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Ein Job für die KI Böckler Impuls

ChatGPT & Co.: Ein Job für die KI

Ausgabe 14/2023

Der Einsatz von ChatGPT und ähnlichen Anwendungen wird keinen Bereich der Arbeitswelt unberührt lassen. Auch oder gerade Hochqualifizierte werden betroffen sein. Aber: Statt die Entwicklung zu fürchten, gilt es, sie zu gestalten.

Künstliche Intelligenz (KI) hat in der Vergangenheit schon Erstaunliches geleistet: einen Schachweltmeister geschlagen, Auffälligkeiten auf Röntgenbildern entdeckt oder beim Einparken von Autos geholfen. Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten erscheint dies jedoch fast wie aus einer anderen Zeit. „Mit ChatGPT gelang etwas Neues: Es kann uns in unserer Sprache antworten“, schreibt Michael Seemann. Der Kultur- und Medienwissenschaftler hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht, wie KI und speziell sogenannte Large Language Models (LLMs), zu denen unter anderem ChatGPT zählt, in Zukunft die Arbeit verändern könnten. Viele Beschäftigte werden sich neue Fähigkeiten aneignen müssen. Sie müssen lernen, die neuen Möglichkeiten für sich zu nutzen, und sich gleichzeitig mit den Schattenseiten, etwa der automatisierten Überwachung, auseinandersetzen. Einige werden ihren Job verlieren. Manche Horrorszenarien, die derzeit kursieren, erscheinen aber übertrieben.

Das Grundprinzip von LLMs besteht darin, große Datenmengen auszuwerten und daraus ein Verständnis für die Strukturen, Muster und Zusammenhänge von Sprache zu entwickeln. Obwohl die Sprachmodelle nur versuchen, das jeweils nächste Wort eines Textes statistisch vorherzusagen, erlangen sie dadurch die Fähigkeit, auf komplexe Konversationen zu reagieren, Anweisungen auszuführen, Denkaufgaben zu lösen und gut lesbare Texte zu schreiben. GPT-4 von der Firma Open Ai, das derzeit als das am weitesten entwickelte Sprachmodell gilt, soll bereits mehrere Prüfungen an Universitäten mit Bravour bestanden haben, beispielsweise in Physik und Medizin, ebenso wie die Zulassungsprüfung für Rechtsanwälte in den USA. 

Noch würden zwar immer wieder Fehler produziert, so Seemann. Es existiere noch kein Modell, bei dem nicht gravierende Wissenslücken, Interpretationsfehler, Logikfehler oder „Halluzinationen“ in den Antworten auftauchen. Insbesondere die Tendenz zu halluzinieren, das heißt Fakten und manchmal sogar Quellen einfach zu erfinden, scheine in der grundsätzlichen Funktionsweise dieser Modelle angelegt zu sein. Andererseits seien die Möglichkeiten von LLMs noch lange nicht ausgeschöpft. Mehrere Unternehmen forschen derzeit an der Weiterentwicklung: Neben Open Ai und seinem Partner Microsoft sind dies etwa Google, Meta (ehemals Facebook) oder der chinesische Suchmaschinenkonzern Baidu.
 

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Kontrolle oder Entlastung durch KI?

Der Wissenschaftler geht davon aus, dass sprachbasierte KI schnell Einzug in die Arbeitswelt halten wird: Der Einsatz wird vom Management vorangetrieben, um Prozesse zu beschleunigen, Kosten zu senken und Personal einzusparen. Die LLMs könnten eine Vielzahl von Aufgaben automatisieren, die bisher von Menschen durchgeführt wurden. Dazu gehören das Verfassen von Texten, das Beantworten von Kundenanfragen, das Programmieren von Software und vieles mehr. Zudem ergeben sich neue Möglichkeiten, Beschäftigte zu überwachen und ihre Leistung zu bewerten. Zwar gab es auch in der Vergangenheit schon Möglichkeiten der automatisierten Überwachung. Aber wenn die Software nicht nur die Tastatureingaben pro Minute misst, sondern auch erkennt, wie sorgfältig man E-Mails formuliert, wie viele Ideen jemand pro Textseite produziert oder wie intensiv man Kontakte innerhalb des Unternehmens oder zu Kundinnen und Kunden pflegt, dann eröffnet das dem Unternehmen ganz neue Vergleichsmöglichkeiten, erklärt Seemann. Diese könnten genutzt werden, um den Konkurrenzdruck innerhalb der Belegschaft zu erhöhen.

Die Beschäftigten werden im Arbeitsalltag aber auch von sich aus auf LLMs zurückgreifen – ob mit oder ohne Zustimmung des Arbeitgebers. Schließlich erscheint es – zumindest aus individueller Perspektive – reizvoll, die mit dem Einsatz von KI verbundenen Produktivitätsgewinne selbst einzustreichen, in Form von Arbeitserleichterungen, einer besseren Performance im Job oder einfach mehr Freizeit. Überall dort, wo es um textbasierte Arbeit geht, ist zunächst mit einer enormen Zunahme des Outputs zu rechnen. Und überall dort, wo man sich durch die gelungene Formulierung von Texten einen Vorteil gegenüber anderen verschaffen konnte, wird das Spielfeld geebnet, schreibt der Forscher.

Umbruch auf dem Arbeitsmarkt

Eine der in der Öffentlichkeit am meisten diskutierten Fragen ist, wie sich der Einsatz von KI auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. Oder zugespitzt formuliert: Wie viele Menschen werden durch KI ersetzt? Die Studienlage dazu sei noch recht dünn, schreibt Seemann. Und die meisten Autorinnen und Autoren dürften sich bewusst sein, dass es für eine abschließende Bewertung noch zu früh ist. Nichtsdestotrotz kursieren zahlreiche Prognosen und Szenarien – manche erwarten dramatische Jobverluste, andere prophezeien zahlreiche neue Jobs, wieder andere kombinieren beides: Beispielsweise geht eine Analyse von Goldman Sachs davon aus, dass ein Viertel der Arbeitsplätze in den USA und Europa der Automatisierung zum Opfer fallen könnte – mit den größten Automatisierungspotenzialen in den Bereichen Verwaltung und Recht. Dennoch zeichnet die Bank ein optimistisches Bild, da sie gleichzeitig viele Anzeichen dafür sieht, dass KI zu einem Wachstumsmotor werden kann. 

Auch Seemann geht davon aus, dass einige Berufe wahrscheinlich „existenziell bedroht“ sein werden. Als Beispiele nennt er Callcenter-Angestellte, Clickworker, Redakteure und Redakteurinnen von Klatschmagazinen oder Übersetzer und Übersetzerinnen. Manche Berufe würden sich hingegen vergleichsweise wenig verändern: In Bauberufen, bei Hausmeisterinnen und Hausmeistern, Pflegekräften oder Ärzten und Ärztinnen sei davon auszugehen, dass KI in den Arbeitsalltag integriert wird, ganz so, als wäre sie nur eine neue Software im Betrieb. Die größte Gruppe dürften die Berufe bilden, die bestehen bleiben, sich aber unter dem Druck der LLMs radikal verändern. Zu ihr könnten alle Arten von Medienberufen zählen, aber auch Berufe in den Bereichen Lehre, Verwaltung und Management, Beratung und viele andere.

Es sei wenig sinnvoll, die Debatte um die bevorstehende Transformation „angstgetrieben“ zu führen, erklärt Seemann: „Im öffentlichen Diskurs gilt es, den Apokalyptikern der KI-Revolution selbstbewusst entgegenzutreten. Menschliche Arbeit wird auch in Zukunft ihren Platz und ihren Wert behalten und Arbeitende haben ein Recht, die kommenden Strukturveränderungen mitgestalten zu dürfen.“ Neben der Regulierung und Eingrenzung von LLMs sollte auch für einen offeneren Umgang mit diesen Werkzeugen geworben werden. Aufklärung über den sinnvollen und weniger sinnvollen Einsatz sowie begleitende Hilfestellungen wären nützlich.

Die Gewerkschaften sollten sich unter anderem mit den neuen Überwachungsmöglichkeiten und datenschutzrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit LLMs befassen. Hier gebe es neuralgische Punkte, an denen man durch frühzeitige Gesetzgebung eine grenzenlose Überwachung verhindern könnte. Hilfreich könnte sein, die Unternehmen daran zu erinnern, dass sie „bei diesen Umwälzungen selbst leicht unter die Räder kommen können“. Durch die Nutzung externer KI-Dienstleistungen würden Unternehmen abhängiger von den jeweiligen Anbietern.

Eine Herausforderung für die Gewerkschaften bestehe darin, dass einige der betroffenen Berufsgruppen nicht zu ihrer üblichen Klientel gehören. Dies könne aber auch eine Chance sein, wenn es gelingt, diese Menschen zu erreichen. Bei Konflikten um den Einsatz von KI im Betrieb könnten die Gewerkschaften mit Infrastruktur und Knowhow zur Seite stehen und langfristig für einen höheren Organisationsgrad in bestimmten Branchen sorgen.
 

Michael Seemann: Künstliche Intelligenz, Large Language Models, ChatGPT und die Arbeitswelt der Zukunft, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 304, September 2023

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