Quelle: HBS
Böckler ImpulsGesellschaft: Gefährlicher Nährboden
Viele, die schon während der Coronakrise zu Verschwörungsmythen neigten, tun dies nun auch im Hinblick auf den Ukrainekrieg.
17 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland haben eine ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine. 9 Prozent sind offen für Verschwörungserzählungen zum russischen Angriffskrieg. Die Überschneidung zwischen beiden Gruppen ist erheblich. Die überwiegende Mehrheit aller Befragten lehnt jedoch Verschwörungsdenken und abwertende Aussagen über Geflüchtete ab. Das zeigt die repräsentative Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung unter mehr als 6200 Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden von April bis Mai 2022, die das WSI ausgewertet hat. Abgefragt wurde unter anderem die Einstellung zu Aussagen wie „Wir können nicht noch mehr Geflüchtete in Deutschland aufnehmen“ oder „Der Krieg gegen die Ukraine wird genauso künstlich dramatisiert wie die Pandemie“.
Deutlich überdurchschnittlich verbreitet sind Vorbehalte und Verschwörungsdenken bei Menschen, die in der aktuellen Krise finanzielle Sorgen oder Angst vor Arbeitsplatzverlust haben oder deren Vertrauen in demokratische und öffentliche Institutionen gering ist. Besonders häufig findet man diese Einstellungen im Kreis derjenigen, die in vergangenen Befragungen bereits Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie zuneigten. Unter Anhängerinnen und Anhägern der AfD ist die Zustimmung dreimal so hoch wie unter allen Erwerbspersonen.
Finanzielle Belastungen abfedern
Zum einen zeigten die Befunde ein „relativ kleines, aber in seinen Einstellungen verhärtetes Klientel, das dem demokratischen Diskurs weitgehend den Rücken kehrt“, erklärt Andreas Hövermann vom WSI. „Ein erheblicher Anteil derjenigen, die jetzt Verschwörungsdenken zum Ukrainekrieg teilen, war bereits zu Beginn der Pandemie bereit, konspirativen Deutungen über das Virus zu glauben.“ Dies verdeutliche, „wie austauschbar und anpassungsfähig letztlich der Inhalt der angeblichen Verschwörungen ist“.
Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass die Stabilität einer Gesellschaft in Gefahr geraten kann, wenn viele Menschen finanzielle Sorgen plagen und das Vertrauen in Institutionen durch fast drei Jahre Dauerkrise strapaziert ist. „Das stellt einen gefährlichen Nährboden dar, da wir sehen, wie anknüpfungsfähig und attraktiv Verschwörungsdeutungen sein können und wie schnell von einigen Solidarität entzogen wird, wenn eigene finanzielle Sicherheiten ins Wanken geraten“, sagt der Soziologe. Für den Zusammenhalt sei es extrem wichtig, dass die Regierung drastische finanzielle Belastungen wirksam abfedert und dabei bedürftige Gruppen priorisiert. Dabei gehe es nicht ausschließlich um Menschen mit niedrigen Einkommen, der hohe wirtschaftliche Druck reiche bis in die Mittelschicht.
Andreas Hövermann: Verschwörungsdenken und die Abwertung Ukraine-Geflüchteter vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Energiekrise, Analysen anhand des Erwerbspersonenpanels der Hans-Böckler-Stiftung, WSI-Report Nr. 78, September 2022