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Arbeitslose: Schädliche Sanktionen

Ausgabe 06/2024

Arbeitslose mit Leistungskürzungen unter Druck zu setzen, ist kontraproduktiv: Langfristig sinken dadurch die Jobchancen und die Qualität der Beschäftigung.

Muss Strafe sein? Während sich manche Konservative für schärfere Sanktionen beim Bürgergeld einsetzen, sprechen empirische Analysen eher gegen dieses Ansinnen. Der Sozialwissenschaftler Markus Wolf vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weist in einer aktuellen Studie nach, dass Sanktionen die Integration in den Arbeitsmarkt erschweren: Kurzfristig steigt zwar die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene in Lohn und Brot kommen, doch unter dem Strich fallen die Auswirkungen auf Beschäftigungsstabilität und Einkommen negativ aus.

Aus theoretischer Sicht seien die zu erwartenden Effekte unklar, schreibt Wolf. Indem Sanktionen den Druck auf Arbeitslose erhöhen, sich eine Stelle zu suchen, steige auch das Risiko, dass sie mit schlecht bezahlten oder anspruchslosen Jobs vorliebnehmen müssen. Zwar könne auch unattraktive Beschäftigung als berufliches Sprungbrett dienen. Etwa weil sie die Möglichkeit bietet, sich am Arbeitsplatz weiterzuentwickeln und unternehmensinterne Stellenmärkte oder Netzwerke zu nutzen. Dagegen lasse sich aber einwenden, dass Arbeit unterhalb der Qualifikation die kognitiven Fähigkeiten erodieren lässt und dass Berufstätige weniger Zeit für die Stellensuche haben als Arbeitslose. Insofern bestehe die Gefahr, dass sich schlechte Arbeit als Sackgasse erweist.

Sanktionen gegen 7,7 Prozent der Männer und 3,4 Prozent der Frauen

Um zu klären, welche Effekte überwiegen, hat der IAB-Forscher Verwaltungsdaten der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Sie beziehen sich auf fast 300 000 Männer und über 250 000 Frauen zwischen 25 und 56 Jahren, denen in der Zeit von April 2012 bis März 2013 Arbeitslosengeld II (ALG II) bewilligt worden ist. Leistungskürzungen wegen Verstößen gegen die Eingliederungsvereinbarung, abgelehnter Jobangebote oder verweigerter Teilnahme an Maßnahmen sind bei 7,7 Prozent der Männer und 3,4 Prozent der Frauen dokumentiert. Ihr weiterer beruflicher Werdegang lässt sich anhand der Daten bis Ende 2018 nachvollziehen. Weil frühere Studien auf starke Unterschiede bei der Sanktionswahrscheinlichkeit zwischen den Geschlechtern hinweisen, wurde die Analyse für Frauen und Männer separat durchgeführt.

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Wolfs Berechnungen zufolge, bei denen Faktoren wie das Alter, die Ausbildung oder die Zahl der Kinder statistisch berücksichtigt wurden, erhöhen Sanktionen kurzfristig die Beschäftigungswahrscheinlichkeit: Im Vergleich zu den nicht sanktionierten Empfängerinnen und Empfängern von ALG II ist sie drei Monate nach der Leistungskürzung bei den Männern um 16 Prozent und bei den Frauen um 21 Prozent erhöht. Der Effekt lässt allerdings im Laufe der Zeit nach und wechselt schließlich sogar sein Vorzeichen: Nach vier Jahren entspricht er –4,1 beziehungsweise –3,9 Prozent. Auch das Einkommen aus Arbeit wird durch Sanktionen zunächst gesteigert, dann gesenkt. Nach vier Jahren verdienen die sanktionierten Männer 7,5 Prozent weniger als die Vergleichsgruppe, die Frauen 7,4 Prozent weniger.

Der kurzfristig positive Effekt auf die Beschäftigung verdankt sich laut der Analyse fast ausschließlich Jobs von minderer Qualität. Die Chance, eine Arbeit mit einem Erwerbseinkommen oberhalb der Niedriglohnschwelle zu finden, ist nach einer Leistungskürzung von Anfang an geringer als bei den nicht sanktionierten Personen. Nach vier Jahren beträgt das Minus bei den Männern 9 Prozent, bei den Frauen 20 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, einer Tätigkeit nachzugehen, die der eigenen Qualifikation entspricht, ist zu diesem Zeitpunkt um 5,5 beziehungsweise 5,7 Prozent gemindert. Frauen nehmen kurz nach einer Sanktion deutlich häufiger einen Minijob an. Hinzu kommt: Sanktionierte wechseln zwar häufiger von der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung, aber auch in die Gegenrichtung: Im ersten Jahr ist das Risiko, wieder arbeitslos zu werden, bei den Männern um 16 Prozent, bei den Frauen um 28 Prozent erhöht. Wenn man die Effekte im Beobachtungszeitraum zusammenrechnet, ergibt sich, dass Sanktionen unter dem Strich die Beschäftigungsdauer von Männern um 0,3 Monate reduzieren. Der Einkommensverlust beträgt in Summe 1521 Euro bei den Männern und 845 Euro bei den Frauen.

Alles in allem, so das Fazit des Wissenschaftlers, schaden Sanktionen langfristig der Qualität der Arbeit von Betroffenen. Die Kosten seien deutlich höher als die bloße Leistungskürzung: Zusätzlich büßen die Sanktionierten 5 bis 6 Prozent ihres Einkommens ein. Wolf empfiehlt, Sanktionen mit Vorsicht zu verhängen und nur bei Verstößen, die tatsächlich die langfristige Integration gefährden. Eine Schonfrist ohne Sanktionen könnte einigen Arbeitslosen ermöglichen, zumindest eine Weile nach einer geeigneten Stelle zu suchen.

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WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch erläutert im Podcast, was gegen Sanktionen beim Bürgergeld spricht.

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