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Magazin Mitbestimmung

: Wir dürfen uns nicht spalten lassen!

Ausgabe 12/2006

Immer mehr Menschen werden von der Teilhabe an Arbeit, Einkommen und Bildung, von sozialen Mindeststandards und tariflichen Ansprüchen ausgegrenzt. In NRW startet die IG Metall deshalb die Kampagne "Neue soziale Verantwortung - Initiative: Solidarität".



Von Detlef Wetzel
Der Autor ist Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. detlef.wetzel@igmetall.de


Deutschland entwickelt sich zu einer Ausgrenzungsgesellschaft, denn der wirtschaftlichen Ausgrenzung folgt oft die soziale. Besondere Risikogruppen sind Arbeitslose, Ausländer, Alleinerziehende und so genannte bildungsferne Schichten. Und wer einmal raus ist, findet nur schwer zurück. Selbst eine gute Bildung stellt keinen Schutz dar: Wer von der Uni kommt, hangelt sich oft von einer schlecht bezahlten Praktikantenstelle zur nächsten. Nur die Hälfte der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, bekommt auch einen. Die andere Hälfte hofft in schulischen Warteschleifen auf neue Chancen, oft vergebens. Etwa 1,4 Millionen junge Menschen haben kaum noch eine Perspektive auf einen vollwertigen Arbeitsplatz zu fairen Bedingungen.

Ausgebildete Fachkräfte gehören immer öfter nicht zur Kernbelegschaft, sondern sind Leiharbeitnehmer oder befristet beschäftigt. Allein im Organisationsbereich der IG Metall arbeitet fast jeder Vierte der unter 30-Jährigen unter Bedingungen von Befristung oder Leiharbeit. Nicht selten werden diese Beschäftigten auch noch schlechter bezahlt als ihre Kolleginnen und Kollegen. Nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte waren Lebenschancen so ungleich verteilt wie heute.

In den 50er Jahren, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, ging es noch um "Wohlstand für alle" und "Teilhabe gegen Leistung". Der Sozialstaat, getrieben von starken Gewerkschaften, wurde gleichermaßen zur Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Gerechtigkeit. Die Wirtschaft wächst auch heute, die Umsätze der Unternehmen und die Exporte steigen. Es ist jedoch ein Wachstum ohne zusätzliche vollwertige Arbeitsplätze ("jobless growth").

Immer weniger Menschen profitieren vom Wohlstand, immer mehr werden abgehängt. Die Folgen: mangelnde Binnennachfrage, anhaltende Arbeitslosigkeit, zunehmende Erosion der Sozialversicherungssysteme. Ökonomischer Erfolg und gesellschaftliche Entwicklung werden entkoppelt. Immer mehr Menschen droht Wohlstandsverlust. Immer weniger Menschen haben Vertrauen in die Zukunft. Damit führt fehlende soziale Verantwortung zu fehlendem Wachstum für Arbeitsplätze. Früher haben politisch Verantwortliche Teilhabe organisiert, heute schaffen sie Ausgrenzung.

Entscheidendes hat sich verändert. Die Werte stimmen nicht mehr, nach denen sich Unternehmensspitzen richten. Kurzfristige Renditeerwartungen sind wichtiger als langfristige Strategien. Teilweise ist es paradox: Unternehmen, die in langfristige Entwicklungen investieren, werden umgehend von den Aktienmärkten abgestraft. Es zählt nur der kurzfristige Effekt einer Quartalsbilanz: Unternehmen machen hohe Gewinne und entlassen trotzdem.

Sie verlagern Produktion ins Ausland, statt in Innovationen am Standort zu investieren. Sie jammern über mangelnde Qualifikation, statt aus- und weiterzubilden. Sie fordern eine gut ausgebildete Bevölkerung und eine gute Infrastruktur, sind aber nicht bereit, einen finanziellen Beitrag dafür zu leisten. Im Gegenteil: Sie pochen auf ständig sinkende Steuer- und Abgabensätze.

Auch Politiker handeln nach verfehlten Maßstäben: Sie senken Unternehmenssteuern, aber belasten Geringverdiener sowie Arbeitslose. Sie schränken Arbeitnehmerrechte ein und verteilen Bildungschancen ungleich. Sie weiten den Niedriglohnsektor aus, statt sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu stärken. Sie schaffen Altersteilzeit ab und führen Rente mit 67 ein, statt Jobs für Junge wie Ältere zu öffnen.

Doch Menschen sind mehr als Kostenfaktoren. Unter der gescheiterten wirtschaftsliberalen Logik leiden soziale Zusammenhänge, Infrastruktur, Umwelt - und schlussendlich auch die Ökonomie selbst, weil allein aus der Substanz gewirtschaftet wird. Eine neue soziale und ökonomische Balance ist nötig.

Die Folgen der Globalisierung sind politisch herbeigeführt

Die Phänomene der Globalisierung sind kein Naturgesetz. Offshore-Finanzplätze, Handelsöffnungen oder Handelsbarrieren, Sozial- und Ökodumping sind nicht alternativlos - sie sind von Menschen gemacht, politisch durchgesetzt und deswegen auch politisch veränderbar. Der Unterbietungswettlauf muss beendet werden. Ökonomischer Erfolg muss wieder an Innovationen und langfristigen Perspektiven für Einkommen und Beschäftigung festgemacht werden. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein umweltpolitischer Begriff. Nachhaltig ist es auch nicht, soziale Sicherungssysteme zu beschneiden - in der vorgeblichen Absicht, sie dadurch krisenfest zu machen.

Der Mainstream in Politik und Wirtschaft beschränkt sich darauf, Menschen unter Druck zu setzen und soziale Errungenschaften zurückzunehmen: Beschneiden von Sozialleistungen, Hartz IV, Senkung von Löhnen und Gehältern, Einführung eines Niedriglohnsektors. Verantwortung wird vor allem bei denjenigen abgeladen, die zu Opfern der Ausgrenzung geworden sind. Die Zukunft liegt weder im Sozialabbau noch im Teilen unter denen, die wenig haben.

Wir fordern, den Weg in die Ausgrenzungsgesellschaft zu beenden. Wir fordern eine "Initiative neue soziale Verantwortung". Unternehmen und Politik müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass es keine Entlassungen in wirtschaftlich guten Zeiten gibt; dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch für Zeitarbeiter und Befristete gezahlt wird; dass Innovationen und Strukturwandel betrieben statt Arbeitsplätze verlagert werden; dass Verlagerungsabgaben eingeführt werden; dass Private-Equity-Gesellschaften kontrolliert werden; dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung statt Niedriglohn ausgebaut wird; und dass Bildung und Qualifikation allen zugänglich sind.

Solidarität ist dazu da, die Schwachen zu schützen

Solidarität ist Instrument und treibende Kraft zugleich. Der Sozialstaat ist das Ergebnis von organisierter und gelebter Solidarität. Deshalb gibt es institutionell verankerte soziale Sicherheit durch Tarifverträge, durch Arbeitnehmerrechte, durch Sozialversicherungen. Es geht darum, diese Systeme weiterzuentwickeln und anzupassen, damit sie ihre Schutzfunktion behalten. Solidarität bindet diejenigen ein, die von Ausgrenzung bedroht und betroffen sind.

Mit "Tarif aktiv" und "besser statt billiger" haben wir in der IG Metall Nordrhein-Westfalen unsere Politik neu ausgerichtet. Wir haben begonnen, uns gewerkschaftspolitisch neu aufzustellen. Im Betrieb treten wir dem Dumpingwettbewerb entgegen, sichern Arbeitsplätze und Einkommen. Auch durch eine flexible und in Teilbereichen dezentrale Tarifpolitik modernisieren wir Teile der institutionellen Sicherheit und stärken unsere betriebliche Durchsetzungsfähigkeit.

Mit unserer offensiven Vorgehensweise erzielen wir Erfolge - besonders dort, wo sich die IG Metall auf starke Betriebsräte in gewerkschaftlich gut organisierten Betrieben stützen kann. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich jenseits dieser Bereiche weiße Flecken entwickelt haben, in denen es an Handlungsfähigkeit fehlt. Wir haben erste Ansätze, um dort gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen und den Menschen neue Perspektiven zu geben.

Mit der Berufsschulaktion "YOUnite" erreichen wir junge Menschen auch außerhalb der Betriebe. Wir wenden uns an diejenigen, die in schulischen Warteschleifen auf Chancen für einen Berufseinstieg hoffen, die ohne Festeinstellung jobben. Wir wenden uns auch an Auszubildende, die in Betrieben ohne betriebliche Interessenvertretung arbeiten. Zusätzlich richten wir derzeit eine "virtuelle" Verwaltungsstelle für diejenigen ein, die wir über unsere bisherigen Strukturen nicht erreichen.

IG Metall und Betriebsräte setzen sich mit Erfolg dafür ein, dass Befristete und Leiharbeitnehmer zu fairen Bedingungen beschäftigt und - soweit möglich - in reguläre Arbeitsverhältnisse übernommen werden. An Mitarbeiter in industriellen Dienstleistungen wenden wir uns mit demselben Ziel im Rahmen eines neu angelegten Projekts. Auch der Tarifvertrag "Zukunft" bei ThyssenKrupp Steel steht für neue Solidarität: Mit Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen wir generationenübergreifende Solidarität durch Neueinstellungen, zusätzliche Übernahmen nach der Ausbildung und vorzeitiges Ausscheiden für Ältere.

Der Tarifvertrag zur Qualifizierung, den die IG Metall in diesem Jahr abgeschlossen hat, erweitert für Betriebsräte und Beschäftigte die Möglichkeiten, eigene Ansprüche an Qualifizierung durchzusetzen. Ein weiterer Baustein ist unsere derzeitige bundesweite Kampagne "Solidarische Reformpolitik", mit der wir über die Demonstrationen am 21. Oktober hinaus den Sozialstaat schützen und reformieren wollen. Wir sind als IG Metall Teil der Lösung. Und diesen Weg gehen wir weiter.

Die Politik, die uns hilft, müssen wir selber machen

Insofern ist es erforderlich, den Fokus der gewerkschaftlichen Arbeit zu erweitern. Natürlich hat die IG Metall schon bisher auf die veränderten Handlungsfelder reagiert. Wir benötigen aber ein strukturelles Konzept und einen politischen wie operationellen Gegenentwurf zu den zunehmenden Ausgrenzungstendenzen. Unsere Aufgabe ist es, die durch Solidarität erreichten institutionellen Sicherheiten auch auf die weißen Flecken zu übertragen. Ob Ingenieur, Fachkraft oder Hilfskraft, ob fest oder befristet, ob im Kernunternehmen oder in einer Randbelegschaft - immer geht es darum, Teilhabe zu schaffen und Ausgrenzung zu verhindern.

Dies wird uns nur gelingen, wenn sich die gesellschaftliche Politik ändert und wir darüber hinaus den betroffenen Menschen einen neuen Rahmen geben. Einen Rahmen, in dem sie selbst, gemeinsam mit der IG Metall, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern. Stellvertretend wird das niemand erreichen: "Die Politik, die uns hilft, müssen wir schon selber machen." So bringt Ulla Deutgen, IG-Metall-Vertrauensfrau bei Siemens/BenQ in Kamp-Lintfort, ihre Erfahrungen der letzten Wochen auf den Punkt.

 


Zum Weiterlesen
IG-Metall-Vorstand: Prekäre Arbeit - Neue Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für die Interessenvertretung. Eine Arbeitsmappe des Projektes Gute Arbeit. Oktober 2006. Als Download unter www.igmetall.de/gutearbeit

Ulrich Brinkmann/Klaus Dörre/Silke Röbenach gemeinsam mit Klaus Kraemer und Frederic Seidel: Prekäre Arbeit - Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2006

 


Ausbildung
* Für fast 1,4 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren gab es in den vergangenen Jahren keinen Zugang zu Berufsausbildung und erfolgreichem Berufseinstieg.

* Fast 50 000 Jugendliche bleiben in diesem Jahr ohne Ausbildungsplatz, die Jugendlichen in schulischen Warteschleifen nicht mitgezählt.

Minijobs
* 800 000 Minijobber arbeiten allein im verarbeitenden Gewerbe

Befristung
* 18,8 Prozent der unter 30-Jährigen im Organisationsbereich der IG Metall arbeiten als befristet Beschäftigte - das sind 60 Prozent aller befristet Beschäftigten in diesem Bereich.

* In NRW waren 2003 bereits mehr als 50 Prozent der Erwerbstätigen unter 24 Jahren befristet beschäftigt.

Leiharbeit
* 5,5 Prozent der unter 30-Jährigen im Organisationsbereich der IG Metall sind als Leiharbeitnehmer tätig.

* 14 Prozent der Erwerbstätigen (5,4 Millionen Menschen) zählen zur "Zone des Prekariats", als Leih- und Zeitarbeiter, Beschäftigte mit befristetem Vertrag, unfreiwillig verringerter Arbeitszeit und weit unterdurchschnittlichem Lohn.

Niedriglohn
* Etwa 17,4 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen sind im Jahr 2001 Niedriglohnbezieher - im Jahr 1997 waren es 15,8 Prozent.





"Ich bin kein Arbeitnehmer zweiter Klasse"

Wegen der hohen Fluktuation kommen die Gewerkschaften nur schwer an prekäre Zielgruppen wie Leiharbeiter heran. Doch bei den Edelstahlwerken Südwestfalen sieht die Welt besser aus als anderswo.


Von Christoph Mulitze
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf.


Uwe Henning erntete Kopfschütteln. Mit 42 Jahren eine unbefristete Stelle als Lkw-Fahrer zu kündigen, um einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma anzutreten - auf viel Verständnis bei seinen Arbeitskollegen stieß er damit nicht. "Ich wollte wieder geregelte Arbeitszeiten und hatte seit fünf Jahren vergeblich versucht, in meinem alten Beruf als Zerspanungsmechaniker unterzukommen", sagt Henning, der oft rund um die Uhr unterwegs war.

Als ihm die Zeitarbeitsfirma Fairflex GmbH in Siegen im September 2005 einen Vertrag anbot, griff er zu. Seit einem Jahr arbeitet er bei der Entleihfirma Edelstahlwerke Südwestfalen GmbH (EWS) und hofft, dort bald in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden.

"Das ist ein typischer Fall. Immer mehr Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, finden den Jobeinstieg über die Zeitarbeit", sagt Hartwig Durt, IG-Metall-Bevollmächtigter in Siegen. Von 1980 bis 2005 hat sich die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland von 47 000 auf 453 000 mehr als verzehnfacht. Allein 2005 wurden 738 000 neue Leiharbeitsverhältnisse geschlossen und 724 000 beendet. "Wir standen lange auf dem Standpunkt, dass Leiharbeit verboten gehört, und haben uns deshalb nicht um diesen Bereich gekümmert", räumt Jörg Weigand, Gewerkschaftssekretär beim IG-Metall-Bezirk NRW, Versäumnisse in der Vergangenheit ein.

Allerdings habe sich auch die Branche gewandelt: Viele Leiharbeitsfirmen stünden nicht mehr in der Schmuddelecke, weil sie den seit Anfang 2004 geltenden Tarifvertrag zwischen dem DGB, dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) anwenden. In Nordrhein-Westfalen hat die IG Metall akzeptiert, dass Leiharbeit nicht nur existiert, sondern sogar boomt. "Die Frage, die sich stellt: Wie gehen wir als Gewerkschaft damit um?", so Weigand weiter.

Das Problem für die IG Metall beginnt schon bei der Ansprache, weil die Zeitarbeitnehmer schwer zu erreichen sind: Sie kennen sich untereinander kaum, sind an unterschiedliche Betriebe entliehen, die zu verschiedenen Branchen gehören und räumlich oft weit auseinanderliegen. Der Organisationsgrad ist gering, wobei konkrete Zahlen fehlen, da die Fluktuation so hoch ist: Wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dauert jedes zweite Arbeitsverhältnis in der Zeitarbeitsbranche nur zwei Monate.

Gerade einmal 13 Prozent aller Leiharbeiter waren 2003 ein Jahr oder länger ununterbrochen beim selben Zeitarbeitsbetrieb beschäftigt. Weigand: "Wir kommen praktisch nur über die Betriebsräte der Entleihfirmen an die Zeitmitarbeiter." Deshalb, so der Gewerkschafter, müsse die Betriebsratsarbeit, die bisher ausschließlich auf die Stammbelegschaft zielte, erweitert und der Begriff ‚Betrieb‘ neu definiert werden.

Das liege auch im Interesse der regulären Belegschaft, die vom Arbeitgeber mit dem Hinweis auf die Zeitarbeiter unter Druck gesetzt werde. "Nur wenn die Arbeitsverhältnisse im Unternehmen einheitlich sind, lässt sich die Gefahr eindämmen, dass reguläre Jobs durch billige Zeitarbeit verdrängt werden", so Weigand. In einem zweiten Schritt will die IG Metall mit den Arbeitgebern die Bedingungen für Zeitarbeit klären. Das kann etwa über Betriebsvereinbarungen ablaufen.

Auch die Zeitarbeitsfirmen selbst hat die IG Metall im Visier. Erst bei wenigen, vor allem großen Unternehmen gibt es Betriebsräte. Das soll sich ändern. "Wir müssen dafür sorgen, dass die gesamte Branche, was die Arbeitsbedingungen und die Mitbestimmung betrifft, in unserem Jahrhundert ankommt", nennt Weigand als Ziel. Das größte Problem ist dabei die Kontinuität. Wegen der starken Fluktuation ist es oft unmöglich, in Zeitarbeitsfirmen Betriebsräte zu wählen, die während der gesamten Wahlperiode dem Unternehmen erhalten bleiben. Die Folge: Wo es Betriebsräte gibt, bestehen diese oft aus arbeitgebernahen Verwaltungsmitarbeitern.

400 Leiharbeiter haben bereits unbefristete Verträge bekommen

Der Betriebsrat der EWS - des Unternehmens, bei dem Uwe Henning jetzt als Zerspaner arbeitet - geht nach Ansicht der IG Metall vorbildlich mit Zeitarbeitnehmern um. "Dort hat man begriffen, dass eine Spaltung der Belegschaft niemandem dient - außer vielleicht dem Arbeitgeber", sagt Durt. Seit 1998 werden bei EWS regelmäßig Zeitarbeitnehmer beschäftigt. "Damals gehörten wir zu ThyssenKrupp und mussten jede Vakanz bei der Unternehmensmutter begründen. Sie hat uns nur als Randgeschäft betrachtet und viele geplante Einstellungen abgelehnt", sagt der EWS-Betriebsratsvorsitzende Roland Schmidt.

Bei Arbeitsspitzen wurde auf Leiharbeiter gesetzt, und diese Tradition hat sich unter dem neuen Besitzer Schmolz+Bickenbach fortgesetzt. 125 Leiharbeiter sind zurzeit bei EWS beschäftigt, die Stammbelegschaft liegt bei etwa 1000 Mitarbeitern. "Unser Ziel ist, so viele Leiharbeiter wie möglich in feste, unbefristete Arbeitsverhältnisse zu übernehmen", sagt Schmidt. Dass dies gelingt, beweisen die Zahlen: Seit 1998 haben etwa 400 Leiharbeiter einen unbefristeten Vertrag bei EWS erhalten. Auch in diesem Jahr waren es wieder 40.

Der Betriebsrat hat gleiche Löhne für gleiche Arbeit durchgesetzt

"Ich bekomme von den Kollegen nicht zu spüren, dass ich für sie ein Arbeitnehmer zweiter Klasse wäre. Ich wurde von Beginn an akzeptiert", sagt Henning. Selbst beim Gehalt ist er als Leiharbeiter gleichgestellt, obwohl er laut Zeitarbeitstarifvertrag deutlich weniger verdienen müsste: Der Betriebsrat hat durchgesetzt, dass bei EWS für gleiche Arbeit gleicher Lohn gezahlt wird - unabhängig davon, ob jemand zur Stammbelegschaft gehört oder nicht. Der Lohn, den EWS an die Verleihfirma Fairflex überweist, wandert ohne Abzug aufs Konto des Zeitarbeitnehmers.

Der besondere Umgang mit Zeitarbeit zeigt sich auch bei der unkonventionellen Rekrutierung: EWS sucht die Kandidaten in Bewerbungsgesprächen selbst aus. Wer gefällt, wird zu Fairflex geschickt, um den Vertrag zu unterschreiben. "Kranfahrer und Leute mit Staplerschein, insbesondere wenn sie jung sind, haben gute Chancen", sagt Schmidt. Denn wenn Stammmitarbeiter in den Ruhestand gehen, rücken bewährte Zeitarbeiter nach. So nutzt EWS die Zeitarbeit zur kontinuierlichen Verjüngung der Stammbelegschaft.

Trotz gleicher Bezahlung werden die Arbeitnehmer auf Zeit nicht komplett gleich behandelt. Bei Krankheit zum Beispiel wird der Lohn nur nach Zeitarbeitstarif weitergezahlt, den Leiharbeitern stehen statt 30 nur 22 Urlaubstage zu, sie haben keine Freischichten, erhalten kein Weihnachts- und Urlaubsgeld, und auch ihr Arbeitszeitkonto ist ungünstiger und weniger flexibel. Dass sich die Leiharbeiter bei EWS trotzdem voll integriert fühlen, liegt an der gelebten Solidarität.

Die zeigte sich beispielhaft im Frühjahr 2006, als die festen Mitarbeiter erstmals am Unternehmensergebnis beteiligt wurden: 936 Euro sollte es pro Kopf geben. Schmidt: "Wir haben jedem davon 30 Euro abgezogen. Das ergab insgesamt 30.000 Euro, die auf alle Leiharbeiter verteilt wurden. Schließlich haben sie am Ergebnis auch mitgewirkt." Nur etwa zehn Mitarbeiter, so Schmidt, hätten gemurrt. "Aber die habe ich daran erinnert, wo sie hergekommen sind. Denn sie waren auch mal Leiharbeiter."

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