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HBS Böckler Impuls

Biedenkopf-Kommission: Mitbestimmung made in Germany: Eine Kultur, die allen nutzt

Ausgabe 01/2007

Schadet oder nutzt die Mitbestimmung dem deutschen Wirtschaftsstandort? Die wissenschaftlichen Mitglieder der Mitbestimmungskommission haben den Forschungsstand dazu umfassend ausgewertet. Ihr Fazit: Die Mitsprache der Arbeitnehmer hat sich bewährt, sie ist in Europa kein Exot - und in Zukunft dürfte sie noch wichtiger werden.

"Die wissenschaftlichen Mitglieder sehen keinen Grund, der Bundesregierung eine grundlegende Revision der deutschen Mitbestimmung vorzuschlagen. Das gilt auch und gerade unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Unternehmensmitbestimmung, insbesondere der Mitbestimmung nach dem Gesetz von 1976", schreiben die Professoren Kurt Biedenkopf, Wolfgang Streeck und Hellmut Wißmann in ihrem Bericht. Auch in Zeiten der Globalisierung mache die Arbeitnehmerbeteiligung made in Germany eine gute Figur: "Diese Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen der deutschen Unternehmensmitbestimmung ändert sich auch dann nicht, wenn man die in den letzten Jahren veränderten wirtschaftlichen Bedingungen in Betracht zieht." Die Expertise hat besonderes Gewicht: Die drei Wissenschaftler in der Kommission zählen zu den renommiertesten Mitbestimmungs-Fachleuten. Und sie haben bei der wissenschaftlichen Recherche mit breit besetzten Experten-Arbeitsgruppen zusammengearbeitet, in denen die wissenschaftlichen Arbeiten streng unter die Lupe genommen wurden.

Bei der Analyse der Studien zu Akzeptanz und wirtschaftlichen Wirkungen der Mitbestimmung trennen die Wissenschaftler um Professor Biedenkopf in Untersuchungen, die bei Unternehmern und Managern Meinungen zur Arbeitnehmermitsprache abfragen, und in ökonometrische Studien.
In den verschiedenen Befragungen, in denen Vorstände oder Aufsichtsratsmitglieder ihre subjektiven Erfahrungen mit und Meinungen über die Mitbestimmung berichten können, beobachten die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission folgende Trends:

  • "Hinweise auf eine grundsätzliche Ablehnung der Unternehmensmitbestimmung oder gar einen überwiegenden Wunsch, sie abgeschafft zu sehen, gibt es nicht." Den meisten Befragten "erscheint eine gute Mitbestimmungspraxis innerhalb des bestehenden Systems möglich; auch schlechte Praxis erscheint möglich und kommt vor, ist aber in der überwiegenden Wahrnehmung die Ausnahme."
  • Führungskräfte äußern "punktuelle Reformwünsche". Qualitative Interviews mit Vorständen oder Aufsichtsratsmitgliedern der Kapitaleignerseite "weisen insbesondere die Größe der Aufsichtsräte sowie deren mangelnde Internationalisierung als potenzielle Reformgegenstände aus". Die konkrete Arbeitsweise in den Aufsichtsräten, "getrennte Vorbesprechungen der Aufsichtsratsbänke und intensive Zusammenarbeit zwischen Vorsitzendem und stellvertretendem Vorsitzenden", den meist die Arbeitnehmervertreter stellen, "werden positiv gewürdigt."

=> Manager: Grundsätzliche Unterstützung

Diese Befunde, in denen "eine grundsätzliche Unterstützung, mindestens aber Hinnahme des bestehenden Systems" durch die Mehrheit der Manager erkennbar sei, werden nach Analyse der Wissenschaftler auch durch eine Befragung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) und des Institute for Law and Finance der Uni Frankfurt bestätigt. Das arbeitgebernahe IW hatte die Umfrage im November unter der Überschrift "Ablehnung überwiegt" vorgestellt.

Das Professorentrio verweist aber darauf, dass sich in der IW-Untersuchung bei zentralen Fragen positive und negative Antworten die Waage halten, bei einigen sogar die Wertschätzung überwiegt - während ein sehr hoher Anteil der Befragten gar nicht antwortet. Der Rücklauf der Fragebögen sei "ungewöhnlich niedrig" gewesen. Die Schlussfolgerung: "Nicht zuletzt, weil vermutet werden darf, dass mitbestimmungskritische Unternehmen sich überproportional an der Umfrage beteiligt haben, können die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission eine überwiegende Ablehnung der Unternehmensmitbestimmung durch die betroffenen Unternehmen nicht erkennen."
Das gilt im Übrigen auch für die - wenigen - Studien, die die Einstellung internationaler Investoren zur Mitbestimmung erheben. So schnitt bei zwei Untersuchungen von McKinsey über das Vertrauen in unterschiedliche nationale Systeme der Unternehmenskontrolle Deutschland uneinheitlich ab - im Jahr 2000 vergleichsweise schlecht und 2002 vergleichsweise gut. In Befragungen zur Attraktivität als Zielland für Direktinvestitionen kommt die Bundesrepublik immer wieder auf gute Werte.

Tendenziell positiv für die Mitbestimmung, aber nicht ganz eindeutig stellt sich für die Experten auch der Stand der ökonometrischen Forschung zum Thema dar. Solche Arbeiten durchleuchten beispielsweise, wie sich Rendite, Innovationsfähigkeit, Produktivität oder Börsenbewertung von Unternehmen vor und nach der Einführung der zahlenmäßig paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat entwickelt haben - und vergleichen diese Werte mit denen aus Firmen ohne Gremium nach dem 76er-Gesetz. "Viele der methodisch besseren neueren Studien" tendierten dazu, "der Unternehmensmitbestimmung insgesamt positive wirtschaftliche Effekte zuzuschreiben", halten die Experten fest. Allerdings gebe es auch widersprüchliche Ergebnisse. Die verbleibenden methodologischen Probleme des Forschungsstrangs seien zudem zu groß, um einen "zweifelsfreien Nachweis" wirtschaftlicher Vor- oder Nachteile zu erbringen. Eines ist jedoch klar: "In jedem Fall aber liefern die von der Forschung dokumentierten wirtschaftlichen Erfahrungen in Vergangenheit und Gegenwart keine Begründung für Forderungen nach einer grundlegenden Umgestaltung der Unternehmensmitbestimmung."

Dabei haben die Wissenschaftler im Blick, dass der Deutsche Bundestag die Mitbestimmung 1976 "nicht mit dem primären Ziel einer Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen" mit überwältigender Mehrheit verabschiedet hat. Es ging um mehr Demokratie im Wirtschaftsleben und darum, die Beschäftigten in großen Unternehmen wirksam an Entscheidungen zu beteiligen, die für sie weit reichende Folgen haben können. Diesen "durch die bestehenden Regelungen bewirkten Schutz von Arbeitnehmerbelangen" halten die Experten "weiterhin für geboten" - und für eine höchst moderne Idee.

Denn zugleich habe sich der "kooperative Ansatz der Mitbestimmung" auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten dabei bewährt, "ein wirksames Instrumentarium zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen". Diese Kooperations-Kultur auf Augenhöhe habe positive Auswirkungen auf Motivation und Verantwortungsbewusstsein der Arbeitnehmer, trage zum sozialen Frieden bei und nütze damit wiederum auch der Wirtschaft: "Unternehmen können und sollten sich die Produktivität der Kooperation im Wettbewerb nutzbar machen", raten die Wissenschaftler.

Zumal die Mitsprache von Arbeitnehmern durchaus keine deutsche Exklusiv-Einrichtung ist: "Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist Teil einer europäischen Vielfalt unterschiedlicher Formen der Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen von Kapitalgesellschaften", betonen sie - und "angesichts weit reichender Mitgestaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im Boardsystem z. B. in skandinavischen Ländern" lassen sie offen, ob die Rechte in Deutschland tatsächlich besonders stark sind. Unstrittig ist für die Professoren aber, dass Mitbestimmung in einer alternden Wissensgesellschaft sogar noch wichtiger werde: Im Wettbewerb um jüngere Arbeitnehmer und Spezialisten müssten sich Unternehmen um eine möglichst große Identifikation und Bindung ihrer Beschäftigten bemühen: "Ihrer stärkeren Beteiligung an der unternehmerischen Willensbildung wird dabei eine wichtige Rolle zufallen."

  • Studien stellen der Mitbestimmung ein gutes Zeugnis aus. Zur Grafik
  • Bundesbürger sehen deutsche Wirtschaft dank Mitbestimmung gut aufgestellt. Zur Grafik
  • Auch die Kapitalgeber schätzen die Mitbestimmung. Zur Grafik
  • Ein Drittel der mitbestiommten Unternehmen hat eine ausländische Muttergesellschaft. Zur Grafik

Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Mitbestimmung, Dezember 2006.Studie zum Download

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