen auch hier. Eine vollständige Übernahme wird in der Praxis allenfalls in sehr kleinen Betrieben erreicht. Betriebsräte bleiben in Summe also auch weiter notwendig, wenn auch mit veränderten Aufgaben. Denn kooperative Modelle weiten zwar die Mitbestimmung aus – sie verändern aber zugleich das klassische Rollenverständnis.
Gerade die demokratische Struktur der Genossenschaft könnte für die Gewerkschaften interessant sein. Primär ist sicher die Sicherung von Arbeit und Beschäftigung als Argument zu nennen. Aber auch die gesellschaftliche Frage einer umfassenden Demokratisierung der Wirtschaft nach der Krise sowie ihrer ökologischen Ausrichtung sind weitere Themenfelder. Sinnvoll wäre eine Verstetigung der Diskussion um Mitarbeiterkapitalbeteiligungen. Diese darf nicht auf Krisenzeiten beschränkt sein. Genossenschaftliche Werte sollten unter Mitgliedern bekannt gemacht werden und auch im Kreis der arbeitnehmerorientierten Berater stärker Berücksichtigung finden.
Gewerkschaften dürfen nicht erst in Krisenzeiten anfangen, über Alternativen zur herkömmlichen Wirtschaftsweise nachzudenken. Dazu wäre es nötig, die Idee der Mitbestimmng neu zu beleben und die Mitbestimmungsdebatte nicht, wie es heute zu häufig geschieht, auf einzelbetriebliche und tarifliche Aspekte zu beschränken. In ein Dilemma begeben sich Gewerkschaften explizit nicht, wenn sie die Mitbestimmungsdebatte breit führen und alternative Wirtschaftsformen als Teil einer mitbestimmten Wirtschaft ansehen. Ihre Aufgabe ist es, auch für diese Formen geeignete betriebspolitische Antworten zu finden und diese beteiligungsorientiert umzusetzen.
Walter Vogt ist politischer Sekretär im Ressort Unternehmens- und Mitbestimmungspolitik beim Vorstand der IG Metall
Mehr Informationen
DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (Hrsg.): REGIONALE ENTWICKLUNG MIT GENOSSENSCHAFTEN – BÜRGER, WIRTSCHAFT UND KOMMUNEN HAND IN HAND. Berlin 2012
Herbert Klemisch/Kerstin Sack/Christoph Ehrsam: BETRIEBSÜBERNAHME DURCH BELEGSCHAFTEN – EINE AKTUELLE BESTANDSAUFNAHME. Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Köln 2010
Herbert Klemisch/Walter Vogt: GENOSSENSCHAFTEN UND IHRE POTENZIALE FÜR EINE SOZIAL GERECHTE UND NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSWEISE. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2012.
Walter Vogt: GENOSSENSCHAFTEN – EINE ANDERE FORM DES WIRTSCHAFTENS. Ein Reader der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. Berlin 2011.
Walter Vogt: GEWERKSCHAFTEN UND GENOSSENSCHAFTEN: VERSUCH EINER POSITIONSBESTIMMUNG. In: spw 01/2012, S.?44–47,