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HANS. Editorial 15/2022 Daniel Hay Service aktuell

Europäische Umwandlungsrichtlinie: Keine neuen Pfade der Mitbestimmungsvermeidung

Die Bundesregierung hatte angekündigt, Gesetzeslücken und Schlupflöcher für Arbeitgeber zu schließen, über die Mitbestimmungsrechte ausgehebelt werden können. Daniel Hay ist der Meinung, die Koalition muss hier nun liefern.

[18.7.2022]

Gerade in Umbruchzeiten erweist sich die Stärke von Mitbestimmung. Unternehmen, in denen die Beschäftigten über Betriebsräte und Vertreter*innen im Aufsichtsrat mitbestimmen, bieten bessere und stabilere Arbeitsbedingungen. Sie setzen stärker auf Investitionen und Innovationen. Und sie kommen wirtschaftlich besser durch schwierige Zeiten. Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Es ist also nur folgerichtig, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, sie werde Gesetzeslücken und Schlupflöcher schließen, über die Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer*innen aushebeln können. Dafür hat die Ampelkoalition zu Recht viel Zustimmung erhalten.

Doch die setzt das Regierungsbündnis gerade aufs Spiel: Im ersten Praxistest bei einer wichtigen rechtlichen Neuerung wird die Koalition ihren guten Vorsätzen bislang nicht gerecht. Werden die beiden Regierungsentwürfe der zuständigen Ministerien für Arbeit & Soziales und Justiz nicht deutlich verbessert, könnten sogar zusätzliche Pfade zur Mitbestimmungsvermeidung entstehen.   

Es geht dabei um die Umsetzung der europäischen Umwandlungsrichtlinie in deutsches Recht. Sie regelt die grenzüberschreitende Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung von Unternehmen. Wie vieles, das aus Brüssel kommt, klingt das sehr technisch, ist aber für Beschäftigtenrechte äußerst bedeutsam. Wenn Unternehmen den Firmensitz nach Deutschland oder aus Deutschland heraus verlegen, muss die Mitbestimmung zwischen Beschäftigten und Unternehmen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen verhandelt werden – ähnlich wie bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft, der SE. Kommt es zu keiner Einigung, bleibt das aktuelle Modell der Mitbestimmung bestehen. Es gilt dann eine sogenannte Auffanglösung, ähnlich wie bei der SE.

Mit dieser Auffanglösung kann das bestehende Mitbestimmungsniveau prinzipiell gesichert werden, sofern eine Mitbestimmung im Unternehmen vorhanden ist. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung – wenn die Regelung denn auf europäischer und nationaler Ebene gut ausgestaltet wäre. Allerdings hat die EU-Richtlinie gravierende Schwächen. So gibt es beispielsweise keine Möglichkeit für Nachverhandlungen, wenn die Beschäftigtenzahl in einem Unternehmen nach der Umwandlung ansteigt und die Schwellenwerte deutscher Mitbestimmung übersteigt, etwa 2.000 für die paritätische Mitbestimmung. Darin liegt die große Gefahr, dass Unternehmen sich „vorbeugend“ der Mitbestimmung entziehen, solange sie noch klein sind. Bei der SE ist das verbreitet. Was wir brauchen, ist bei grenzüberschreitenden Formwechseln ein dynamisches Element, das bei Belegschaftszuwachs greift, sodass die Mitbestimmung mitwächst, wie es nach deutschem Recht üblich ist. Aber auch ein vermeintlich gesichertes Mitbestimmungsniveau kann noch nachträglich abgestreift werden. Denn das Verhandlungsergebnis ist nach den Vorgaben der EU-Richtlinie nur für vier Jahre im jeweiligen nationalen Recht gesichert.

Bei der Umsetzung in deutsches Recht könnten solche Defizite geheilt werden. Die vorliegenden Regierungsentwürfe tun das aber nicht. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten zur Mitbestimmungsumgehung werden gegenüber der EU-Vorgabe sogar noch erweitert. Wo die Probleme liegen und was die Bundesregierung zur Stärkung der Mitbestimmung tun kann und sollte, erklären mein Kollege Sebastian Sick und ich im aktuellen Böckler Impuls genauer. Das Interview ist unten verlinkt.

Die Bundesregierung ist als „Fortschrittskoalition“ angetreten, auch in Fragen der Mitbestimmung. Sie muss jetzt liefern.


Dr. Daniel Hay ist Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.)

Weitere Informationen

Umwandlungsrichtlinie: "Die Bundesregierung muss liefern“

Auf einen Blick: Was Mitbestimmung bewirkt

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HANS. 15/2022

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