Quelle: Frank Rumpenhorst
Magazin MitbestimmungHandwerk: Zu wenig Hände für zu viel Arbeit
Häuser müssen klimafreundlich saniert und Lademöglichkeiten für immer mehr E-Autos aufgebaut werden. Bisher geht der Umbau aber nur schleppend voran. Denn neben mehr Ladestationen, Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen fehlen vor allem Fachkräfte, die sie installieren können. Von Kevin Gallant
Mit einem Ausbildungsvertrag allein lockt das Handwerk schon lange nicht mehr. Jutta Brückner, Betriebsrätin beim Sanitär-Heizung-Klima-Betrieb Rauh in Worms, zählt auf, was ihr Betrieb Auszubildenden zusätzlich bietet: „Prämien für gute Noten in der Berufsschule, Sonderurlaub für die Prüfungsvorbereitung, sogar ein Firmenhandy mit großem Datenvolumen“, sagt Brückner. „Trotzdem suchen wir ständig neue Leute, bekommen aber nur wenige qualifizierte Bewerbungen.“
Allein ist die Firma Rauh damit nicht. Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, warnt schon seit Langem vor der Fachkräftelücke im Handwerk. Bereits 2018 bezifferte die IG Metall sie auf rund 200 000 Menschen. „Allein in den sanierungsrelevanten Gewerken wie dem Bau, den Tischlern, den Metallbauern, den Elektrotechnikern, dem Sanitärgewerk und den Rollladen- und Sonnenschutztechnikern gehen wir mittlerweile von bis zu 190 000 fehlenden Fachkräften aus, Tendenz steigend“, sagt Kutzner. Während von unten immer weniger Nachwuchs kommt, kehren viele Gesellen dem Handwerk den Rücken, um zum Beispiel in die Industrie abzuwandern. „Durch die Tarifbindung und eine 37-Stunden-Woche stehen wir im Wettbewerb um Fachkräfte besser da als Betriebe ohne Tarifbindung. Insgesamt muss das Lohnniveau im Handwerk aber noch steigen“, sagt Brückner. Um die Arbeit im Handwerk attraktiver zu machen, zahle der Betrieb etwa Prämien für geworbene Mitarbeiter, ein 13. Monatsgehalt oder auch Überstundenzuschläge.
Tanya Fischer ist Betriebsrätin bei dem Elektrobetrieb Elpro. Auch sie versucht, neue Beschäftigte zu gewinnen. Ihr Betrieb bietet eine Treueprämie für lange Betriebszugehörigkeit. Um neue Auszubildene zu finden, wendet Fischer sich auch selbst an die Schulen. „Ich spreche teilweise mit den Lehrkräften, und an den schwarzen Brettern hängen unsere Angebote“, sagt sie. Dass es immer schwieriger wird, qualifizierte Kolleginnen und Kollegen zu finden, begründet Fischer, die seit über 20 Jahren bei Elpro arbeitet, auch mit der sinkenden Berufserfahrung der Bewerber.
Doch nur das Handwerk kann Millionen von Geräten und Anlagen einbauen, installieren und vernetzen, die der Klimawandel erfordert. In der Gebäudetechnik etwa installiert Elpro Daten- und Kommunikationssysteme, mit denen klimafreundlichere Smarthome-Systeme betrieben werden. In der Sparte Elektromobilität arbeitet der Betrieb daran, E-Zapfsäulen zu installieren und zu warten und so das Netz an Lademöglichkeiten für Elektroautos zu vergrößern. Das Elektrohandwerk ist aber ebenso gefragt, wenn Solaranlagen auf den Dächern gebaut werden sollen. Gleiches gilt für Millionen von Ladestationen in den Garagen der privaten Haushalte. Zähleranlagen sowie elektrotechnische Infrastruktur müssen für neue Ladestationen oder Stromspeicheranlagen gerüstet werden. Moderne Heizungsanlagen und Wärmepumpen sind ein Baustein, um Gebäude klimafreundlicher zu machen. Weiter geht es mit der Gebäudedämmung, mehrfachverglasten Fenstern, Rollläden und Sonnenschutztechnik.
Betriebe unter Druck
Auch Jutta Brückners Sanitär-Heizung-Klima-Betrieb arbeitet für den Klimaschutz. Die Handwerker ersetzen etwa alte Heizungssysteme durch klimaschonendere Modelle. „Wir könnten mehr Leute gebrauchen. Kunden müssen teilweise länger warten, weil wir priorisieren müssen. Bestandskunden lassen sich noch abarbeiten, darüber hinaus wird es eng“, sagt Brückner. Ein Trend, der sich im gesamten Handwerk zeigt. Wegen der zu dünnen Personaldecke dauert es vom Auftrag bis zur Installation immer länger: „Wartezeiten von vielen Wochen sind mittlerweile an der Tagesordnung“, bestätigt auch Ralf Kutzner.
Der Klimaschutz bringt dem Handwerk jede Menge Arbeit, aber ihm fehlen jede Menge Hände, die sie erledigen. Im Gebäudesektor hat Deutschland seine Klimaziele schon in den vergangenen beiden Jahren verfehlt – auch weil zu wenige Menschen in den Gewerken arbeiten. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine erhöht den Druck auf die Betriebe. Die Bundesregierung will nun schneller von russischem Gas und Öl unabhängig werden und muss daher eigene Energiequellen ausbauen. „Die beschlossenen Energieziele müssen nun noch schneller erreicht werden und erfordert noch mehr Fachkräfte“,
sagt Kutzner.
Imageprobleme
Das Handwerk hat auch Imageprobleme. „Es ist eine Männerdomäne und immer noch schwere, körperliche Arbeit. Aber es gibt mittlerweile viele Hilfsmittel, die die Arbeit auch für Frauen erleichtern“, sagt Jutta Brückner, die sich seit über 16 Jahren im Betriebsrat engagiert. Sie möchte gerne mehr Frauen für die Berufe gewinnen.
Noch schlechter für das Image wertet IG Metall-Vorstandsmitglied Kutzner die geringe Tarifbindung. In einigen Gewerken ist ein Großteil der Betriebe nicht mehr Mitglied der Innungen. „Selbst wenn wir da Tarifverträge hätten, würden sie für die entsprechenden Betriebe nicht gelten“, sagt Ralf Kutzner.
Schlecht fürs Image sind auch die Arbeitsbedingungen in vielen Betrieben. Die IG Metall bemängelt längere und von den Beschäftigten kaum beeinflussbare Arbeitszeiten genauso wie fehlende Sozialleistungen, zu wenig Mitbestimmung und zu geringen Kündigungsschutz. Laut der Gewerkschaft stehe das Handwerk immer weniger für gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen. Schon die Ausbildungsqualität lasse zu wünschen übrig. Laut Ralf Kutzner zeigen Umfragen unter Auszubildenden, dass in einigen Betrieben Lehrinhalte nicht ausreichend vermittelt werden: „Viele Betriebe machen das gut, aber es gibt auch schwarze Schafe, die ihre Auszubildenden mit Dingen beschäftigen, die nichts mit der Ausbildung zu tun haben.“ Ein ähnliches Bild zeige sich an vielen Berufsschulen: baulich in keinem guten Zustand und zu wenig digitale Ausstattung. Laut IG Metall klagen Auszubildende auch über zu wenige Lehrkräfte und veraltete Inhalte. „Das, was da heute teilweise gelehrt wird, war vor 10, 15 Jahren aktuell“, sagt Kutzner.
Denn der Klimaschutz bringt dem Handwerk nicht nur mehr Arbeit, er verändert diese auch. Noch bevor Handwerker ein Werkzeug in die Hand nehmen, planen sie intelligente Systeme und beraten Kunden zu Energieeffizienz und Klimaverträglichkeit. Lichter schalten sich selbst aus, sobald niemand mehr im Raum ist. Heizungen stellen sich ab, wenn gelüftet wird. Nichts läuft unnötigerweise im Standby-Modus.
IG Metall-Vorstandsmitglied Ralf Kutzner kann dem Handwerk noch mehr positive Seiten abgewinnen: „Handwerksarbeit bedeutet Vielfalt. Jede Arbeit erfordert andere Vorbereitungen, Materialien, Arbeitsschritte. Die Arbeit ist spannend – am Morgen weiß man noch nicht, was man abends geschafft hat. Und wenn man seinen Werkzeugkoffer zusammengepackt hat, sieht man das Endprodukt und kann es auch anfassen. Das ist nicht überall so.“
Umdenken beginnt
Trotzdem befürchtet die IG Metall, dass die berufliche Ausbildung in eine Ausbildung zweiter Klasse abrutscht. Deswegen fordert Ralf Kutzner, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die duale Ausbildung zu fördern, auch bei der Digitalisierung. Um neue Technologien installieren, reparieren und anwenden zu können, sei es nötig, die Kenntnisse der Fachkräfte zu erhöhen. „Das Handwerk muss in der Lage bleiben, die Innovationen der Herstellerfirmen nachvollziehen zu können“, sagt Kutzner. Wie das funktionieren kann, zeigt der Arbeitgeber von Betriebsrätin Jutta Brückner: „Für Weiterbildungen hat die Käuffer-Gruppe eine eigene Akademie eröffnet, in der unsere Kolleginnen und Kollegen individuell und regelmäßig gefördert werden können“, sagt sie.
Allerdings erkennt Kutzner auch einen Positivtrend. „Die Betriebe sehen zunehmend eine Verbindung zwischen Imageproblem und fehlender Tarifbindung“, sagt er. Auch bei der Bezahlung verbessere sich das Handwerk: „In den Branchen, in denen wir Tarifpolitik machen, haben wir schon deutlich bessere Gehälter erzielt, vergleichbar mit der Industrie. Das war nicht immer so und ist deswegen ein Fortschritt“.