Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Report zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht
Wie sozial ist eigentlich Europa? Ernesto Klengel, Antonia Seeland und Martin Gruber-Risak sprechen über ihre interessantesten Erkenntnisse aus dem Report zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht.
[24.05.2024]
Die Europawahl steht vor der Tür - vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die neuesten Ereignisse im europäischen Arbeits- und Sozialrecht besonders interessant und drängend.
Martin Gruber-Risak, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien, erläutert einen interessanten Fall aus Bulgarien, bei dem die Berührungspunkte zwischen Arbeits- und Wettbewerbsrecht klar werden. In diesem Fall hatte die bulgarische Rechtsanwaltskammer Mindesthonorare für alle Rechtsanwält*innen festgelegt und damit laut Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar in den Wettbewerb eingegriffen.
Denn ein Verband darf keine Mindestpreise für seine Mitglieder festlegen - anderes gilt nur, wenn eine kollektive Vereinbarung mit der anderen Seite, also den Arbeitgebenden, getroffen wird.
Antonia Seeland, wissenschaftliche Referentin am HSI, stellt eine interessante Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor. Dort hatte eine Frau aus Rumänien geklagt, der nach einem Schlaganfall ihre persönliche Assistenz entzogen wurde, da sie Hilfe von ihren beiden Töchtern bekam. Der Gerichtshof entschied, dass die Klägerin in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt wurde. Daher gilt hier die Handlungspflicht der Staaten, Sozial- und Gesundheitsleistungen zu gewährleisten.
Besondere Bedürfnisse von vulnerablen Personen müssen berücksichtigt werden und Staaten müssen beurteilen, ob die Grundversorgung oder die zusätzliche Versorgung betroffen ist - in diesem Fall war es die Grundversorgung, sodass der Staat die Versorgung sicherstellen muss.
Diese Entscheidung betrifft auch Deutschland: Denn hier gibt es den Nachrangigkeitsgrundsatz, der bedeutet, dass man nur dann Leistungen der Eingliederungshilfe bekommt, wenn man die Leistungen nicht von anderen Stellen erhält - dies kann ein Einfallstor dafür sein, die Pflege auf die Familie abzuwälzen. Dem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem Urteil Einhalt geboten.
Um sozialpolitischen Fortschritt zu erreichen, kann man das Europarecht und die Grundsätze, die im europäischen Arbeitsrecht angelegt sind, mit dem EuGH stärken.
Ernesto Klengel, Direktor des HSI, erklärt einen Fall aus Polen, wo Arbeitnehmende das Recht haben, zu erfahren, wieso sie gekündigt wurden. Allerdings besteht dieses Recht nur für unbefristet Angestellte - somit werden befristet Beschäftigte ungleich behandelt. Aus diesem Grund entschied der EuGH, dass befristet Beschäftigte gleichermaßen von dem Beendigungsgrund erfahren müssen wie unbefristet Angestellte.
Besonders an diesem Urteil ist, dass sich Arbeitnehmende auf diese Ungleichbehandlung berufen können, auch wenn nationales Recht das nicht vorsieht. Das beruht auf einem Grundrecht: dem Recht auf Zugang zum Gericht. Damit kann auch in vielen anderen Fällen argumentiert werden, so Klengel.
Außerdem geht es um persönliche Favoriten unserer Podcaster*innen und um Kuriositäten aus dem europäischen Arbeits- und Sozialrecht.
Moderation: Marco Herack
Weitere Informationen zur Folge
Report zum Europäischen Sozial- und Arbeitsrecht
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Alle Informationen zum Podcast
In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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Christina Schildmann