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Magazin Mitbestimmung

: Wie arbeiten die Bio-Beschäftigten?

Ausgabe 09/2008

BIO-LEBENSMITTEL Passen Gewerkschaften und Mitbestimmung zum Öko-Bäcker? Viele Produkte kommen aus Kleinbetrieben. Ihr Image ist exzellent, aber die aber die Löhne liegen meist auf dem Niveau konventioneller Erzeuger.

Von ANDREAS MOLITOR, Journalist in Berlin/Foto: Michael Hughes

Die ersten Septembertage waren nass gewesen nach einem August, in dem es schon viel zu viel geregnet hatte. Aber dann kam der Sommer doch noch einmal zurück nach Brodowin, einem Dorf in der Uckermark, nordöstlich von Berlin. Jetzt mussten alle ran für die Ernte. "Da hätte es kein Halten mehr geben dürfen und keinen Feierabend", erinnert sich Ludolf von Maltzan, seit zwei Jahren Inhaber des Ökodorfes Brodowin, eines Bio-Bauernhofes, der nach den strengen Richtlinien des Demeter-Verbandes wirtschaftet.

Er forderte vollen Einsatz auf den Feldern, sieben Tage die Woche, wenn nötig bis Mitternacht. Die anderen Bauern in den umliegenden Dörfern machten es schließlich genauso. "Wenn man nicht jede Stunde trockenen Wetters ausnutzt", sagt von Maltzan, "verdirbt das Getreide auf den Feldern." Doch die Leute von der Erntebrigade, alle schon jenseits der 55, pochten auf ihre Arbeitszeiten und wollten abends pünktlich um sieben Feierabend machen. Von Maltzan ordnete die Mehrarbeit schließlich an. Daraufhin begann es im Dorf, leise gegen Ludolf von Maltzan zu rumoren.

Man müsste vielleicht einen Betriebsrat gründen, raunte ein Dörfler, damit der dem neuen Herren mal klarmacht, dass man mit altgedienten Mitarbeitern nicht nach Gutsherrenart umspringt. Ein Jahr später hat das Ökodorf Brodowin immer noch keinen Betriebsrat - genauso wenig wie die anderen landwirtschaftlichen Betriebe der Umgebung. Es gab keine Versammlung, keinen Wahlaufruf. Dieses Jahr im Mai gab es eine Lohnerhöhung "im einstelligen Bereich", wie von Maltzan sagt. Nun herrscht wieder Frieden im Dorf. Man kann sagen, der Chef ist froh, dass die Sache sozusagen im märkischen Sande verlaufen ist.

EIN BAUER ORIENTIERT SICH AM ANDEREN_ Bio liegt im Trend. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der Verbraucher, die sich ökologisch Korrektes in den Einkaufswagen legen. Das ist gut für die Gesundheit und gut fürs Gewissen. Mit einem jährlichen Umsatz von fast fünf Milliarden Euro ist die vor 20 Jahren noch belächelte Öko-Branche zu einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor herangewachsen. Die rund 22?000 zertifizierten Bio-Betriebe in Deutschland - von der Erzeugung auf dem Bauernhof über die Weiterverarbeitung und den Großhandel bis zum Verkaufsregal im Bioladen oder -supermarkt - bieten nach Schätzungen zwischen 130?000 und 160?000 Arbeitsplätze.

Nur wenig ist allerdings über die Bedingungen bekannt, unter denen Beschäftigte in deutschen Landen Bio-Produkte erzeugen und verkaufen. Welchen Lohn erhält die Melkerin im Kuhstall des Biobauern? Zahlt der Biobäcker eigentlich Zuschläge für Nachtarbeit? Wird die Kassiererin im Bio-Supermarkt nach Tarif bezahlt? Steht sie besser da als ihre Kollegin bei Lidl? Viele arbeiten aus Überzeugung in Bio-Betrieben - aber können sie sich die Waren, die sie dort verkaufen, von ihrem Lohn eigentlich leisten?

Zurück nach Brodowin. Natürlich weiß Ludolf von Maltzan, dass es für Beschäftigte in der Landwirtschaft einen Tarifvertrag gibt. Allerdings schaut er da nicht regelmäßig rein. Soweit er es überblicken kann, zahlt er seinen 65 fest angestellten Mitarbeitern ungefähr das Gleiche wie die anderen Bauern in der Gegend. "Die Löhne in der Landwirtschaft sind niedrig", räumt er ein. Vier polnische Saisonkräfte, gute Arbeiter, die er im letzten Jahr noch beschäftigt hat, sind in diesem Jahr nicht mehr gekommen.

"Sie zahlen zu wenig", richteten sie von Maltzan aus - und gingen dieses Jahr nach Stuttgart. Bestimmte Gemüsesorten, Bundmöhren beispielsweise, wo das gesamte Jäten von Hand geschieht, können die Brodowiner Ökodörfler sowieso nur anbauen, weil der Lohn für die Saisonkräfte von der Arbeitsagentur gestützt wird.

Von Maltzan hat versucht, im Alleingang so etwas wie soziale Gerechtigkeit herzustellen. Zusätzlich zum Lohn erhalten die Mitarbeiter jeden Monat einen Warengutschein, den sie im Hofladen einlösen können. Der Ökodorf-Chef legt Wert darauf, dass seine Arbeiter sich die eigenen Produkte wenigstens hin und wieder leisten können - und gewährt zusätzlich 20 Prozent Rabatt auf das gesamte Angebot im Hofladen. Auch empfand er das traditionelle Lohngefälle zwischen Ackerbau und Kuhstall als ungerecht.

Als er nach Brodowin kam, verdienten Melker, Fütterer und Herdenmanager weniger als beispielsweise die Traktoristen auf den Feldern. "Dabei erfordert der Umgang mit Tieren mindestens so viel Fingerspitzengefühl wie die Feldarbeit", befand von Maltzan. Jetzt ist das Lohnniveau im Kuhstall das gleiche wie auf dem Acker. Bei den jährlichen Lohnerhöhungen orientiert er sich an den Vorschlägen seiner Bereichsleiter - und am Ergebnis des vergangenen Geschäftsjahres. Es kann ja nur verteilt werden, was zuvor erwirtschaftet wurde.

HARTER PREISWETTBEWERB_ In den Großstädten liefern sich Supermarktketten wie Basic, Alnatura oder Bio Company mittlerweile einen harten Wettbewerb um jeden Bio-Kunden - einen Wettbewerb, der nicht zuletzt über den Preis geführt wird. "Die Kunden wollen zwar nachhaltig erzeugte Produkte", sagt Hubert Bopp, Geschäftsführer der Berliner Bio-Supermarkt-Kette Bio Company, "aber sie erwarten von uns Preise wie bei Edeka oder Kaiser's."

Je preisbewusster die Kunden werden, desto enger ist der Spielraum für kräftige Lohnerhöhungen oder Gehälter über Tarif. Zwar können Biobauern für Milch, Käse und Getreide höhere Preise verlangen als konventionelle Landwirte, allerdings sind auch ihre Kosten höher, weil viele Arbeiten von Hand erledigt werden müssen und die Erträge geringer sind. So ist dann in punkto Lohn nicht mehr drin als beim Nachbarbauern, der seine Felder mit der chemischen Keule heimsucht.

Den Unternehmen ist das Ganze merklich unangenehm. Sie reden nicht so gern darüber, wie sie es mit der Mitbestimmung halten und ob sie Tariflöhne zahlen. Viele befürchten einen Schaden fürs Image. Am Ende denken die Leute noch, dass die Kühe es zwar gut haben, die Arbeitskräfte aber gehalten werden wie einst Magd und Knecht. Viele Öko-Unternehmer verstehen überhaupt nicht, wie jemand auf die Idee kommen kann, dass bei ihnen in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen andere Maßstäbe gelten könnten als anderswo. "Wir sind hier mitten in der Pampa, da können wir nicht Löhne wie in Hamburg bezahlen", sagt eine Bio-Bäuerin aus der Lüneburger Heide.

TERRA INCOGNITA_ Für die Gewerkschaften sind weite Teile der Öko-Branche immer noch Terra incognita. Bauernhöfe sind traditionell keine Brutstätten gewerkschaftlichen Gedankenguts, Betriebsräte gibt es nur vereinzelt in Großbetrieben. Aber auch in ökologisch arbeitenden Molkereien, Bäckereien und fleischverarbeitenden Betrieben hat die organisierte Mitbestimmung bislang kaum Fuß fassen können. Gewerkschaftssekretäre kennen die Lage in vielen Öko-Betrieben nur vom Hörensagen.

Und das Filtrat ist nicht eben ermutigend: "Wo Ethik draufsteht, ist nicht unbedingt Ethik drin" - so fasst ver.di-Einzelhandelsexperte Ulrich Dalibor seine Erkenntnisse zusammen. Die Skepsis mancher Öko-Unternehmer gegenüber der organisierten Vertretung von Arbeitnehmerinteressen hat auch historische Gründe. Viele Bio-Betriebe entstanden aus Kooperativen und Netzwerken der Umwelt- und Alternativ-Bewegung. Sie lebten Basisdemokratie ohne Chefs und Hierarchien.

Wozu soll da ein Betriebsrat gut sein, wessen Interessen soll er gegen wen vertreten, wenn es gar kein Oben und Unten gibt, wenn alle über alles entscheiden und alle das Gleiche verdienen? Die Gewerkschaften betrachteten die Alternativ-Firmen lange Zeit mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung. Die Öko-Betriebe wiederum sahen in Gewerkschaften und Betriebsräten Instrumente des ressourcenvergeudenden industriellen Systems, das sie gerade zu überwinden suchten. So entstand eine natürliche Distanz - die bis heute geblieben ist.

Auch Joachim Weckmann war überrascht, als seine Leute einen Betriebsrat gründen wollten. Alles Wichtige wurde gemeinsam besprochen, entschieden hat dann Weckmann. Seine Bäckerei "Märkisches Landbrot" zahlt deutlich über Handwerkstarif - ein 13. Monatsgehalt gibt es auch noch dazu. Doch nachdem die Demeter-Bäckerei 1992 einen Millionenkredit für den Kauf neuer Öfen und den Umzug auf das neue Firmengelände aufgenommen hatte, musste gespart werden.

Auch die Belegschaft sollte ein Opfer bringen - und auf die Bezahlung eines Teiles der Pausenzeiten, bis dato eine freiwillige Leistung Weckmanns, verzichten. Die Bäcker haben mehr als die gesetzlichen Pausenzeiten - 45 Minuten statt 30, von denen 15 Minuten bezahlt werden. Weckmann ist studierter Betriebswirt und ein Pionier der Szene. Mitte der 70er Jahre zog er als einer der ersten Bio-Bäcker in Berlin noch selbst mit einem Rucksack durch die Berliner Szene und verkaufte Früchtebrötchen, die er zu Hause gebacken hatte, in den Kneipen. Heute beschäftigt sein Unternehmen 30 Mitarbeiter.

Zwölf Bäcker und vier Bäckermeister verbacken unter anderem Weizen, Gerste und Roggen, der zum Teil aus Ludolf von Maltzans Ökodorf Brodowin stammt. Aktuell muss man das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat wohl als angespannt bezeichnen. "Ich habe nichts gegen einen Betriebsrat", sagt Christoph Deinert, der zweite Geschäftsführer. "Aber die Schulungen, die von den Betriebsräten besucht werden, sind meist auf Betriebe mit wesentlich mehr Mitarbeitern zugeschnitten."

Das angespannte Klima, so Deinert, entstehe dadurch, "dass der Betriebsrat versucht, Konzepte für große Unternehmen eins zu eins zu übertragen. Dies geht aber häufig an den Problemen vorbei und steht in keinem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Betriebes." Als Beispiel nennt er die Zahl und Dauer der Betriebsratssitzungen: "Wenn drei Leute einen halben Tag lang tagen, sind das für uns zehn Prozent des Betriebes.

Und das jede Woche." Langfristig will der Betrieb gern leistungsabhängige Lohnkomponenten einführen, was der Betriebsrat kritisch sieht.Betriebsratschefin Manuela Libbe kontert: "Von den Plänen haben wir nur erfahren, weil wir zufällig mal auf die Homepage geschaut haben. Mit uns hat niemand gesprochen." Deinert versteht die Aufregung nicht: "Dieses Vorhaben ist seit mindestens zwei Jahren im Betrieb bekannt."

"NICHT GEGNER, SONDERN PARTNER"_ Zum Glück ist die Kommunikation nicht überall so schwierig. Die Münchner Hofpfisterei, eine Bio-Bäckerei mit 900 Beschäftigten, gilt als Musterbeispiel für ein gutes Miteinander von Unternehmensführung und Betriebsrat, der, so ist zu hören, vor Jahren vom heutigen Seniorchef initiiert wurde. "Die Zusammenarbeit mit der Unternehmerfamilie ist vorbildlich", lobt Mustafa Ötz, der zuständige Sekretär der Gewerkschaft NGG.

"Die sehen den Betriebsrat nicht als Gegner, sondern als Partner." Zwar gibt es durchaus Konflikte. So wechselte das Unternehmen vor einigen Jahren das Tarifgebiet - mit der Folge, dass neue Mitarbeiter seitdem nur noch nach dem deutlich niedrigeren Handwerkstarif bezahlt werden. Aber die Unternehmerfamilie spielte mit offenen Karten. Es gab keine Geheimniskrämerei; sämtliche Zahlen lagen auf dem Tisch. "Sie sind zu uns gekommen und haben gesagt: Der Tarifvertrag ist für uns in der derzeitigen Situation ein Problem, lasst uns doch gemeinsam überlegen, ob wir einen Weg finden", erinnert sich Mustafa Ötz.

Das Resultat war ein Haustarifvertrag, der die Gewerkschaft zwar nicht glücklich macht, aber immer noch besser ist als die Flucht in die tariffreie Zone. Durch einen freiwilligen Zuschlag, berichtet Ötz, füllt das Unternehmen die Lücke zumindest zum Teil auf. "Wenn es bei allen Betrieben, die wir betreuen, so gut liefe, wären wir zufrieden."Ab vier Uhr früh fahren die Lieferwagen mit frisch gebackenen Broten vom Firmengelände des "Märkischen Landbrot", ein paar Stunden später liegen die Laibe schön aufgereiht in den Regalen der 14 Berliner Bio-Company-Supermärkte. Dort gibt es keinen Betriebsrat.

"Wir hätten das toleriert", erklärt Geschäftsführer Hubert Bopp, "aber wir haben die Sache auch nicht forciert." Sein Marketingleiter Franz Schreiber war zuvor 20 Jahre Geschäftsführer der Berliner Feinkostladenkette Butter Lindner, eines mitbestimmten Betriebs. "Ich könnte mir bei Bio Company durchaus Leute vorstellen, die dafür geeignet wären", spricht er aus langer Erfahrung im Umgang mit Betriebsräten, "aber allzu viele sind es nicht." Beim Lohn orientiert Bopp sich am Tarif für den Einzelhandel, es gibt 13 Monatsgehälter. Man sei noch ein kleines Stück weg vom Tarif, aber nicht mehr viel. "Wir schleichen uns da ran", heißt die Losung. Für das eigentliche Plus gegenüber dem konventionellen Lebensmittelhandel hält Hubert Bopp die "partnerschaftliche Atmosphäre".

Karl Thiessen, ein Münchner Unternehmensberater für die Naturkostbranche, hat die Branche untersucht und einen Durchschnitts-Stundenlohn von zehn Euro brutto für Bioladen-Mitarbeiter errechnet. In Ostdeutschland werden teilweise sogar nur vier bis sechs Euro bezahlt. Sein Fazit: "Die Naturkost-Fachgeschäfte heben sich im Gesamtlohnniveau nicht wesentlich vom normalen Einzelhandel ab." Bio Company versucht, die kleine Lücke zum Tariflohn auf andere Weise zu kompensieren. Ähnlich wie beim Ökodorf Brodowin erhält jeder Beschäftigte monatlich einen Einkaufsgutschein über 50 Euro.


 

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