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Magazin Mitbestimmung

: Wie engagiert werben die Betriebsräte?

Ausgabe 12/2007

WSI-BEFRAGUNG Wenn die Unterstützungsleistung der Gewerkschaft stimmt, dann sind Betriebsräte auch zur Gegenleistung bereit - und werben Mitglieder im Betrieb.

Von MARTIN BEHRENS. Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im WSI der Hans-Böckler-Stiftung.

Deutsche Gewerkschaften galten lange Zeit als Ausdruck gelebter Stabilität. Während ihre amerikanischen und britischen Kollegen unter dem Druck gewerkschaftsfeindlicher Regierungspolitik in die Knie gezwungen wurden, schien deutschen Gewerkschaften selbst die Vertreibung der Sozialdemokratie von der Regierungsmacht wenig anhaben zu können. Ein Wissenschaftler wie Richard Hyman schaute fasziniert auf die Kohl-Ära, und weil ihm der Veränderungsdruck auf die Gewerkschaften vergleichsweise so gering erschien, fragte Hyman ironisch: "Mit Feinden wie diesen, wer braucht da noch Freunde?"

Noch bis in die späten 1980er Jahre konnten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften steigende Mitgliederzahlen verbuchen, und auch der Organisationsgrad veränderte sich zwischen 1960 und 1989 nur wenig. Doch mit dem Abflauen des Einigungsbooms, der noch einmal fast vier Millionen neuer Mitglieder beschert hatte, waren nun auch für die deutschen Gewerkschaften die sorglosen Jahre vorbei.

Seit 1991 findet sich in der Statistik kein einziges Jahr, in dem die DGB-Mitgliedsgewerkschaften keine Mitglieder verloren hätten, kein Jahr, in dem der Organisationsgrad nicht weiter abgesunken wäre. Noch bis in die späten 1990er Jahre bestand Hoffnung, mit Abflauen des ostdeutschen Transformationsprozesses und der Anpassung an das westdeutsche Normalniveau würden die Mitgliederverluste zu einem quasi natürlichen Ende kommen. Diese Annahme erwies sich letztlich als falsch. Nun brauchen die deutschen Gewerkschaften dringender denn je gute Freunde.

IN ERSTER LINIE DIE BETRIEBSRÄTE_ Soweit von Mitgliedergewinnung die Rede ist, geraten zwei Bereiche in den Blick, die für unterschiedliche Strategien stehen. Das sind zum einen die "weißen Flecken" in der Interessenvertretungslandschaft, also jene Betriebe und Branchen, in denen weder die Gewerkschaft selbst präsent ist, noch ein Betriebsrat existiert. Die hier verfolgten Strategien reichen von der direkten Ansprache der Beschäftigten über Gründung von Betriebsräten bis hin zu umfassenden Kampagnen. Aber es kommt auch dazu, dass Gewerkschaften Betriebe aufgeben und ihre Kräfte auf bereits erschlossene Betriebe konzentrieren.

Die Verfahren der Mitgliedergewinnung unterscheiden sich fundamental. Während bei der Neuerschließung von Betrieben und Branchen der Gewerkschaft die Schlüsselposition zukommt, steht die Gewerkschaft bei der Erschließung von Mitgliederreserven in bestehenden Organisationsstrukturen quasi in der zweiten Reihe. Denn in diesen "erschlossenen" Betrieben sind es in erster Linie die Betriebsräte, die Mitglieder gewinnen. Allein schon wegen ihrer größeren Nähe zu den Beschäftigten und deren Arbeitsplätzen sind sie für diese Arbeit prädestiniert.

Ob Betriebsräte nun auch bereit sind, diese Aufgabe zu erfüllen, ist an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Neben einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Betriebsräte selbst kommt hier einer besonderen Austauschbeziehung große Bedeutung zu. Bei diesem sozialen Tausch vermitteln Gewerkschaften den Betriebsräten das zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Sachwissen.

Dies erfolgt zum einen durch gewerkschaftliche Schulungen für Betriebsräte, zum anderen aber auch durch direkte Unterstützungs- und Beratungsdienstleistungen der örtlichen Gewerkschaften. Als "Gegenleistung" werben die Betriebsräte neue Gewerkschaftsmitglieder.

LEISTUNG UND GEGENLEISTUNG MUSS STIMMEN_ Aber wird diese Tauschbeziehung auch in Zukunft Garant dafür sein, dass gewerkschaftlich gebundene Betriebsräte für ausreichenden Mitgliedernachschub bei IG Metall, ver.di und Co. sorgen? Anlass zur Sorge ist hier der absinkende Organisationsgrad der Betriebsräte wie auch veränderte inhaltliche Schwerpunktsetzungen in der Betriebsratsarbeit. Die muss in immer kürzeren Abständen auf betriebliche Veränderungen und von außen an den Betrieb herangetragene (tarifliche) Veränderungen reagieren.

Vor diesem Hintergrund fragten wir bei der 4. WSI-Befragung 2004/2005 die Betriebs- und Personalräte (siehe Infobox), ob sie Mitglieder werben und wie sie dabei vorgehen. Von den 2000 befragten Betriebsräten gaben 49 Prozent an, dass der Betriebsrat aktiv bei der Gewinnung neuer Gewerkschaftsmitglieder ist. Hierbei zeigte sich, dass Interessenvertreter in Großbetrieben diese Aufgabe konsequenter annehmen als solche in klein- oder mittelbetrieblichen Strukturen.

Während der Anteil der werbenden Betriebsräte in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten bei deutlich über 70 Prozent liegt, kommt es insbesondere im Bereich der Kleinbetriebe mit 20 bis 49 Beschäftigten zu Einbrüchen. Hier gaben nur 38 Prozent der befragten Arbeitnehmervertretungen an, die Gewerkschaft durch aktive Mitgliederwerbung zu unterstützen. Bei der Frage nach den konkreten Werbeaktivitäten nannten die Betriebs- und Personalräte besonders häufig jene, die kein zusätzliches Engagement des Betriebsrats erfordern.

FÜNF VERSCHIEDENE WERBEMETHODEN_ So lassen sich Aktivitäten wie "Gespräche mit Nicht-Mitgliedern am Arbeitsplatz", "Aushang gewerkschaftlicher Informationen am schwarzen Brett" oder "Verteilen von gewerkschaftlichem Werbematerial" zumeist neben dem regulären Alltagsgeschäft erledigen. Andere Maßnahmen mit höherer Intensität, die besonderen Arbeitsaufwand erfordern und auch einen guten Teil strategischer Planung des Betriebsratsgremiums voraussetzen, werden entsprechend seltener genannt.

Dies gilt insbesondere für Hausbesuche bei Beschäftigten, die Bildung einer eigenen Gruppe zur Mitgliederwerbung, aber auch für spezielle Informationskampagnen für Angestellte oder Azubis. Interessant ist darüber hinaus: Wenn sich ein Betriebsrat erst einmal entschieden hat, überhaupt Mitgliederwerbung zu betreiben, wendet er im Mittel eine Handvoll (exakt 4,9) unterschiedliche Werbemethoden an.

Warum sind nun aber einige Betriebsräte aktiver als andere? Liegt dies nur an der Betriebsgröße oder spielen andere Faktoren, wie der gewerkschaftliche Organisationsgrad oder gar die Zugehörigkeit zu einem bestimmten gewerkschaftlichen Organisationsbereich, eine Rolle? Wie hängen diese Faktoren zusammen? Erklärt die Betriebsgröße überwiegend den Organisationsgrad oder kommen noch andere Faktoren ins Spiel?

Antworten auf diese Fragen liefert eine statistische Analyse, welche eine Reihe signifikanter Einflüsse zu Tage förderte. So steigt die Bereitschaft der Betriebsräte, aktiv neue Gewerkschaftsglieder zu werben, mit der Betriebsgröße und gleichzeitig mit dem Organisationsgrad des Betriebes. Der Organisationsgrad ist auch dann ein eigenständiger Faktor zur Erklärung der Werbeaktivitäten, wenn man die Betriebsgröße statistisch ausblendet ("kontrolliert").

In ähnlicher Weise kommt auch der Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Vertrauensleuten ein eigenständiger Einfluss zu. Dort wo es Vertrauensleute gibt, erweitern sie den Handlungsspielraum des Betriebsrats und verbessern somit dessen Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitgliederwerbung.

WERBEBEREITSCHAFT STEIGERN_ Die Gewerkschaften können dazu beitragen, die Werbeneigung der Betriebsräte zu erhöhen. So steigt die Werbeneigung der Betriebsräte nachweislich dann, wenn diese die jeweilige Unterstützung durch die Gewerkschaft positiv bewerten. Die Idee des "sozialen Tauschs" zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft scheint also mehr zu sein als eine reine Floskel.

Sind Betriebsräte mit der Gegenleistung zufrieden, werden sie eher aktiv, und zwar unabhängig von der Frage, wie gut das Betriebsratsgremium gewerkschaftlich organisiert ist, wie viele Beschäftigte der Betrieb hat, und von welcher Gewerkschaft er organisiert wird. Allerdings ist dabei nicht gleichgültig, welche Gewerkschaft einen Betrieb organisiert, denn im Vergleich zu ver.di (Referenzgruppe) vermögen es die IG Metall, IG BCE und NGG besser, ihre Betriebsräte zu Werbeaktivitäten zu bewegen.

Nun wäre es kühn zu behaupten, dass allein eine intensivere Mitgliedergewinnung durch Betriebsräte die deutschen Gewerkschaften aus ihrem Dilemma befreien würde. Allerdings wäre es fatal, auf eine solche Strategie zu verzichten. Denn insbesondere die beschäftigungsstarken Großbetriebe verfügen in ihrer überwiegenden Mehrheit über aktive Betriebsräte, so dass in der Summe fast die Hälfte der Beschäftigten in der Privatwirtschaft potenziell über die Betriebsräte zu erreichen ist. "Potenziell" deshalb, weil dies voraussetzt, dass sich diese der Mitgliederwerbung annehmen.

Die Ergebnisse der WSI-Befragung deuten darauf hin, dass Gewerkschaften selbst einiges dazu tun können, um diese Bereitschaft zu fördern: über die Unterstützung aktiver Vertrauensleutearbeit, aber auch durch kompetente Betreuung und Unterstützung der Betriebsräte.


WSI BETRIEBSRÄTE-BEFRAGUNG
Seit 1998 befragt das WSI regelmäßig Betriebs- und Personalräte zu ihrer Interessenvertretungsarbeit, der Tarifpolitik, der betrieblichen Beschäftigungssituation und anderen Themen. Die hier zu Grunde liegende Betriebsrätebefragung 2004/2005 basiert auf einer Stichprobe aus der Betriebsdatei der Bundesagentur für Arbeit. Telefonisch befragt wurden im Auftrag des WSI durch Infas (Bonn) 2000 Betriebsräte. Die Ergebnisse sind repräsentativ für alle betriebsratsgebundenen Betriebe in Deutschland mit mehr als 20 Beschäftigten.

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