Quelle: Thomas Range
Magazin MitbestimmungWissenstransfer: Zwei ausgezeichnete Ideen
In der LPS Lernfabrik in Bochum profitieren Praktiker und Wissenschaftler vom gegenseitigen Austausch, die Genossenschaft h3-o hat das Konzept eines Workers-Buy-out verfeinert. Ideen, die das Publikum der Labor.a 2019 zu den Gewinnern des Ideenpitchs wählte. Von Fabienne Melzer und Andreas Molitor
Von Hand lässt sich das Plastikteil nur mit viel Kraft auf die Metallschiene stecken. Für den Roboter ist es dagegen ein Kinderspiel. Mit der kleinen Demonstration will Henning Oberc vom Lehrstuhl Produktionssysteme der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zeigen, dass technischer Fortschritt Arbeit erleichtern kann und Beschäftigten hilft – vorausgesetzt, sie werden in die Planung einbezogen.
Der Roboter ist Teil einer Produktionslinie, die in der LPS Lernfabrik in Bochum steht. Angefangen hat die Lernfabrik vor elf Jahren. Sie sollte Praktikern und Wissenschaftlern einen Raum geben, in einer realitätsnahen Produktion von- und miteinander zu lernen. „Wissenschaft ist keine Einbahnstraße, die ihr Wissen einfach weitergibt“, sagt Henning Oberc. „Sie lernt genauso aus der Praxis.“ So trafen in der Lernfabrik Sozialwissenschaftler und Ingenieure aufeinander.
Daraus entwickelten sich schließlich die arbeitspolitische Lernfabrik und das Zertifikatsstudium für Arbeitnehmervertreter. Getragen wird es von einer Kooperation zwischen dem Bildungszentrum der IG Metall Sprockhövel, der Akademie der RUB, der gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IG Metall und der Lern- und Forschungsfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme der RUB. Sie wurde im vergangenen Jahr beim Ideenpitch der Labor.a vom Publikum unter die Gewinner gewählt.
Das Zertifikatsstudium soll Betriebsräten Wissen und Fertigkeiten vermitteln, um neue Techniken im Interesse der Beschäftigten zu gestalten. Marcello Sessini, Bildungsreferent am Bildungszentrum Sprockhövel, weiß, dass das nur funktioniert, wenn die Betriebsräte sich von Anfang an beteiligen. „Normalerweise läuft es in Unternehmen so: Eine neue Technik wird eingesetzt, Arbeitsprozesse geplant, und dann muss sich der Mensch daran anpassen“, sagt Sessini. „Hier zeigen wir ihnen, was das mit den Beschäftigten macht und wie es anders gehen kann.“
Gleiche Technik, aber anderes Ergebnis
Deshalb durchlaufen die Studierenden zu Beginn des Seminars die Einführung neuer Technik ohne jeglichen Handlungsspielraum. „Dann spielen wir das Ganze noch mal durch. Nur diesmal können sie die Einführung gestalten“, sagt Henning Oberc. „Die Technik ist immer noch dieselbe, aber das Ergebnis ist ein ganz anderes.“
Die Nachfrage nach dem Zertifikatsstudium ist groß, denn es schafft nicht nur die Grundlagen, um Technikeinführung im Unternehmen im Interesse der Beschäftigten zu gestalten. Die Studierenden schreiben eine wissenschaftliche Abschlussarbeit, lernen, sich Wissen zu neuen Themen selbst zu erschließen, und können darauf aufbauen und weiterstudieren, wenn sie wollen. „Wir wollen Technik nicht verteufeln, wir wollen sie gestalten“, sagt Marcello Sessini. „Dafür müssen wir sie verstehen.“
Eine Lösung für Unternehmen mit ungelösten Nachfolgeproblemen in Brandenburg bietet die Genossenschaft h3-o, die ebenfalls beim Labor.a-Ideenpitch Zukunft ausgezeichnet wurde. Viele brandenburgische Betriebe wurden in den 1990er Jahren gegründet, das Land weist im bundesweiten Vergleich die zweithöchste Selbstständigenquote auf.
Ein Großteil der Unternehmen steht jetzt vor der Übergabe. Durch die demografische Entwicklung gibt es allerdings, vor allem im ländlichen Raum, zu wenig potenzielle Nachfolger. Externe Erwerber wiederum scheuen meist den Schritt in die Peripherie. Gelingt die Nachfolge nicht, gehen in vielen Fällen Arbeitsplätze, Unternehmenswerte und Lebenswerke verloren.
Die vor drei Jahren von drei Frauen gegründete Genossenschaft h3-o hat für solche Fälle ein Konzept auf Basis eines Workers-Buy-out (WBO) entwickelt, also der Übergabe des Unternehmens an die eigene Belegschaft. Die Mitarbeiter gründen für diese Form der Nachfolge eine eingetragene Genossenschaft und führen als Miteigentümer die Firma weiter. Kollektiv entscheiden sie über die Unternehmensstrategie und die Gewinnverwendung. „Wir nennen es lieber ‚ArbeitnehmerInnen-Genossenschaften‘ als Workers-Buy-out“, erklärt Claudia Henke, Mitgründerin der in Hamburg ansässigen Genossenschaft, die sich der Förderung sozialer Innovation verschrieben hat.
Ein WBO ist aus Sicht der Soziologin kein Allheilmittel für jedes Unternehmen, bei dem ein Generationswechsel ansteht, sondern ein zusätzliches beschäftigungspolitisches Instrument, eine Option. Gefördert wird das WBO-Projekt bislang vom brandenburgischen Arbeits- und Sozialministerium sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Möglichst bald will h3-o das Konzept in einem Modellprojekt umsetzen, bei dem Unternehmen auf dem Weg in eine kooperative Wirtschaft begleitet werden.
h3-o tauscht sich vor allem mit der seit Jahrzehnten fest etablierten Kooperativen-Bewegung im Norden Italiens aus. Allein in Südtirol existieren mehr als 1000 eingetragene Genossenschaften, basierend auf den Prinzipien Eigentum und Mitbestimmung, sozusagen ein Ökosystem der kooperativen Ökonomie.
Genau diesen Ansatz verfolgt auch h3-o. „Genossenschaften brauchen auch in Deutschland ein starkes Ökosytem, dazu bauen wir gerade ein Innoationsnetzwerk auf“, erklärt Claudia Henke. Das Konzept der Genossenschaft beinhalte Werte wie Mitbestimmung, Demokratie, ökonomische Teilhabe und Transparenz. „Das steht alles schon auf dem Papier. Jetzt geht es darum, diese Ideen auch zu leben.“