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Tagungsbericht zur LABOR.A : Konzepte für den Lückenschluss

Zum siebten Mal lud die Hans-Böckler-Stiftung im September zur LABOR.A nach Berlin ein. Die Beiträge zeigten, an wie vielen Stellen im Land der Schuh drückt, aber auch wie sich Veränderungen angehen lassen.

[25.09.2024]

Von Andreas Schulte und Fabienne Melzer

Gute Arbeit und Mitbestimmung - diese Errungenschaften müssen Interessensvertretungen gerade in unruhigen Zeiten täglich aufs Neue erstreiten. Zudem erfordert die sozialökologische Transformation neue Konzepte für gute Arbeit. Welche Wege dabei zum Ziel führen, diskutierte die Hans-Böckler-Stiftung auch in diesem Jahr mit Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, mit Gewerkschafter*innen und Mitbestimmungsakteur*innen auf der LABOR.A in Berlin.  

Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, setzte den Rahmen der Veranstaltung, der erneut um die 2000 Menschen über das Internet und vor Ort folgten. „Fill the Gap - Füll die Lücke” lautete das diesjährige Motto. Das Programm war mit mehr als 100 Sprecher*innen sowie rund 70 Partnerorganisationen breitgefächert wie nie. Damit eröffnete die LABOR.A analog und digital wieder ein breites Spektrum an Perspektiven. Gemeinsam wollte man Lücken füllen, die derzeit im politischen Diskurs, im Finanzplan und in sozialen Fragen klaffen. 

Lücke: Infrastruktur

Eine dieser Lücken: eine Lösung für das Gelingen der sozialökologischen Transformation. Die Diskussionsrunde mit dem Vorsitzenden der IGBCE, Michael Vassiliadis, ging auf die Suche. Einigkeit herrschte in der Runde darüber, dass die sozialökonomische Transformation zuletzt in den Hintergrund der öffentlichen Diskussion geraten ist. Klimaschutz müsse integrativ gedacht werden, und es müsse deutlich werden, dass nicht nur Verzicht die Lösung ist. Ein Fehler in der Positionierung sei zudem der oft gesetzte Fokus auf eine Intellektualisierung des Themas. Die Folge: Andere Kräfte zerrten nun mit einfachen Antworten an diesen Fragen. „Wir müssen sachlicher werden”, forderte daher Vassiliadis.  

Er nahm zudem die Politik in die Pflicht. Mitbestimmte Aufsichtsräte hätten Konzepte für die Transformation entwickelt. Doch die Infrastruktur sei lückenhaft und halte damit nicht Schritt, etwa beim schleppenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Die marode Infrastruktur habe aber noch andere Folgen: „Wenn die Menschen sehen, dass ihr Land nicht funktioniert, dann glauben sie auch nicht an Visionen wie die Transformation“, sagte Vassiliadis. Sein Fazit: Deutschland könne „die Transformation rocken“. Aber: „Wir brauchen länger dafür und brauchen mehr Geld. Wir sind noch nicht auf einem guten Weg.” 

Auch junge Menschen haben auf dem Weg zu einer besseren Klimapolitik ein wenig an Tempo rausgenommen im Vergleich zur Hochzeit der Fridays-for-Future-Bewegung. Louisa Basner, ehemalige Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, erläuterte, warum dies so ist. Grundsätzlich würden junge Leute zu wenig gehört. Sie beschrieb einen Teufelskreis. „Wir Jugendliche erleben nur Scheinpartizipation, aber keine wirkliche Mitbestimmung. Junge Leute sagen daher, die Entscheider interessieren sich nicht für uns, also müssen wir uns auch nicht beteiligen.” Sie forderte Entscheidungsbefugnisse für junge Menschen. 

Soziale Lücken in der Transformation

Mit der Transformation der Autoindustrie rollt auch auf die Zulieferer eine Veränderungswelle zu. Wie sich diese Welle reiten lassen könnte, zeigte das Beispiel des Drehteileherstellers Brehm aus Ulm. Mit Unterstützung der Transformationsförderlinie der Hans-Böckler-Stiftung hatten sich Betriebsrat, IG Metall und Unternehmensleitung auf eine Lernreise begeben. Jan Gottke, Gewerkschaftssekretär der IG Metall in Ulm, betonte, wie wichtig es war, von der Dichotomie Verbrenner versus E-Antrieb wegzugehen, und erst einmal zu fragen: „Was ist unser Produkt?“ Dabei zeigte sich: „Wir können hochkomplexe Drehteile aus schwierigen Materialien herstellen.“ Und solche Komponenten werden auch im Bereich Wasserstoff und Brennzelle gebraucht. Diese könnten das bisherige Geschäft mit dem Automatikgetriebe zwar nicht ersetzen, aber für Anja Kaupper von der Geschäftsleitung zeigt die Lernreise vor welchen Herausforderungen das Unternehmen steht und wie gut es ist, mit Belegschaft und Gewerkschaft an einem Strang zu ziehen. In der Belegschaft äußerten sich am Ende des Projekts mehr Beschäftigte hoffnungsvoll als zu Beginn und stellten fest: „Wir können ja vielmehr, als wir denken.“

Ähnlich wie in der Autoindustrie verändert sich die Arbeit in der Stahlbranche oder wie es Ute Buggeln von der IG Metall Bremen ausdrückte: „Im Stahl wird zurzeit alles auf links gedreht: die Arbeit, die Ausbildung, einfach alles.“ Mit der Umstellung auf Wasserstoff befinde sich die Branche in einer existenziellen Phase. Für die IG Metall gehe es darum, die Veränderungen sozial zu gestalten und gute Arbeit zu erhalten. Denn die Gefahr bestehe durchaus, dass am Ende Arbeitsplätze außerhalb der Stammbelegschaft zu schlechteren Bedingungen entstehen. Mike Böhlken, Betriebsratsvorsitzender bei Arcelor Mittal in Bremen sieht daher die Gewerkschaft und den Betriebsrat als Treiber des Wandels: „Wer, wenn nicht wir soll an einer Zukunft für die Beschäftigten arbeiten?“

Für die Umstellung auf Wasserstoff brauche es zunächst mehr Beschäftigte am Standort, da die Altöfen noch parallel betrieben werden. Gleichzeitig gehen in den nächsten zehn Jahren 1000 Beschäftigte in Rente. Auf Initiative von IG Metall und Betriebsrat hat das Unternehmen die Ausbildung nun verdoppelt. Zwar seien viele in der Belegschaft verunsichert, eine Befragung der Arbeitnehmerkammer Bremen zeigte aber auch, dass Beschäftigte die Veränderungen nicht nur fürchten: 70 Prozent sagten, dass ihre Arbeit durch die Transformation sicherer und besser werde.

  • Eindrücke von der LABOR.A 2024

Lücke: Tarifbindung

1998 betrug der Anteil der Betriebe mit Tarifbindung in Deutschland noch 73 Prozent. Heute sind es nur noch rund 50 Prozent. Schwindende Tarifbindungen führen nicht nur für Beschäftigte zu schlechteren Arbeitsbedingungen, erklärte Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): „Auch die Gesellschaft leidet, wenn Betriebe sich der Tarifbindung entziehen – etwa durch die nachlassende Kaufkraft der Bevölkerung.” Das wiederum schwäche über niedrigere Einnahmen auch die öffentliche Hand und die Sozialversicherungen. Er forderte, Mitgliedschaften von Arbeitgebern ohne Tarifbindung in einem Arbeitgeberverband zu verbieten. 

Wie Gewerkschaften und Belegschaften den Trend weg von der Tarifbindung bremsen oder sogar umkehren können, zeigt ein Beispiel aus dem norddeutschen Rendsburg. Dort führte der längste Streik in der Geschichte der IG Metall dazu, den Windkraftanlagenbauer Vestas in die Tarifbindung zu drängen. Erst nach 73 Streiktagen habe der Arbeitgeber in Verhandlungen mit der IG Metall eingewilligt, berichtete Martin Bitter, Geschäftsführer der IG Metall Rendsburg. Den Erfolg führte er vor allem auf die vorbildliche Solidarität im Betrieb zurück. „Mit einem Verhandlungsergebnis von 5,4 Prozent haben wir zwar nicht alles erreicht, aber es ist ein tarifpolitischer Einstieg”, resümierte er. 

Auch im Hinblick auf die schwindende Tarifbindung im Land hat der Abschluss ein Zeichen gesetzt. Denn der Tarifstreit bei Vestas wurde im Bundestag in einer Aktuellen Stunde diskutiert. „Wir haben die Deutungshoheit darüber erhalten, dass Tarifverträge zur Demokratie gehören und nicht on top sind”, sagte Bitter.  

Lücke: abgehängte Regionen

In der brandenburgischen Lausitz sind die Menschen Kummer gewohnt. Erst gingen mit der Wende viele Arbeitsplätze verloren und dann folgte mit dem Kohleausstieg der nächste Einschnitt. Insofern ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die Gunter Markwardt von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg zeigte, bemerkenswert. Von einer Region mit Massenarbeitslosigkeit Anfang der 2000er Jahre und Arbeitslosenquoten von teilweise 50 Prozent in manchen Orten hat sie sich zu einem Arbeitsmarkt mit ersten Engpässen in einigen Berufen entwickelt. In den Köpfen hat sich die Erfahrung der Vergangenheit allerdings festgesetzt. „Deshalb ist Arbeitslosigkeit trotz dieser Entwicklung für viele Menschen in der Lausitz immer noch ein großes Thema“, sagte Markwardt.

Als Partner des Strukturwandels in der Lausitz versteht sich die Deutsche Bahn. Mit dem Bahnwerk in Cottbus schafft sie rund 1200 Arbeits- und Ausbildungsplätze. Das größte und modernste Werk der Deutschen Bahn übernimmt die Instandhaltung des ICE 4. Die Flotte wächst und die Bahn will Stehzeiten reduzieren, daher braucht sie mehr Instandhaltung. Die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt spürt auch Personalerin Julia Kroll von der Deutschen Bahn bereits: „Es wird schwierig, diese Arbeitsplätze zu besetzen.“ Als Arbeitgeberin wolle man nicht den örtlichen Klein- und Mittelbetrieben Konkurrenz machen. Gunther Markwardt sieht in dem Bahnwerk die Chance, Menschen in die Lausitz zurückzuholen. Doch ohne Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland werde es in der Lausitz zukünftig kaum gehen.

Lücke: Mitgestaltung 

Der Betrieb ist eine kleine Ebene, auf der Demokratie stattfindet. Gestalten betriebliche Akteure ihren Betrieb demokratisch, stärkt dies auch die Demokratie im Staat. Denn Betriebe sind für Aktive oft das Sprungbrett für ein späteres gesellschaftliches oder politisches Engagement. Dies belegen verschiedene Studien. Wie Mitgestaltung etwa bei der Transformation im Betrieb funktionieren kann, zeigt ein Projekt der Hans-Böckler-Stiftung in deutschen Mobilitätsbetrieben. 

Eine wichtige Erkenntnis daraus: Erhalten Beschäftigte keine Mitgestaltungsmöglichkeiten an der Transformation, lehnen sie diese ab. „Die gehen in eine Antihaltung”, sagte Projektleiter Klaus-Stephan Otto. Ein Beispiel, wie es besser geht: Beschäftigte beim Autobauer VW gründeten eine Solargenossenschaft, um das Unternehmen ökologischer aufzustellen. Dazu beteiligten sie sich an der Solaranlage auf dem Dach eines Werks im Emden. 
 

  • Zwei Personen auf dem Podium

Lücke: Demokratieverständnis 

Die Lücke Demokratieverständnis war Thema der dritten großen Runde auf der diesjährigen LABOR.A. Darüber diskutierten Stephan Anpalagan von Demokratie in Arbeit und Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Kurze Interviews mit dem Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, und mit Tahera Ameer, Programmvorstand der Amadeu Antonio Stiftung, ergänzten die Diskussion.Tahera Ameer veranschaulichte die Folgen des Rechtsrucks in Deutschlands. Sie berichtete beispielhaft aus dem thüringischen Sonneberg von einer Verfünffachung der Gewalt, seit ein Landrat mit AfD-Zugehörigkeit im Amt ist. Auch Bündnisse für Demokratie hätten dort mittlerweile ihre Arbeit aufgegeben.  Sie forderte mehr Mittel für demokratische Initiativen und eine deutlichere Skandalisierung rechter Tendenzen. „Unter anderem müssen zweifelhafte politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene besser beobachtet werden, um sie bei Bedarf rechtlich anfechten zu können”, sagte Ameer. 

Dabei könnten die öffentlich-rechtlichen Medien eine größere Rolle spielen, findet Frank Werneke. Angesprochen auf den Zusammenhang zwischen maroder Infrastruktur im Land und der Erstarkung rechter Kräfte, sagte er: „Im Osten werden Kitas und Arztpraxen geschlossen, und im Westen ist jede Schließung eines Krankenhaueses ein Fest für die AfD. Durch solche Verluste kommt die Glaubwürdigkeit des staatlichen Gemeinwesens ins Rutschen.” Wo Zeitungen nicht mehr funktionierten wie in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern könne der öffentlich-rechtliche Rundfunk größere Teile der Lokalberichterstattung übernehmen, sagte der Verdi-Vorsitzende. 

Bettina Kohlrausch wies darauf hin, dass rechte Einstellungen keineswegs ein neues Phänomen sind und in Studien seit mehreren Jahrzehnten belegt. Sie zeigten sich aktuell besonders im Erfolg der AfD. Kohlrauschs größte Sorge ist allerdings: Die Positionen rechter Parteien werden allmählich von den etablierten übernommen. Anpalagan bestätigte dies. Er führte aus, dass es rechtsextreme Tendenzen in der Bundesrepublik lange vor der AfD gegeben habe. „Die meisten Migranten haben gelernt, mit einer abstrakten Bedrohungslage zu leben.” Sie würden von rechten Kräften zudem aus der Mitte der Gesellschaft ferngehalten.   

Wissenslücke: Grüne Jobs

Derzeit arbeiten bereits gut drei Millionen Menschen in Deutschland auf dem sogenannten grünen Arbeitsmarkt. Für das Jahr 2035 werden aber laut dem Umweltbundesamt weitere gut 750.000 Arbeitskräfte in diesen Branchen benötigt. Iken Draeger, vom Wissenschaftsladen Bonn sieht eine Wissenslücke gerade bei jungen Menschen. Vielen von ihnen sei nicht klar, welche Tätigkeitsfelder der Transformation überhaupt existierten. Nicht der Begriff des Berufs sei bei der Orientierung entscheidend, sondern die konkrete Tätigkeit. So könne zum Beispiel ein Heizungstechniker sich auf Ölheizungen spezialisieren oder auf Wärmepumpen.  

Fabian Ernstberger, vom Jugendpanel Nachhaltigkeit plädierte für mehr Authentizität. Jugendliche durchschauten Greenwashing von Konzernen bei der Anwerbung von Arbeitskräften. Franziska Raab von der deutschen Klimastiftung warb für eine möglichst frühe Vermittlung vom Verständnis für grüne Tätigkeiten. Sie bringt Unternehmen bereits mit achten Klassen an Schulen zusammen.  Lehrmittel für Schulen müssten auf den Bedarf an grünen Tätigkeiten hin angepasst werden, forderte Tine Fletemeyer vom Institut für Ökonomischen Bildung (IÖB) der Uni Oldenburg. 

Systemlücke

Das abschließende Panel des Tages spannte den thematisch größten Bogen über die zuvor diskutierten Fragen von Transformation und Arbeitswelten. Die hochkarätig besetzte Runde mit der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi und und Andreas Audretsch, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, sowie Kurzinterviews unter anderem mit Sebastian Dullien, dem wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wagte sich an eine Systemfrage: Welche ökonomischen Modelle erhalten gute Arbeit?

Einig waren sich Fahimi und Dullien darüber, dass allein Konsumverzicht nicht ausreicht, um das Klima bei Erhaltung des sozialen Friedens zu retten. Fahimi konstatierte: „Grenzen beim Konsum zu setzen, funktioniert allein nicht, weil dafür die soziale Akzeptanz fehlt. Die soziale Komponente muss mitgedacht werden. Daher brauchen wir eine massive Investitionspolitik.” Sie wies zudem daraufhin, dass grüne Jobs nicht automatisch gute Jobs seien. „Es muss mit der Transformation gelingen, gute Arbeitsplätze zu schaffen – mit Beschäftigten, die eigene Innovationswünsche haben.”  

Dullien argumentierte ähnlich: „Wir brauchen grünes Wachstum. Dafür müssen wir die industriepolitischen Rahmenbedingungen setzen.” Die Transformation könne nur mit neuen Technologien gelingen. „Das bedeutet Investitionen und Wachstum.” Und auch der grüne Abgeordnete Audretsch wandte sich ab vom Mantra des Verzichts, das seiner Partei zuletzt oft vorgeworfen wurde. „Wir wollen ein Industrieland bleiben, und wir brauchen eine Debatte über Wachstum”, bekannte er. 

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