Quelle: HBS
Service aktuellTagungsbericht "Besser geht´s mitbestimmt 2023": Im Maschinenraum der Europapolitik
Europäische Betriebsräte und SE-Betriebsräte könnten dank EU-Vorhaben bessere Mitgestaltungsmöglichkeiten erhalten. Doch die Themen sind komplex – und die Zeit bis zur nächsten Europawahl läuft.
[10.05. 2023]
Von Manuel Heckel
Mitbestimmung und Europa sind seit Jahrzehnten eng verbunden. Vieles, was aus Brüssel kommt, berührt die Arbeit von Betriebsräten und Aufsichtsräten, einiges eröffnet ihnen mehr Spielraum. Damit europäisches Recht und betriebliche Arbeit zueinander passen, müssen sich Praxis und Politik auch begegnen oder wie es die EU-Parlamentarierin Gabriele Bischoff zusammenfasste: „Es ist wichtig, die Themen aus dem Arbeitsalltag in den Maschinenraum der Europapolitik zu bringen.“ Für diesen Austausch hatte die Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit der IG Bergbau Chemie Energie (IGBCE) zur Konferenz „Besser geht’s mit.bestimmt“ in Brüssel eingeladen.
Zu besprechen gab es genug in dem Tagungsraum im Europaviertel. Auch auf europäischer Ebene drückt der Fachkräftemangel immer mehr Unternehmen und damit auch Betriebsräte. Der Wandel der Wirtschaft hin zu einer digitalisierten, klimaneutralen Produktion erfordert mehr und andere Formen der Aus- und Weiterbildung, zum Teil mit neuen Schwerpunkten. Karin Erhard, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE, fordert bessere berufliche Chancen für Frauen. Sie sollten ihre beruflichen Wünsche und Ziele in allen Lebensphasen gleichberechtigt verfolgen können. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist das Europäische Jahr der Kompetenzen, das am 9. Mai offiziell beginnt, besonders relevant, betont auch Christoph Nerlich, Mitglied im Kabinett von EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit. Dabei stellen sich auf europäischer Ebene besondere Herausforderungen: Die demokratische Beteiligung der abhängig Beschäftigten gibt es zwar in allen Mitgliedstaaten, die industriellen Beziehungen sind dennoch verschieden. Die Übersetzung europäischer Regeln in die betriebliche Praxis kann kompliziert sein. Matthias Krebs, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss des Europaforums von Evonik, berichtet, dass dennoch bereits heute viel durch (Europäische) Betriebsräte angestoßen wird. Um die Wirksamkeit der Mitbestimmung weiter zu erhöhen, müssen die Rechte der Europäischen Betriebsräte gestärkt werden, unterstreicht er.
Mehr Möglichkeiten, viel mehr Arbeit
Zwei aktuelle Beispiele dafür waren Diskussionsthema der Konferenz: Zum einen die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Schrittweise werden erweiterte Berichtspflichten auch für kleinere Unternehmen gelten. Die ersten Unternehmen müssen bereits für das Finanzjahr 2024 berichten. Ab dem Finanzjahr 2026 müssen über 15.000 Unternehmen allein in Deutschland darüber Auskunft geben, wie sie hinsichtlich Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards aufgestellt sind. Die Details regeln Berichtsstandards der European Financial Advisory Group (EFRAG). Aktuell liegen die Vorschläge bei der EU-Kommission, die diese in sogenannten Delegierten Rechtsakten erlassen muss. Oliver Emons, Referatsleiter Wirtschaft im Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung, sagt der Vorschrift starke Wirkung voraus: „Die Berichterstattung wird einschlagen wie ein Meteorit – und wir werden die Auswirkungen in den verschiedenen Gremien zu spüren bekommen.“
Betriebsräte sollen laut der EU-Richtlinie einbezogen werden, wenn zentrale Informationen eingeholt werden und darüber berichtet wird. Auf Betriebsräte kommt damit eine Menge Arbeit zu. 84 verschiedene Offenlegungspflichten mit über 1200 unterschiedlichen Datenpunkten zählt Emons bislang, dazu können noch sektorspezifische Standards kommen. Wünschenswert ist auch die Einbeziehung von Europäischen Betriebsräten als wichtiges transnationales Netzwerk. Die nationale Umsetzung der Richtlinie wird dafür entscheidend werden. Eine erste Arbeitshilfe der Hans-Böckler-Stiftung soll bald erscheinen. Bewusst wird das Dokument nur online zur Verfügung gestellt – zu schnell können sich Standards und Definitionen ändern.
Dokumentation
Eigene Themen auf die Agenda setzen
Gewerkschaftsvertreter wie Rainald Thannisch, Referatsleiter für Grundsatzangelegenheiten und Gesellschaftspolitik des DGB, sehen aber auch Potenzial: „Ihr habt die Chance, eure Punkte mit einzubringen.“ Aus Nachhaltigkeitsberichten ließe sich künftig ablesen, wie es um die Arbeitsbedingungen, die Tarifabdeckung, den sozialen Dialog oder die betriebliche Mitbestimmung an ausländischen Standorten eines Konzerns bestellt ist. Mögliche Versäumnisse sind so schwarz auf weiß ablesbar und auch für Politik und Investoren sichtbar. „Darüber bekommen wir einen schönen Hebel an die Sache“, sagt auch Emons.
Ein anderes Beispiel: das Lieferkettensorgfaltsgesetz. Es trat mit Jahresbeginn in Kraft und gilt ab nächstem Jahr für alle Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Isabel Eder, Abteilungsleiterin Mitbestimmung der IGBCE, wies daraufhin, dass im Wirtschaftsausschuss die Themen des Gesetzes künftig beantwortet und behandelt werden müssen. In die Richtlinie für Europäische Betriebsräte wurde dieser Passus vorerst nicht explizit aufgenommen, aber Anhörungs- und Konsultationsrechte gelten auch für unternehmerische Sorgfaltspflichten, so Eder. Die Einhaltung von Menschenrechten kann zudem in EBR-Vereinbarungen berücksichtigt werden.
EBR-Profil könnte geschärft werden
Mehr Rechte für die Mitbestimmung auf internationaler Ebene verspricht die Revision der EBR-Richtlinie, die das Europäische Parlament im Februar 2023 angestoßen hat. Sie würde die Rechte von Europäischen Betriebsräten in der Praxis deutlich stärken. Sie soll beispielsweise Unternehmen EU-weit dazu verpflichten, Europäische Betriebsräte anzuhören, bevor sie einschneidende Umstrukturierungen durchsetzen. Eigentlich bereits heute ein Recht, das aber in der Praxis häufig unterlaufen wird. Deshalb soll bei Nichtbeachtung der Informations- und Anhörungsrechte der Plan der Unternehmensleitung vorübergehend gestoppt werden können. Auch soll das Gremium zukünftig mindestens zwei Mal im Jahr mit der Unternehmensleitung zusammentreten.
Beruhigende Nachrichten hatte Magali Schleifer, Fachsekretärin der Abteilung Mitbestimmung und Betriebsverfassung der IGBCE, mitgebracht. Auch Europäische Betriebsräte, die bereits vor den gesetzlichen Grundlagen aufgebaut wurden, profitieren nach den Plänen des Europaparlaments von den verbindlicheren Regeln: „Alles, was gut und bewährt ist, soll nicht obsolet werden“, sagte Schleifer. Aktuell laufen Konsultationen, bis Ende des Jahres soll ein Entwurf der Kommission vorliegen. Es sei ein großer Erfolg, das Thema auf die Agenda gesetzt zu haben, sagte die Abgeordnete Bischoff, „aber in der Tat haben wir nur noch wenig Zeit – wenn es nach der Wahl von Neuem losgehen muss, dann kann es schwierig werden.“
Andere wie der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke sind optimistischer: „Für mich ist das Glas mehr als halbvoll.“ Als zuständiger Berichterstatter betreute er den Bericht im Parlament, der nun den Stein ins Rollen brachte. Nach seinem Entwurf könnten Unternehmen mit hohen Geldbußen belegt werden, wenn sie künftig gegen EBR-Vorgaben verstoßen – analog zu den empfindlichen Strafen, die die Datenschutzgrundverordnung vorsieht: „Das ist endlich ein Sanktionsrahmen, der den Namen auch verdient.“ Um eine mögliche Unterbrechung durch neu zusammengesetzte EU-Institutionen nach der Wahl sorgt er sich wenig: „Ich freue mich, wenn es klappt“, sagte der Europaparlamentarier, „wenn nicht, dann kommt es ins Arbeitsprogramm der nächsten Kommission.“
Wichtig bleibe aber in jedem Fall ein enger Austausch zwischen EU-Ebene und den Europäischen Betriebsräten, wie ihn die Konferenz in Brüssel bot. Zum einen können so komplexe Themen aus Brüssel in betriebliches Handeln übersetzt werden. Zum anderen erfährt die politische Ebene Europas, welche Anliegen im Arbeitsalltag anfallen: „Wir müssen in Brüssel sein – und Brüssel braucht uns“, sagte Daniel Hay, Wissenschaftlicher Direktor des I.M.U..