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Magazin Mitbestimmung

: Wir brauchen Mindeststandards

Ausgabe 03/2007

Die Gewerkschaften sollten die Chancen nutzen, die der Bericht der Biedenkopf-Kommission bietet. Doch brauchen wir für Verhandlungen über Mitbestimmungsmodelle eine Auffanglinie.



Von Hubertus Schmoldt
Der Autor ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.


Am 20. Dezember 2006 überreichte Kurt Biedenkopf der Bundeskanzlerin Angela Merkel das Gutachten der Wissenschaftler in der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung. Fast auf den Tag genau hatte zwei Jahre zuvor die IG BCE vorgeschlagen, eine Bestandsaufnahme zur Mitbestimmung zu machen.

Wir hatten auf unserer Jahrespressekonferenz im Dezember 2004 angeregt, angesichts der unternehmerischen Optionen, europäische Aktiengesellschaften zu bilden und grenzüberschreitend zu fusionieren, eine Kommission zu bilden, um die Mitbestimmung zukunftsfest zu machen. Durch den inzwischen möglich gewordenen Wechsel der Rechtsformen oder durch die Anwendung der Fusionsrichtlinie der EU besteht die Gefahr, dass die deutsche Mitbestimmung ausgehöhlt werden könnte. 

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm im Frühjahr 2005 diese Anregung auf. Heute muss man sagen: Die Zielsetzung der Kommission wurde nicht erreicht. Es fehlen noch immer für die Mitbestimmung auf europäischer Ebene Mindeststandards. Noch immer muss die schleichende Auszehrung der Mitbestimmung verhindert werden, und hierbei müssen auch die Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden. Die Mitbestimmung muss in Zeiten der Globalisierung weiterentwickelt werden.

Arbeitgeberverbände verhindern Modernisierung

Die Zielsetzung der Kommission wurde nicht erreicht, weil sich die Teilnehmer der Mitbestimmungskommission nicht auf ein Modell einigen konnten. Oder präziser: Die Arbeitgebervertreter in der Kommission zogen sich in den Gesprächen auf eine ideologische Position zurück. Sie waren es auch, die eine Einigung verhindert haben. Die Arbeitgebervertreter in der Kommission sind dafür verantwortlich, dass eine große Chance zur Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung vertan wurde. Eine einmütige Stellungnahme hätte der Mitbestimmung auf Jahre durch den Konsens von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften Legitimation verleihen und die Entwicklungschancen optimieren können.

Im Nachhinein gesehen kann die Haltung der Arbeitgeber nicht wirklich überraschen. Im Jahr 2004 nannte der damalige BDI-Präsident Rogowski die Unternehmensmitbestimmung einen "Irrtum der Geschichte". Dies war die Zeit, als die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände einen Generalangriff gestartet hatten. BDI und BDA wollten den Einfluss der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten zurückdrängen. Am liebsten auf null

Das hat sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert. Noch im vergangenen Jahr, während der Arbeit der Biedenkopf-Kommission, hat Manfred Gentz - er war Kommissionsmitglied für die Arbeitgeber und ehemaliges Vorstandsmitglied der DaimlerChrysler AG - auf dem 66. Deutschen Juristentag die Mitbestimmung grundsätzlich in Frage gestellt: "Weder das Sozialstaatsprinzip noch der Demokratiegedanke noch die Würde des Menschen verlangen zwingend die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat.

Jedenfalls ist eine Parität wie nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 oder gar eine Mitbestimmung nach dem Montanmodell nicht erforderlich." Tatsächlich sind es die Ansichten von Herrn Gentz, die mit der Würde des Menschen, Bestandteil des Grundgesetzes, nicht vereinbar sind. Ohne die Mitwirkung, Mitgestaltung und Mitbestimmung kann ich mir die Würde des Menschen im Betrieb nicht vorstellen.

Der Mehrheit der Arbeitgeber-Verbandsvertreter geht es nur um ein Ziel: die Entmachtung der Gewerkschaften und der Betriebsräte. Wenn die Gewerkschaften sich dagegen wehren und für die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung engagieren, müssen sie sich mit den ständig wiederholten und publizierten Behauptungen der Arbeitgeber auseinandersetzen und sie widerlegen. So kritisieren die Gegner der Mitbestimmung, dass sich die Mitbestimmung mit der wirtschaftlichen Rationalität und dem Interesse der Unternehmer, Gewinne zu erwirtschaften, nicht vereinbaren lasse.

Oder sie kritisieren, dass die Mitbestimmung Innovationen hemme oder dass Investitionsentscheidungen ausländischer Konzerne eher an Deutschland vorbeigelenkt würden. All diese Vorwürfe sind haltlos. Die Biedenkopf-Kommission hat diese Behauptungen geprüft und als nicht stichhaltig zurückgewiesen. Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse des Berichts.

Schritte, um die Mitbestimmung zu entwickeln

Gewerkschaften müssen systematisch Aufklärung in Fragen der Mitbestimmung betreiben und sich stark machen für die Beseitigung von Schwächen der Mitbestimmung. Dafür können wir das Gutachten der Wissenschaftler in der von Kurt Biedenkopf geleiteten Kommission nutzen. Wir sollten den Blick nach vorne richten und uns Gedanken darüber machen, wie die Mitbestimmung weiterentwickelt werden kann.

Als Gewerkschafter ist für mich die Mitbestimmung zu allererst eine Wertentscheidung für die Würde des Menschen. Mitbestimmung ist Ausdruck und Eckpunkt unserer realen und realisierbaren Vorstellungen der Wirtschaft, in der der Mensch Träger und Gestalter der gesellschaftlichen Ordnung ist.

Die Vorteile der Mitbestimmung lassen sich nach meiner Überzeugung noch weiter ausbauen, denn Arbeitnehmerbeteiligung schafft nicht nur ein hohes Maß an Arbeitsfrieden. Innovationen, Forschung, die Entwicklung und Produktion von neuen Produkten setzen voraus, dass die Mitarbeiter ernst genommen und beteiligt werden. Unternehmen, die es verstehen, menschliche Talente zu fördern und zu entwickeln, werden schneller und damit vorne sein.

Wertschätzung und Würdigung ihrer Persönlichkeit werden die treibenden Produktionsfaktoren sein, ergänzt durch intelligente und gesicherte Beteiligung am Unternehmenskapital. Eine gute Unternehmenskultur ist nach meiner Auffassung eine beteiligungsoffene Unternehmenskultur. Die Voraussetzungen dafür sind besser denn je, denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind zunehmend qualifizierter und verantwortungsbewusster.

Mitbestimmung fördert Innovationen, und dies kann positive arbeitsmarktpolitische Effekte haben, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser qualifiziert und ausgebildet werden und sich permanent weiterbilden. Dazu tragen wir nicht zuletzt durch eine Tarifpolitik bei, die flexibel und leistungsfähig ist.

Es gibt Standards und Mindeststandards
 
Das Mitbestimmungsgesetz für ein Verhandlungsmodell zu öffnen, das fordern die Arbeitgeberverbände BDA und BDI und so steht es in ihrem Bericht "Mitbestimmung modernisieren" vom November 2004. Im Fall scheiternder Verhandlungen sollte nur noch ein Drittel der Aufsichtsratssitze durch Vertreter der Beschäftigten besetzt werden dürfen.

Hier haben sich die wissenschaftlichen Mitglieder der Biedenkopf-Kommission klar für das geltende Gesetz als Rückfalloption ausgesprochen. Und sie empfehlen dem Gesetzgeber, die Unternehmensmitbestimmung behutsam für dezentral ausgehandelte Lösungen zu öffnen. Dabei haben die Wissenschaftler die verhandelbaren Regelungsfelder auf drei Bereiche begrenzt, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften Abweichendes vereinbaren können: auf die Gestaltung der Mitbestimmung in von der Konzernmutter beherrschten Unternehmen; bei der Größe der Aufsichtsräte und bei der Integration der Vertreter ausländischer Belegschaftsteile in die Arbeitnehmerbänke der Kontrollgremien.

Ich sehe dort Anknüpfungspunkte. Dennoch will ich grundsätzlich klarstellen: Die paritätisch besetzte Mitbestimmung bleibt eine unverzichtbare Position. Darüber hinaus gibt es aus Sicht der IG BCE unverzichtbare Mindeststandards:
* eine Mindestgröße des Aufsichtsrats von zwölf Mitgliedern einschließlich der Gewerkschaftsvertreter auf der Arbeitnehmerbank;

* auch die Ausschussbesetzung muss paritätisch sein;

* um der Internationalisierung der Belegschaft Rechnung zu tragen, sollen Arbeitnehmervertreter ausländischer Unternehmensteile im Aufsichtsrat vertreten sein;

* die Funktion eines Arbeitsdirektors muss beibehalten bleiben;

* das Wahlverfahren muss weiterentwickelt, sprich vereinfacht werden.

Dabei markieren Mindeststandards für uns eine Untergrenze, oberhalb derer wir die Standards setzen, also hier besteht für uns jeglicher Verhandlungsspielraum für andere und weitgehendere Lösungen. Aus meinen Aufsichtsratserfahrungen heraus kann ich sagen: Für die IG BCE ist eine Mindestgröße des Aufsichtsrats von zwölf Mitgliedern einschließlich der Gewerkschaftsvertreter auf der Arbeitnehmerbank unverzichtbar. Generell treten wir für ausreichend besetzte Aufsichtsräte ein. Denn es bedarf einer bestimmten Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern, um Sachverhalte mit Expertenwissen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beurteilen und die Qualität der Arbeit des Gremiums insgesamt zu erhöhen.

Es ist ärgerlich, wenn per se die Qualifikation der Arbeitnehmervertreter bestritten wird - dazu zählen nach geltendem Recht auch die leitenden Angestellten. Das ist mit Sicherheit nicht die Realität der Mitbestimmungspraxis. Was die betrieblichen Vertreter betrifft, so besteht ihr Vorteil nicht zuletzt darin, dass sie ein profundes Wissen über das Unternehmen, seine Geschichte und seine Probleme mitbringen. Dies ist bei bestimmten Entscheidungsprozessen sehr von Vorteil.

Was die Vorbereitung der Sitzungen betrifft, verfügt die Anteilseignerseite generell über mehr Möglichkeiten, sich zuarbeiten zu lassen, was nach meinen Erfahrungen nicht immer genutzt wird. Die Arbeitnehmer besitzen diese Möglichkeiten der Vorbereitung nicht in demselben Maße. Aber wir arbeiten als Gewerkschaften daran, die notwendige Unterstützung und Weiterbildung zu verbessern.

Auch die Ausschussbesetzung muss paritätisch sein. Die Probleme, die aktuell beim Wechsel ehemaliger Vorstandsvorsitzender in die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden diskutiert werden, würden sich nicht in dieser Schärfe stellen, wenn mehr Arbeit der Aufsichtsräte in Ausschüsse verlagert wird. Dort ist eine fundierte Bearbeitung besser möglich. Allerdings muss der Aufsichtsrat als Ganzes diese Ergebnisse diskutieren und auch die entsprechenden Beschlüsse fassen. Mit Sicherheit würde eine solche Praxis das Verständnis der Aufsichtsratsarbeit verbessern und auch die Effizienz.

Für die Internationalisierung der Arbeitnehmerbank

Die Mitbestimmung weiterzuentwickeln heißt auch, sie zu europäisieren und sie zu internationalisieren. Wir sehen sehr deutlich, dass die Internationalität der Unternehmen gewachsen ist. Selbstverständlich müssen wir diese Entwicklung in unsere Überlegungen einbeziehen. Wir sind zum Beispiel dafür, die internationale Kooperation in dieser Hinsicht zu verstärken. Bisher sind die ausländischen Belegschaften in der Regel nicht im Aufsichtsrat beteiligt. Die IG BCE ist für eine Internationalisierung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat.

Warum sollten die Belegschaften von Auslandstöchtern nicht auch im Aufsichtsrat mitbestimmen können? Unternehmen, die in anderen Ländern Beschäftigte haben, also internationalisiert sind, sollen sich auch im Aufsichtsrat auf der Arbeitnehmerbank wiederfinden. Das könnte ein wichtiger erster Schritt zur Europäisierung und Internationalisierung des Mitbestimmungsgedanken sein. Wir haben dies in einem Unternehmen beispielhaft gelöst, und zwar bei Bayer CropSience. Wir haben, weil es dafür keine gesetzliche Möglichkeit für den betrieblichen Vertreter gibt, den Franzosen ein externes Mandat zur Verfügung gestellt, das sie auch besetzt haben. Der Gesetzgeber müsste dort tätig werden.

Der Bericht der Biedenkopf-Kommission hat die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften verbessert. Wir sind gut beraten, die positive Grundaussage des Berichtes der Biedenkopf-Kommission zur Grundlage unserer Politik der Mitbestimmung zu machen. Eine solche Politik ist nicht identisch mit einer kleingeschriebenen Mitbestimmungspolitik, die sich auf die Besetzung der Mandate mit den geeigneten Kolleginnen und Kollegen beschränkt.

Eine in die Zukunft gerichtete Politik der Mitbestimmung muss auch kommunikativ in die Gesellschaft wirken und den Nutzen der Mitbestimmung verdeutlichen. Im Zentrum einer solchen Strategie sollten zwei Grundbotschaften stehen: Die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fördert das innere Gemeinwesen der Unternehmen. Und: Die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft kann und muss durch die Mitbestimmung verbessert werden. So wie Mitbestimmung Teil des Modells Deutschland ist.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Festrede der Bundeskanzlerin zur 30-Jahr-Feier des Mitbestimmungsgesetzes. Angela Merkel hat die Mitbestimmung ausdrücklich befürwortet, sie sagte: "Ich gehöre zu denen, die dies nicht in Frage stellen, sondern für eine große Errungenschaft halten. Damit darf man sagen, dass die Mitbestimmung ein nicht wegzudenkender Teil unserer Sozialen Marktwirtschaft ist, die sich in Deutschland bewährt hat." Daran sollten der DGB und die Gewerkschaften Politik und Wirtschaft messen. Es ist aussichtsreich, daran anzuknüpfen.

 



Zum Weiterlesen
Festrede von Angela Merkel
vom 30.8.2006 in: "Mehr Demokratie in der Wirtschaft", Dokumentation hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung, Einzelexemplare kostenlos bei Setzkasten, Fax 0211/408009040, E-Mail: mail@setzkasten.de

 

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