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Service aktuellMitbestimmung bei agiler Arbeit : Wenn aus Kollegen „Scrum Master“ werden
Nicht nur Technik, auch Methoden verändern die Arbeitswelt. Über eine neue Form der Arbeit, die agile, diskutierten Betriebsräte mit der Zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Christiane Benner, und dem Wissenschaftler Rüdiger Krause.
Von Jeannette Goddar
Wenn Mitarbeiter sich selbst organisieren, Besprechungen „Dailys“ oder „Stand-ups“ heißen, aus fernen Zielen „Sprints“ und aus Kollegen „Product Owner“ oder „Scrum Master“ werden – dann wird agil gearbeitet. Agile Arbeit kann verschieden gestaltet sein, verfolgt aber im Kern immer ein Ziel: in flexiblen Teams, mit Fokus auf das fertige Produkt, schnell zu innovativen Lösungen zu kommen. Die Nische der Start-ups, vor allem in der Softwareentwicklung hat die Methode inzwischen verlassen und auch in traditionellen Unternehmen Einzug gehalten. Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall beobachtet es zum Beispiel in der Autoindustrie. „Wir hören immer häufiger, dass außer Software auch Hardware von agilen Teams entwickelt wird.“ Im Grunde sei das gut so: „Ich wage die These, dass wir agile Arbeit als Organisationsform brauchen, um innovativ zu sein, Entwicklungen voranzutreiben und im Wettbewerb einen Vorteil zu haben.“ Zentral sei allerdings: „Gute Agile Arbeit gibt es nur mitbestimmt.“
Die IG Metall bildet deshalb nicht nur selbst Betriebsräte zu Scrum-Mastern aus. Sie fordert auch, agile Arbeit explizit in das Betriebsverfassungsgesetz aufzunehmen. „Es braucht klare Strukturen, gute räumliche Arbeitsbedingungen, definierte Freiräume und umfangreiche Qualifikation für die Beschäftigten“, erklärte Benner am 17. Februar 2021 vor der Presse, „ich bin sehr für einen eigenen Regelungstatbestand, wie wir ihn von der Gruppenarbeit bereits kennen.“ Und: Im Rahmen der anstehenden „Initiative Mitbestimmung“ werde die IG Metall das „forciert angehen.“
Wie groß die Chancen von agiler Arbeit, aber auch wie zahlreich die Fragen sind, machten die Berichte von drei Betriebsräten deutlich. So fragte Mark Bäcker, Betriebsratsvorsitzender der IAV GmbH in Gifhorn: „Wie regle ich Arbeitszeit und Ruhepausen, wenn Teamgespräche bis 22 Uhr im Barcamp stattfinden, und zwar freiwillig?“ Monika Tielsch, Betriebsrätin in der Forschung und Entwicklung bei Daimler/Sindelfingen, beschäftigen Entgeltfragen: „Wenn plötzlich alle auf Augenhöhe im Team arbeiten: Wie rechtfertige ich unterschiedliche Gehälter?“ Eine Antwort gab sie gleich selbst: „Wir haben es mit Bonuszahlungen gelöst.“
Agile Arbeit nicht im rechtsfreien Raum
Andere Fragen lauteten: „Wie schaffen wir es, Mitarbeiter nicht zu überfordern, wie wählt man die richtigen aus, wie bildet man den Betriebsrat so fort, dass er agile Arbeit nicht nur in der Theorie kennt?“, Betriebsrat und IT-Experte Jörg Parsenow bei Ford in Köln machte zudem deutlich, dass der stete Sprint nach neuen Zielen nicht jeden mitnehmen kann und darf: „Es gibt Leute, die vorher exzellent gearbeitet haben, für die ist das einfach nichts.“ Andere könnten nicht die ganze Strecke gehen: „Nicht jeder muss zum Mount Everest, es muss auch Base Camps geben.“ Für all das außer zu guten Lösungen auch noch zu einer Betriebsvereinbarung zu kommen, sei, „ein dickes Brett“.
Im rechtsfreien Raum findet agile Arbeit hingegen keineswegs statt: Rüdiger Krause hat im Auftrag des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung ein Gutachten zu agiler Arbeit erstellt. Dieses listet auf mehr als 150 Seiten auf, welche Beteiligungsrechte und Gestaltungsspielräume das Betriebsverfassungsgesetz implizit längst bietet. An zahlreichen Stellen verfüge der Betriebsrat über ein Beratungs-, nicht ganz so oft über ein Mitbestimmungsrecht, erklärte der Professor für Arbeitsrecht an der Universität Göttingen. Aber die Karte des Rechts sei da, sie kann vom Betriebsrat also gezogen werden.
So geht agile Arbeit regelmäßig mit neuen Arbeitsverfahren, -abläufen und -plätzen einher – alles Dinge, über die der Betriebsrat frühzeitig informiert werden muss und zu denen er beratend tätig werden kann. Auch das Arbeitsschutzgesetz mit dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung greife natürlich, ebenso die Regelungen zum Persönlichkeitsschutz. Krause: „Wo überwiegend digital gearbeitet wird, ist Überwachung immer ein Thema.“ In Sachen Qualifizierung kann der Betriebsrat bereits heute verlangen, dass der Arbeitgeber künftige Anforderungen ermittelt, und dann über betriebliche Bildungsmaßnahmen mitbestimmen. Auch könne im Einzelfall ein Sozialplan zum Ausgleich von Nachteilen erzwungen werden. Noch besser als einzelne „Beteiligungsrechte abzuklappern“, erklärte Krause, sei allerdings die Entwicklung einer Gesamtstrategie. Sein abschließender Rat an die teilnehmenden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter: „Bleiben Sie agil!“