Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Wunschliste für die Revision
Im September ist die EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte zehn Jahre alt geworden. Pünktlich zum Geburtstag hat die EU-Kommission nun die Revision des Textes auf die Agenda gesetzt. Wo hat sich das Gesetz bewährt, wo kann es verbessert werden?
Von Werner Altmeyer
Nach Meinung der EU-Kommission hat sich die Richtlinie, die am 22. September 1994 unter dem Kürzel 94/45/EG verabschiedet wurde, im vergangenen Jahrzehnt bewährt. In einer Pressemitteilung vom 20. April 2004 heißt es, die Euro-Betriebsräte hätten ihre Aufgabe, die Einbindung der Arbeitnehmer in die Entscheidungsprozesse im Unternehmen zu gewährleisten und Feedback zur Unternehmensentwicklung zu geben, "mit Erfolg gelöst". Die Praxis sieht aber vielfach noch anders aus. Von einer sinnvollen Unterrichtung und Anhörung kann nur dann gesprochen werden, wenn der EBR eigene Vorschläge einbringen kann, bevor der Entscheidungsprozess des Unternehmens abgeschlossen ist. Das ist aber alles andere als selbstverständlich.
Bereits im Jahr 1997 wurde von einem französischen Gericht die Entscheidung des Automobilherstellers Renault, seinen belgischen Standort Vilvoorde zu schließen, für rechtswidrig erklärt, weil der EBR nicht rechtzeitig einbezogen worden war. Andere französische Gerichte haben die Messlatte ebenso hoch angelegt. Trotz einschlägiger Gerichtsentscheidungen kommt es immer wieder vor, dass das Management Fakten schafft, ohne den Euro-Betriebsrat einzubeziehen. So lässt der kanadische Schienenfahrzeugbauer Bombardier derzeit mehrere Betriebe in Europa schließen. Nachdem es darüber zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war, kam der EBR schließlich zu einer Sondersitzung zusammen - bei weiteren Verhandlungen wurde die Teilnahme von Delegierten aus betroffenen Ländern jedoch verweigert. Johannes Hauber, EBR-Vorsitzender aus dem Werk Mannheim, wünscht sich für solche Fälle eine stärkere Position: "Der Gesetzgeber sollte uns das Recht einräumen, die Unternehmensleitung an der Umsetzung solcher Maßnahmen hindern zu können, wenn unser Anspruch auf Konsultation nicht eingehalten worden ist."
Ein Treffen im Jahr ist nicht genug
Nach Angaben des Europäischen Gewerkschaftsinstitutes in Brüssel tagen rund 80 Prozent der Euro-Betriebsräte nur einmal jährlich - zu wenig, um auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können: "Da das Unternehmen in Quartalszahlen denkt, wird eine einzige EBR-Sitzung pro Jahr der Realität nicht gerecht", erklärt Manfred Monje, der von Mainz aus die Arbeit des EBR der britischen Hotelgruppe Hilton koordiniert. Als die Briten unlängst die Scandic-Hotels übernahmen, wurde der EBR erst Monate später unterrichtet - damit war für Monje wichtige Zeit verstrichen, die für eine frühzeitige Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern des übernommenen Unternehmens hätte genutzt werden können. Ein mindestens halbjährlicher Rhythmus ist für Gottfried Meyer, der von Remscheid aus den EBR der Heiztechnik-Gruppe Vaillant-Hepworth leitet, deshalb unerlässlich.
Die Sitzungen, sagt er, seien das Lebendige, Bestärkende und Einende: "Persönliche Kontakte sind unverzichtbar." Ganz oben auf der Wunschliste an die Richtlinien-Novelle steht für Meyer jedoch ein eigenes EBR-Sekretariat, sozusagen als infrastrukturelles Rückgrat: "Selbst ich als freigestelltes Betriebsratsmitglied habe den Tisch so voll, dass ich mich nicht ständig um den EBR kümmern kann. Die EBR-Arbeit ist ein anspruchsvoller Nebenjob - aber das wird ihrer wachsenden Bedeutung nicht gerecht." Im Hamburger Verlagshaus Gruner+Jahr räumt der Arbeitgeber dem EBR-Vorsitzenden Peter Reuter immerhin das Recht ein, alle ausländischen Niederlassungen zu besuchen. So war er kürzlich zu Gesprächen bei den spanischen Arbeitnehmervertretungen in Madrid. Besser wäre jedoch, sagt er, "wenn der Lenkungsausschuss des EBR die Möglichkeit hätte, eigenständige Treffen zu organisieren, um zwischen den jährlichen Sitzungen die Arbeit zu koordinieren." Auch die Arbeitnehmervertreter von Hilton versprechen sich von erweiterten Rechten des Lenkungsausschusses eine bessere inhaltliche Vorbereitung der Plenarsitzungen.
Wer bezahlt den Englischkurs?
Sprachprobleme sind ein ganz praktisches Problem der EBR-Arbeit. Zwar werden die offiziellen Sitzungen simultan gedolmetscht, aber Gespräche beim Abendessen oder informelle Kontakte kommen ohne Fremdsprachenkenntnisse nur schwer zustande. Die EBR-Richtlinie sieht bislang für solche Fälle keinen Schulungsanspruch vor. Hilton-Betriebsrat Monje hat einen Englisch-Intensivkurs selbst bezahlt, während andere Unternehmen sogar mehrwöchige Sprachstudien im Ausland finanzieren. Hinzu kommen interkulturelle Verständigungsprobleme. Um die wirtschaftlichen und sozialen Informationen bewerten zu können, erwartet deshalb Rolf Zimmermann, stellvertretender Vorsitzender des Allianz-EBR vom Gesetzgeber eine klare Regelung, was die Finanzierung von Schulungen und Trainings angeht. Die Vertreter von Bombardier sowie von Gruner+Jahr unterstützen diese Forderung - ihre Erfahrungen sind, was das Geld angeht, ähnlich unbefriedigend.
"Hauptamtliche" sind zuweilen unerwünscht
Besonders an hauptamtlichen Gewerkschaftsvertretern entzündet sich Streit. Da Gewerkschaften in der EBR-Richtlinie bisher nicht ausdrücklich erwähnt sind, dürfen Hauptamtliche nur als Sachverständige an den Sitzungen teilnehmen - es sei denn, ihre Teilnahme ist in der EBR-Vereinbarung ausdrücklich festgeschrieben. Während inzwischen vielfach üblich ist, dass diese Vereinbarungen auch von den Europäischen Gewerkschaftsföderationen mit unterzeichnet werden, lehnt beispielsweise das britische Hilton-Management einen Vertreter der Europäischen Föderation der Hotelgewerkschaften (EFATT) am Verhandlungstisch bislang strikt ab. Und bei Bombardier kommt der gewerkschaftliche Betreuer auf Kosten seiner Gewerkschaft, die Kostenerstattung für externe Berater hat die Konzernleitung bisher stets verweigert. Das ist auch in den Augen von Vaillant-Betriebsrat Meyer "ein Ausdruck extrem kurzfristigen Denkens". Er erklärt, "gerade auf europäischer Ebene" seien die Gewerkschaften für die Arbeitnehmer- wie für die Arbeitgeberseite unverzichtbare Partner für die Beilegung von Konflikten. Eine Überarbeitung der Richtlinie in diesem Sinne steht deshalb ganz oben auf seinem Forderungskatalog.
Pläne, den Schwellenwert auf 500 zu senken, stoßen auf Kritik
Die EBR-Richtlinie gilt heute für Unternehmen mit 1000 oder mehr Beschäftigten. Einer Absenkung der Schwellenwerte von 1000 auf 500 Beschäftigte stehen die Arbeitgeberverbände besonders kritisch gegenüber. Für den Betriebsratsvorsitzenden im Stuttgarter Werk der Bourdon-Haenni-Gruppe, Bernd Luplow, wäre dies jedoch sehr wichtig. In diesem aus der Schweiz gesteuerten Unternehmensverbund mit etwa 500 Beschäftigten könnte eine Absenkung der Schwellenwerte nämlich zur Gründung eines EBR führen. Für Luplow ist dies dringend erforderlich, wurden doch in den letzten Jahren Teile der Produktion von Messinstrumenten von Stuttgart nach Frankreich und Dänemark ausgelagert. Damals hatte der Arbeitgeber von den Betriebsräten sogar gefordert, schriftlich auf die Gründung eines EBR zu verzichten, was diese ablehnten. Derzeit beginnen erste grenzüberschreitende Kontakte mit Hilfe der IG-Metall-Vorstandsverwaltung.
Einigen Euro-Betriebsräten - insbesondere in der Automobilindustrie - ist es trotz der bestehenden Richtlinie gelungen, ihre Rolle über Unterrichtung und Anhörung hinaus zu erweitern. In einer Reihe von Unternehmen wurden Grundsätze sozialer Verantwortung in einer europaweiten Betriebsvereinbarung geregelt. So hat der Ford-EBR dem amerikanischen Management eine europaweite Vereinbarung über Besitzstandsschutz bei der Ausgliederung der Komponentenherstellung abgerungen.
Der Euro-Betriebsrat von General Motors hat seit dem Jahr 2000 in Verhandlungen mit der Geschäftsleitung mehrere Betriebsvereinbarungen über die Auswirkungen von Umstrukturierungsplänen erarbeitet. Die Arbeitnehmervertreter haben in diesen Fällen schon mehr erreicht, als der aktuelle Gesetzgebungsprozess erwarten lässt. Nach Meinung von Armin Herber, der von der Tochtergesellschaft Opel-Rüsselsheim aus die Arbeit des "General Motors European Employee Forum" koordiniert, sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Gültigkeit von vertraglichen Vereinbarungen zwischen EBR und Konzernleitung in allen beteiligten Ländern juristisch sichergestellt wird. Probleme sehen die Opel-
Betriebsräte vor allem in Großbritannien, wo die Einklagbarkeit von Kollektiv-Verträgen immer wieder Probleme bereitet.
Revision im Konsens?
Für die geplante Revision der EBR-Richtlinie will die Europäische Kommission zunächst ausloten, ob Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einen gemeinsamen, eigenständigen Vorschlag für eine Neufassung vorlegen wollen. Entscheiden sich die Arbeitgeberverbände, mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Verhandlungen zu treten, und kommt es innerhalb von neun Monaten zu einer einvernehmlichen Regelung, wird der gemeinsame Textvorschlag mit großer Wahrscheinlichkeit in Kraft gesetzt. Scheitern diese Verhandlungen, so ist die EU-Kommission wieder am Zuge und wird vermutlich selbst mit der Überarbeitung des Richtlinientextes beginnen.
Eine Einladung zu gemeinsamen Verhandlungen der Sozialpartner blieb schon einmal in den Jahren vor 1994 ohne Resonanz - vor allem, weil sich der britische Arbeitgeberverband CBI nicht durchringen konnte. In ihrer Stellungnahme an die Europäische Kommission sprachen sich die Arbeitgeber im Juni 2004 zwar für die Aufnahme von Verhandlungen aus - allerdings sind sie lediglich bereit, gemeinsam mit den Gewerkschaften praxisbezogene Orientierungspunkte bzw. Leitlinien zur Anwendung der bestehenden Richtlinie für die Unternehmen zu entwickeln - der Richtlinientext selbst soll nach ihren Vorstellungen unverändert bleiben.
Zum Weiterlesen
Werner Altmeyer: Europäische Betriebsräte - Bestandsaufnahme und Ausblick. In: Arbeitsrecht im Betrieb, Zeitschrift für Betriebsratsmitglieder, 24. Jahrgang, Heft Nr. 5/2003, S. 308-311;
Reingard Zimmer: Europäische Solidarität. Beispiele positiver Arbeit Europäischer Betriebsräte. In: Arbeitsrecht im Betrieb, Zeitschrift für Betriebsratsmitglieder, 24. Jahrgang, Heft Nr. 10/2003, S. 620-625;
Peter Kerckhofs: Europäische Betriebsräte. Fakten und Zahlen. Brüssel 2003;
Werner Altmeyer: Kulturwandel in den Arbeitsbeziehungen: In: Magazin Mitbestimmung, 12/2000, S. 34-37;
Armin Herber/Wolfgang Schäfer-Klug: Wie ein Euro-Betriebsrat zum Vertragspartner wird. In: Magazin Mitbestimmung 9/2002, S. 50-54