Quelle: picture alliance / Metall.NRW / privat
Service aktuellMitbestimmung: Mehr als ein Festakt
Zum 70-jährigen Jubiläum der Montanmitbestimmung ging es bei einer Veranstaltung von Hans-Böckler-Stiftung und DGB vor allem um die Zukunft. Wie kann die Mitbestimmung gestärkt werden? Und inwiefern taugt die Montanmitbestimmung dabei als Vorbild?
Von Joachim F. Tornau
Am Ende wurde angestoßen, wie es sich für eine ordentliche Geburtstagsfeier gehört. Nur eben, der Corona-Krise wegen, dezentral: Während die Diskutanten im Berliner Studio die Gläser hoben, um auf 70 Jahre Montanmitbestimmung anzustoßen, konnten die rund 500 Zuschauer daheim vor dem Bildschirm ein kleines Fläschchen Prosecco öffnen, das sie vorab per Post zugeschickt bekommen hatten. Party in Pandemiezeiten halt. Das Gesetz zur Montanmitbestimmung, die bis heute einzige Regelung für echte paritätische Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, trat am 7. Juni 1951 in Kraft. Zum Jubiläumstag aber wollten die Hans-Böckler-Stiftung und der DGB nicht nur rückblickend feiern, sondern vor allem in die Zukunft schauen – und so verstand sich der Festakt zugleich als Auftaktveranstaltung für die Informationskampagne „Mitbestimmung sichert Zukunft“, die die Stiftung im Bundestagswahljahr organisiert hat.
„Es muss darum gehen, den Grundgedanken der Montanmitbestimmung zu sichern und für die Mitbestimmung insgesamt weiterzuentwickeln“, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Pattsituationen im Aufsichtsrat werden in montanmitbestimmten Unternehmen nicht durch ein Doppelstimmrecht des oder der Aufsichtsratsvorsitzenden aufgelöst, sondern durch eine einvernehmlich bestimmte neutrale Person. Außerdem gehört dem Vorstand ein Arbeitsdirektor oder eine Arbeitsdirektorin an, die nicht gegen den Willen der Beschäftigten benannt werden können. Ein Modell, das auch jenseits der Kohle- und Stahlindustrie als Vorbild taugt, findet Hoffmann. Gerade angesichts der enormen Herausforderungen, vor die die Wirtschaft durch die sozial-ökologische Transformation gestellt wird: „Ohne oder gar gegen die Beschäftigten wird sich der Strukturwandel nicht erfolgreich gestalten lassen.“
Alle Videos zur Veranstaltung
Prominente Gratulanten
Von den Gratulanten, die ihre Videobotschaften übermittelt hatten, machte sich diese Forderungen vollständig zwar niemand zu eigen. Doch an der Bedeutung der Mitbestimmung auch für die Zukunft zweifelten weder Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet noch sein SPD-Gegenüber Olaf Scholz, weder Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow noch FDP-Bundesvize Johannes Vogel oder der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter. Wobei Scholz, Hennig-Wellsow und Hofreiter auch konkrete Ideen für eine deutliche Stärkung der Mitbestimmung formulierten.
Auch EU-Beschäftigungskommissar Nicolas Schmit betonte: „Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts braucht mehr Mitsprache.“ Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Sehr deutlich wurde auch ein Vertreter der Arbeitgeberseite: „Mitbestimmung ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland“, sagte der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller.
Brudermüller rief dazu auf, größer zu denken, wenn es um Mitbestimmung in Zeiten des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft geht: „Aus Sozialpartnern werden Nachhaltigkeitspartner.“ Nachhaltigkeit war auch Thema, als ein vielfältig besetztes Podium im Anschluss an die Videostatements über die großen Herausforderungen der Zukunft diskutierte. Barbara Sennholz-Weinhardt von der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam forderte, dass Unternehmensgewinne weniger in Dividendenzahlungen und stärker in den Umbau zu auch global fairem Wirtschaften fließen müssten, und mahnte: „Ohne eine Demokratisierung von Unternehmen werden diese Interessen immer hinten runterfallen.“
Schlupflöcher stopfen
Verschiedene Perspektiven zusammenzubringen: Darauf kommt es nach Ansicht von Katrin Suder, der Vorsitzenden des Digitalrats der Bundesregierung, auch bei der digitalen Transformation der Arbeitswelt, der zweiten großen Herausforderung, entscheidend an: „Wir brauchen einen Perspektivwechsel, mehr Agilität im Kopf.“
Als die Zuschauer, die sich per Chat an der Debatte beteiligen konnten, nach dem wichtigsten Schlagwort für die Stärkung der Mitbestimmung gefragt wurden, entschieden sie sich mehrheitlich für das Wort „miteinander“. Doch dieses Miteinander gerät in der Realität zunehmend unter Druck. Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung, erinnerte an die zahlreichen deutschen Unternehmen, die sich unter Ausnutzung rechtlicher Schlupflöcher oder schlicht durch Ignorieren der gesetzlichen Vorschriften der Mitbestimmung entziehen.
Nach Berechnungen des I.M.U. vermeiden derzeit mindestens 307 Unternehmen mit 2,1 Millionen Beschäftigten auf diese Weise eine paritätische Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat. Die Gewerkschaften fordern deshalb ein „Mitbestimmung-für-alle-Gesetz“, das diese Schlupflöcher stopft, sowie spürbare Sanktionen für vorsätzliche Verstöße gegen die Mitbestimmungsgesetze. Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Metall NRW, wollte in der zunehmenden Mitbestimmungsvermeidung zwar keinen Trend erkennen. Auch er unterstrich jedoch: „Der Unternehmer, der einen Gesellschaftsformwechsel vornimmt, nur um die Mitbestimmung zu umgehen, ist schlecht beraten.“
Was ist zu tun, damit es das allseits beschworene Miteinander in Zukunft tatsächlich geben kann? Hasan Allak, Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Continental, gab darauf eine klare Antwort: „Es wird Zeit für eine modernisierte Mitbestimmung mit echter Parität im Aufsichtsrat. Für paritätisch besetzte Ausschüsse, die sich komplexen Fragestellungen einer vernetzten, digitalisierten Wirtschaftswelt widmen.“
Anders ausgedrückt: Es wird Zeit für eine Arbeitnehmerbeteiligung, die sich am Vorbild der vor 70 Jahren eingeführten Montanmitbestimmung orientiert.
Weitere Informationen
Spitzenpolitiker:innen zur Mitbestimmung im Wahljahr 2021
Website zur Informationskampagne
I.M.U.-Direktor Daniel Hay: Warum Mitbestimmung Zukunft sichert
Podcast-Folge zu 70 Jahre Montanmitbestimmung
Aufsichtsrats-Experte Sebastian Sick erklärt, wie es vielen Unternehmen gelingt, geltende Gesetzgebung zur Mitbestimmung zu umgehen