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Labora 2022 Service aktuell

LABOR.A 2022: Ideen für den Wandel der Arbeit

Der Umbau der Arbeitswelt hin zu Nachhaltigkeit stellt Wirtschaft und Gesellschaft vor Herausforderungen. Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik erörterten auf der LABOR.A in Berlin, was das für gute Arbeit und Mitbestimmung bedeutet.

[29.9.2022]

Von Andreas Schulte

Endlich wieder Publikum! Nachdem die LABOR.A 2021 pandemiebedingt nur von einem kleinen Teil der Fachwelt vor Ort besucht werden konnte, hieß es in diesem Jahr wieder Full House. 300 Präsenzgäste folgten im Berliner Café Moskau den Ausführungen der 72 Organisationen und Akteure. Die hybride Veranstaltung wurde zudem live gestreamt. Über 1.200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer schalteten sich online zu.

Der rote Faden im vielfältigen Programm: die Transformation. Freilich spielte das Schlagwort schon im vergangenen Jahr eine wichtige Rolle. Doch der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energieknappheit wirken wie ein Windstoß in den Rücken. Der Übergang der Wirtschaft hin zu Nachhaltigkeit und einer Kreislaufwirtschaft muss nun noch schneller gelingen, als der Klimawandel das ohnehin schon erfordert. Als Ideenschmiede bezeichnete Claudia Bogedan, Geschäftsführerin unserer Stiftung, die diesjährige Veranstaltung in ihren Begrüßungsworten.

  • Labora 2022 - Claudia Bogedan
    Unsere Geschäftsführerin Claudia Bogedan begrüßte die LABOR.A-Gäste.

Das erste Ausrufezeichen setzte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi: „Die Beschäftigten sind die Erbauer der Transformation. Die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte ist eine Gelingensbedingung für diesen Wandel.”

Nur in neun Prozent der Betriebe in Deutschland, die rein rechtlich einen Betriebsrat haben könnten, findet sich dieses Gremium, beklagte Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Mitbestimmungsfachleute, Juristinnen und Juristen aus Gewerkschaften und HSI haben daher zusammen mit einigen Rechtsprofessoren einen Reformvorschlag für das veraltete Betriebsverfassungsgesetz erarbeitet. Auf der Labora stellten sie zentrale Punkte des Reformvorschlags vor.

Die Arbeit vieler Betriebsräte werde immer komplexer, daran müssten sich auch die Arbeitsbedingungen anpassen. „Betriebsratsmitglieder brauchen eine Perspektive für ihre berufliche Entwicklung”, forderte Verena zu Dohna, Ressortleiterin Betriebsverfassung und Mitbestimmung bei der IG Metall. „Sonst haben wir bald keine Kandidaten mehr.” So sollten die Arbeitnehmervertreter zum Beispiel für ihre fortlaufenden Qualifizierungen honoriert werden. Betriebsräte sollen auch mehr Beteiligungsrechte beim Einsatz von Datenanalyse sowie von künstlicher Intelligenz erhalten.

Die KI rechnet, der Mensch denkt

Künstliche Intelligenz – kurz KI – erkennt Gesichter und Fingerabdrücke, analysiert sprachliche Muster, beantwortet einfache Fragen oder schlägt Musik anhand von Hörgewohnheiten vor. In der Industrie gilt KI als Schlüsseltechnologie für Wettbewerbsfähigkeit und arbeitet auch hier schon an vielen Stellen mit. Im besten Fall erleichtert sie die Arbeit der Beschäftigten, im schlechtesten Fall reduziert sie den Mensch zum Handlanger der Maschine oder macht ihn ganz überflüssig. Was es braucht, damit der beste und nicht der schlechteste Fall eintritt, war auch Thema bei der diesjährigen Labora.

Wie weit KI in Unternehmen bereits verbreitet ist und was Beschäftigte damit verbinden, war Gegenstand von zwei Forschungsprojekten, die Markus Hoppe von Input Consulting und Thomas Lühr vom ISF München vorstellten. Danach gab ein Drittel der Unternehmen an, dass sie KI bereits nutzen, und ein weiteres Fünftel plant den Einsatz von KI. 20 Fallstudien aus unterschiedlichen Branchen ergaben, dass die meisten Beschäftigten eher positiv auf KI schauen und sich davon Entlastung versprechen.

Entlastung durch KI sei allerdings keineswegs ein Selbstläufer. So konstatierte Gabi Schilling vom Zukunftszentrum KI der IG Metall NRW: „Technik allein verbessert keine Arbeitsbedingungen.“ Es komme vielmehr darauf an, sie so zu gestalten, dass sie zum Unternehmen passt. Dafür brauchen Betriebsräte das Wissen der Beschäftigten über ihre Arbeit und mehr als ein Vorschlagsrecht.

Lars Schatilow, Gründer von Human Friendly Automation (HFA), kritisierte: „In den letzten 30 Jahren ging es nur darum, dass Beschäftigte die Technik bedienen können und nicht darum, was die Technik mit den Menschen macht.“ Das Ziel von HFA sei dagegen eine würdevolle und sinnstiftende Arbeit. Daher brauche es einen wertebasierten Einsatz von Technik. Barbara Langes vom ISF München wies darauf hin, dass es schließlich nicht nur um Technik gehe, sondern auch um Qualifizierung. Lars Schatilow würde allerdings noch einen Schritt zwischenschalten, um angesichts des Fachkräftemangels Beschäftigte im Betrieb zu halten. „Ich muss die Menschen fragen, was sie an ihrer Arbeit mögen“, sagte der Gründer von HFA, „um sie dann auf eine Position hin zu qualifizieren, die ihnen das wieder bietet.“

Die Beispiele zeigten, dass Betriebsräte KI durchaus gestalten können, wenn sie rechtzeitig einbezogen werden und das notwendige Wissen habe. Dazu ermunterte auch Birgit Bäumker, Betriebsratsvorsitzende bei Miele in Oelde, alle Betriebsräte: „Wir müssen vor neuen Projekten keine Angst haben. Wir müssen nur Beratung und Qualifizierung nutzen.“

Neben der Gestaltung guter Arbeit gibt es auch datenrechtliche Fragen. Wichtig war den meisten, dass die Ergebnisse der Algorithmen nachvollziehbar sind und kontrolliert werden. Die Maschine errechnet Vorschläge, entscheiden muss der Mensch.

Was die Transformation für Beschäftigte bedeutet und welche Gestaltungsmöglichkeiten sie haben, erörterte ein Panel am Beispiel des Kohleausstiegs und am Aus für den Verbrenner. Vom Ausstieg aus der Kohle sind vor allem die Lausitz und das rheinische Revier betroffen. Der Strukturwandel der Autoindustrie betrifft in besonderem Maße die Region Stuttgart.

Der Bericht von Nicolas Bauer verdeutlichte, dass einzelbetriebliche Aktionen nicht ausreichen. „Für die Transformation müssen alle Beteiligte an einen Tisch geholt werden“, sagte der Stuttgarter Metaller. „Das geht von den Betrieben über kommunale Vertreter bis in die Berufsschulen.“ So geht das Transformationsnetzwerk Cars 2.0 vor. Erst der gemeinsame Blick entdecke vielmehr Stellen, an denen die Transformation hakt, etwa bei Qualifizierungen, so Bauer.

Hub: Transformation gestalten

Um Aktionen rund um die Transformation an einem Ort zu bündeln, hat die Hans-Böckler-Stiftung eine neue Stabsstelle eingerichtet. Das sogenannte „Hub: Transformation gestalten“ dient seit diesem Frühjahr als Plattform zur Begleitung der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit der sozial-ökologischen Transformation. Das Hub wird unter anderem regionale Erfahrungsaustausche organisieren und Best-Practice-Beispiele aufbereiten. Dazu beteiligt es Wissenschaft, Politik und Gewerkschaften.

Ein Ziel: In einem Jahr soll in allen sechzehn Bundesländern ein runder Tisch verschiedene Themen der Transformation vorantreiben. „Wenn wir dieses Ziel erreichen, wäre ich sehr zufrieden“, sagte Christian Hoßbach, Leiter des Hubs.

Ein Streiflicht über innovative Projekte zeigte die große Bandbreite der Forschung zur Transformation. Sechs Forscherinnen und Forscher stellten ihre Projekte vor.

Auf dem Podium unter anderem: Klaus Schmierl vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung. Sein Forschungsobjekt: die Lieferbranche. Sie ist Vorreiter bei der digitalen Transformation und zeigt die Nachteile einer rein marktgetriebenen Entwicklung. Denn für die Beschäftigten heißt das, sie werden vom Arbeitgeber digital kontrolliert. Im Tablet der Fahrer ist jede Route samt Zeitplan vorgegeben und kann zudem kurzfristig geändert werden. Das setzt die Lieferanten unter Druck. Die Beschäftigten können sich kaum wehren. Denn nur zwei der großen Lieferdienste, DHL und UPS, stellen ihre Fahrer überwiegend fest ein, bei den anderen herrschen Werkvertragsstrukturen vor. Dort haben Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmung nur geringen Einfluss.

Ziel des Projektes “Visionäre Praktiken für die digitale Transformation” ist es, erfolgreiche Konzepte demokratisch geführter Betriebe für die Betriebsratsarbeit in Deutschland zu nutzen. Ein Beispiel: Die Belegschaften einiger Fahrradlieferdienste verschiedener Länder entwickeln ihre Bestell- und Liefer-App selbst. So sollen unter anderem Überwachungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber vermieden werden. Felix Gnisa vom Karlsruhe Institute of Technology stellte das Projekt vor und warb unter Betriebsräten für die Teilnahme an einem Workshop im Dezember. Auch für die schnelle Vernetzung ist die LABOR.A gut.

  • Panel auf der Labor.a 2022
    Austausch auf der LABOR.A 2022

Das Panel zur innovativen betrieblichen Praxis stellte Beispiele aus Betrieben vor. Die Besucher konnten über die vielversprechendste Aktion abstimmen.

Karl-Heinz Marx, Betriebsrat der Zurich-Versicherung zählte zu den Gewinnern. Er hat dafür gesorgt, dass die Zusammenlegung zweier Büros der Versicherung mit 2800 Mitarbeitern ganz im Sinne der Beschäftigten gestaltet wurde. „Viele hatten Angst vor Lärm im neuen Großraumbüro und davor, sich nicht zurückziehen zu können”, erzählte Marx. Der Betriebsrat bildete Ausschüsse, um die Bedürfnisse der Beschäftigten zu klären. Anschließend entstanden auf Pilotflächen erste Büros. Fester Bestandteil der neuen Arbeitsplätze sind heute ergonomische Möbel, Gesundheitseinrichtungen und Ruhezonen. „Fast alle, die Bedenken hatten, arbeiten jetzt gerne hier”, sagt Marx.

Zweite Gewinnerin wurde Ines Stern, Betriebsrätin beim Pharmakonzern Merck in Darmstadt. Ihr Projekt „Demokratie wagen” bindet Vertrauensleute enger in die Arbeit der Betriebsräte ein. Gerade in der Produktion sind Vertrauensleute näher an der Belegschaft, deshalb können sie deren Bedürfnisse besser wahrnehmen. So erkannten sie zum Beispiel, dass bei älteren Beschäftigten gegenüber der Digitalisierung Vorbehalte herrschten. In umfangreichen Schulungen wurden diese Zweifel weitgehend zerstreut. „Wir müssen in der Transformation alle mitnehmen”, sagte Stern.

Mit dem Begriff „mitnehmen“ hatte Thorben Albrecht im Zusammenhang mit der Transformation so seine Probleme. Warum, erklärte der Bereichsleiter Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim IG Metall Vorstand im anschließenden Panel. Es trug den Titel „Immer schneller – immer innovativer? Die Digitalisierung als Treiber der Transformation.“

Albrecht steht statt für „Mitnehmen“ für ein gemeinsames Fortkommen im Gleichschritt aller Beteiligten ein. Denn Alleingänge von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern stoßen oft auf Widerstand. Das kostet wertvolle Zeit. „In Zeiten der Digitalisierung und der Transformation wird es wichtiger, gemeinsam mit dem Arbeitgeber Konzepte zu entwickeln. Darauf werden sich Betriebsräte einstellen müssen”, sagte Albrecht.

Wenn der Finanzinvestor kommt

Finanzinvestoren werden gerne auch als Heuschrecken bezeichnet. Das Klischee: Sie kaufen ein Unternehmen, senken dort die Kosten, indem sie Beschäftigte entlassen. Sie steigern den Ertrag, und nach kurzer Zeit versuchen sie, das Unternehmen mit Gewinn wieder abzustoßen. Deshalb schrillen bei Betriebsräten die Alarmglocken, wenn Finanzinvestoren anklopfen. Leider zurecht. Dies hat Christoph Scheuplein herausgefunden.

Der Autor des Private Equity Monitors der Hans-Böckler-Stiftung hat untersucht, was der Einstieg von Finanzinvestoren für die Arbeit von Betriebsräten bedeutet. Tatsächlich müssen sich Betriebsräte auf rigorose Kostensenkungsprogramme einstellen. Mehr als die Hälfte der Finanzinvestoren greift kurz nach dem Einstieg zu diesem Mittel. Wird die Übernahme mit Fremdkapital finanziert, gehen die frischen Schulden in drei von vier Fällen auf das gekaufte Unternehmen über. Nach zwei von drei Übernahmen wird das Management ausgetauscht.

Betriebsräte brauchen gerade in der ersten Zeit nach der Übernahme ein dickes Fell, findet Scheuplein. „Will der Finanzinvestor das Unternehmen nach einiger Zeit verkaufen, muss er die Braut wieder aufhübschen. Dann wird es im Unternehmen allmählich ruhiger.“

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