Quelle: HBS
Service aktuell16. Februar 1951: 70. Todestag von Hans Böckler
Proletarier, Selfmademan, Gewerkschafter, Politiker: Hans Böckler, der heute vor 70 Jahren starb, war alles zugleich. Sein Biograf Karl Lauschke erklärt, wie Böckler mit Krisen umging und was wir von ihm lernen können.
[16.02.2021]
Von Kay Meiners
Mit nur 13 Jahren muss Böckler als Kind schon arbeiten, um der Familie zu helfen. Als junger Mann nimmt er am Ersten Weltkrieg teil, wo er verwundet wird. Befreit von der Wehrpflicht, ist er als Gewerkschafter in Danzig, Kattowitz und Siegen tätig.
Bürger, nicht Untertanen wollen wir sein! Wollen mitraten, mittaten und mitverantworten in allen wichtigen Dingen des Lebens der Gemeinschaft. Vor allem in den Angelegenheiten der Wirtschaft unseres Volkes.
Nach der Novemberrevolution 1918 wird er Sekretär der Zentralarbeitsgemeinschaft, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam politische Fragen regeln. Seit 1928 sitzt er für die SPD im Reichstag. Dann reißen die Nazis die Macht an sich, er wird mehrfach verhaftet, muss 1944 untertauchen.
Die größten Leistungen gelingen ihm in der jungen Demokratie nach 1945: die Gründung des DGB, das Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft und die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie.
Mitbestimmung als demokratisches Prinzip – dafür steht sein Name damals wie heute. Wenn es darum geht, Krisen zu überwinden, müssen alle an einen Tisch.
„Ausdauer und Beharrlichkeit“
Heute vor 70 Jahren starb Hans-Böckler, der Namensgeber unserer Stiftung. Sein Biograf Karl Lauschke erklärt, wie Böckler mit Krisen umging und was wir von ihm lernen können.
Das Gespräch führte Kay Meiners
Hans Böckler stammte aus ärmlichen Verhältnissen in Bayern, erlebte zwei Mal den Zusammenbruch der Gesellschaft. Wie ging er mit Tiefschlägen um?
Sich nicht entmutigen lassen, neue Wege gehen – diese Haltung prägte ihn schon, als mit 13 sein Vater starb. Er musste die Schule abbrechen, Geld verdienen und erlernte das Handwerk des Goldschlägers, der mit Muskelkraft Blattgold herstellt. Dazu gehörten Ausdauer und Beharrlichkeit. Eigenschaften, die ihn kennzeichneten.
Er wurde Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Welche Rolle spielte er nach dem Ersten Weltkrieg?
Als der Kaiser abdankte, hatte er große Hoffnungen in einen gesellschaftlichen Neubeginn. Er arbeitete in der Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) mit, in der angesichts des Chaos die Gewerkschaften und die Arbeitgeber sozial- und beschäftigungspolitische Fragen einvernehmlich zu regeln suchten.
Doch 1924 kam es zum Eklat. Warum?
Zum Kriegsende waren die Unternehmer politisch geschwächt, wurden aber bald wieder fordernder. Zum Bruch kam es wegen des Achtstundentages. In der Hochinflation 1923 nutzen die Arbeitgeber die Gelegenheit, um die Arbeitszeit zu verlängern. Die Gewerkschaften verließen den Verhandlungstisch.
Schon zu dieser Zeit lernte Böckler Konrad Adenauer kennen, den späteren Bundeskanzler. Wie kam das?
Er kam 1920 im Dienst des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) nach Köln, bevor er 1927 Bezirksleiter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Düsseldorf wurde. Einige Jahre war er in Köln Stadtverordneter und lieferte sich dort mit dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer manches Gefecht. Nach 1945 trafen sie in veränderten Rollen wieder aufeinander und stritten um die paritätische Mitbestimmung.
Wie kam es zu dieser epochalen Einigung?
Die Gewerkschaften wollten viel mehr – die halbe Macht in allen Wirtschaftszweigen. Das hieß: gleichberechtigte Mitbestimmung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Unternehmen. Aber nur im Bergbau und in der Stahlindustrie war ihre Kampfkrampft groß genug, um diese Forderung 1951 gegenüber Adenauer und der Industrie durchzusetzen.
Ein großer Sieg. Mehr Mitbestimmung gab es in der Bundesrepublik nie wieder.
Die Montanmitbestimmung war später im Strukturwandel sehr hilfreich. Böckler strebte aber einen dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus an. Für ihn war die Mitbestimmung nur ein Zwischenschritt. Dafür hatten im November 1948 neun Millionen Menschen für einen Tag die Arbeit niedergelegt – eine Art Generalstreik für die Demokratisierung der Wirtschaft.
Das klingt nach einer ständischen Gesellschaft.
Böckler war ein Kind der Kaiserzeit. Mit diesem Rüstzeug zog er Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik. Liberalismus und Individualismus erschienen ihm gefährlich. Er setzte auf eine geeinte Arbeiterschaft, eine parteipolitisch unabhängige Einheitsgewerkschaft und die Stärkung der politischen Demokratie durch die Demokratie in der Wirtschaft.
Hatte er ein internationales Bewusstsein?
Sein Referenzrahmen war Europa. Als 1949 über die Internationalisierung des Ruhrgebietes diskutiert wurde, war der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher gegen die Beschneidung der nationalen Souveränität. Böckler dagegen war der Meinung, Deutschland müsse eine solche Vorleistung für eine friedliche Zukunft bringen.
Gab es schon so etwas wie Politikberatung?
Ja. Böckler sprach keine Fremdsprache, hatte keine Universität besucht. Aber er schätzte die Wissenschaft. Das schon 1946 gegründete WWI, das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des DGB, aus dem das heutige WSI hervorging, war vielleicht sein liebstes Kind. Wissenschaftsbegeisterung war seit jeher in der Arbeiterbewegung angelegt.
Wie wurde Hans Böckler nach 1945 zum führenden deutschen Gewerkschafter und DGB-Vorsitzenden?
Im Ruhrgebiet, das eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau spielte, kannte man seine organisatorischen und politischen Fähigkeiten. Man wusste: Er wird sich mit aller Kraft für die Wiederbelebung der Gewerkschaften einsetzen. Viele, die auch in Frage gekommen wären, waren von den Nazis umgebracht worden.
Wie überstand er die Diktatur?
Er wurde überwacht und mehrfach verhaftet. Direkte Opposition wäre für ihn äußerst riskant gewesen. Er versuchte, sich und seine Familie zu schützen, hatte eine kleine Hütte im Bergischen Land, in die er ausweichen konnte. Ab 1944 tauchte er ganz unter. Er fürchtete um sein Leben.
Bei Kriegsende war er ein älterer Herr, 70 Jahre alt und herzkrank. Woher nahm er die Kraft?
Er sah es als seine Pflicht an, da weiterzumachen, wo 1933 alles Bemühen gescheitert war. Er wollte, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Eine politische Demokratie allein war nicht ausreichend. Zusätzlich sollten aus Wirtschaftsuntertanen Wirtschaftsbürger werden.
Gerade jetzt werden wieder Forderungen nach mehr Mitbestimmung im Aufsichtsrat laut – wegen der Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation.
Nur zu! Das hätte Hans Böckler gesagt. Am Ende seines Lebens sagte er, der Kampf um Teilhabe sei noch lange nicht vorbei. Wer gehört werden will, muss seine Stimme erheben und sich mit ganzer Kraft einsetzen. Die soziale Demokratie ist noch nicht vollendet.
Zur Person
Karl Lauschke ist Historiker und Vorsitzender des Vereins Freunde des Hoesch-Museums e.V. Er hat den zweiten Band der Böckler-Biografie verfasst.
Weitere Informationen
Hans Böcklers Beerdigung
Beitrag in der Neuen Deutschen Wochenschau von 1951 zu Hans Böcklers Beerdigung: Abschied von Hans Böckler.
"Ein erster Schritt auf dem Wege zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft"
Anläßlich der Veröffentlichung der Biographie von Hans Böckler 2005 erschien kurz zuvor ein umfangreicher Text im Magazin Mitbestimmung:
Michael Vassiliadis im Interview: „Die Vertrauenskultur wurde schwer beschädigt"
Michael Vassiliadis befürchtet im Interview mit dem Magazin Mitbestimmung, dass die Kultur der vertrauensvollen Zusammenarbeit still verschwindet. Er fordert mehr Mitbestimmung im Aufsichtsrat.