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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Der Praxistest zeigt den Nutzen

Ausgabe 07/2006

Fallen Jobs weg, wenn der Staat Mindestlöhne zur Pflicht macht? Nein, folgern Ökonomen aus den Erfahrungen mit Lohnuntergrenzen in der EU und den USA. Bessere Löhne für Geringverdiener können der Gesamtwirtschaft sogar nutzen.

Gesetzliche Mindestlöhne gibt es in 18 von 25 EU-Ländern, den USA und der Mehrzahl der OECD-Staaten. Das WSI hat die ökonomische Forschung zur Beschäftigungswirkung von Lohnuntergrenzen ausgewertet. Neuere empirische Studien lassen eine klare Trendwende erkennen. Das neoklassische Standardmodell, das Jobverluste bei gesetzlichen Mindestlöhnen prognostiziert, befindet sich international in der Defensive. Mindestlöhne kosten aller Erfahrung nach keine Jobs, obwohl viele deutsche Ökonomen immer noch davor warnen. Ein Team der London School of Economics bilanziert: "Viele Studien haben gezeigt, dass Mindestlöhne die Lohnstrukturen ändern, indem sie die relativen Löhne der am geringsten bezahlten Arbeiter erhöhen, aber den meisten empirischen Studien fällt es schwer, einen negativen Effekt auf die Beschäftigung zu finden."

Lohnuntergrenzen schaden der Beschäftigung nicht. Diese Erkenntnis hat sich, wie das WSI darlegt, im Mainstream der US-Ökonomen seit einer Studie von Alan Card und David Krueger etabliert. Die Erfahrungen zeigten, dass moderate Steigerungen der Mindestlöhne nur sehr geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Beschäftigung haben, erklärte 1999 das amerikanische Pendant des Sachverständigenrates, die Wirtschaftsberater des US-Präsidenten. Card und Krueger untersuchten den Einfluss von gesetzlichen Lohnuntergrenzen auf die Beschäftigung in Fast-Food-Restaurants in zwei benachbarten US-Bundesstaaten. In New Jersey wurde 1992 der Mindestlohn von 4,25 Dollar auf 5,05 Dollar angehoben, in Pennsylvania blieb er konstant bei 4,63 Dollar. Das überraschende Ergebnis: Trotz der Erhöhung des Mindestlohns um fast 20 Prozent stieg die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in New Jersey, während sie in Pennsylvania sank.

Erfahrungen in Großbritannien und Irland zeigen zudem: Selbst die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns schmälert die Zahl der Beschäftigen nicht. Großbritannien hat seit 1999 einen gesetzlichen Mindestlohn. Auf der Insel gilt es als unstrittig, so die WSI-Studie, dass der neue "National Minimum Wage keine erkennbaren Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung oder die Beschäftigung der wichtigsten betroffenen Arbeitnehmergruppen hatte." Irland zog 2000 nach. Irische Forscher beobachteten seitdem: Unternehmen, die Mindestlöhne zahlen mussten, verhielten sich nicht anders als die übrigen Arbeitgeber.

Gestützt von diesen empirischen Ergebnissen erklären WSI und IMK die Beschäftigungseffekte aus wirtschaftstheoretischer Sicht:

Korrektur ungleicher Marktmacht: Die neuere ökonomische Literatur geht von einem Arbeitsmarkt aus, auf dem der Marktmechanismus nur einschränkt wirkt, weil Unternehmen mehr Macht haben als Arbeitsuchende. Ein Mindestlohn würde im Niedriglohnsektor die ungleiche Marktmacht korrigieren und mehr Beschäftigung ermöglichen.

Schranke gegen Lohndumping: Sinkende Löhne führen nicht automatisch zu einem Rückzug der Beschäftigten vom Arbeitsmarkt. Das neoklassische Modell bildet das Arbeitsangebot nicht realistisch ab: Wenn der Lohn immer kleiner wird, müssen viele Beschäftigte mehr arbeiten, um das lebensnotwendige Einkommen zu erhalten. Ein Mindestlohn verhindert ruinöse Lohnkonkurrenz.

Höhere Produktivität: Der Effizienzlohntheorie zufolge können Arbeitgeber von höheren Löhnen profitieren. Lohnsteigerungen regen in den Unternehmen auch Verbesserungen der Produktivität an. Wenn Mindestlöhne zu einem Zuwachs von Produktivität und Umsatz führen, können sie mehr Beschäftigung schaffen.

Verstärkte Nachfrage: In Deutschland ist die schwache private Kaufkraft "hauptverantwortlich für die seit langem kränkelnde Binnennachfrage und die davon ausgehende Konjunkturflaute", so das WSI. Ein Mindestlohn stabilisiert das Einkommen von Geringverdienern und hebt die Güternachfrage. Das kommt wiederum den Unternehmen und so der Beschäftigung zugute.

  • Empirische Studien führen vor: Mindestlöhne müssen keine Jobs kosten. Zur Grafik

Thorsten Schulten, Reinhard Bispinck, Claus Schäfer (Hrsg.): Mindestlöhne in Europa, VSA-Verlag, Hamburg 2006
mehr Infos zum Buch

Mirko Draca, Stephen Machin, John Van Reenen: Minimum Wages and Firm Profitability, CEP Discussion Paper No. 71, Februar 2006
Download (pdf)

Wirtschaftliche Entwicklung 2006 und 2007, IMK Report Nr. 9 April 2006
Download (pdf)

mehr zum Thema Niedriglohn in: Böckler Impuls 2/2006

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