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Betriebsart Bayer Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Spezialeinheit für mehr Mitbestimmung

Ausgabe 01/2023

Beim Bayer-Konzern verkürzt das Projekt AT@SWAT den Draht zwischen Betriebsrat und außertariflich Beschäftigten. Von Andreas Schulte

Bei Bayer in Leverkusen sorgt eine Truppe für mehr Gerechtigkeit, die unter gleichem Namen andernorts auf Verbrecherjagd geht: SWAT. Doch freilich räumt nicht die schwerbewaffnete Eliteeinheit der US-amerikanischen Polizei beim Chemiekonzern mit Missständen auf, sondern eine äußerst engagierte und friedliche Betriebsratsgruppe.

SWAT steht in Leverkusen nicht für „Special Weapons and Tactics“ sondern in ironischer Anlehnung an die Polizeidivision für „Spezialeinheit Werben außertariflicher Beschäftigter“. Damit wäre auch das Ziel des Projekts AT@SWAT umrissen, das in diesem Jahr für den Deutschen Betriebsrätepreis nominiert wurde. 
 
Die Idee entstand bei einer Sitzung des Gesamtbetriebsrats kurz vor der Pandemie. Der stellvertretenden Bayer-Betriebsratsvorsitzenden Martina Neumann und anderen Betriebsratsmitgliedern war aufgefallen: „Fast in der gesamten Branche nimmt der Anteil der außertariflich Beschäftigten zu – auch bei uns.” Allein am Standort in Leverkusen arbeiten von gut 7000 Beschäftigten 2500 außertariflich. 

Auch außertariflich Beschäftigte brauchen eine Stimme
Das Problem: Der Kontakt des Betriebsrats zu ihnen ist längst nicht so eng wie zu tariflich gebundenen Beschäftigten. „Aber auch die Außertariflichen sollen von der Mitbestimmung profitieren, auch sie brauchen eine Stimme”, sagt Neumann. Viele von ihnen wüssten etwa nicht, dass auch sie von den Errungenschaften der Mitbestimmung profitieren, dass fast jede Betriebsvereinbarung auch für sie gilt. „Darauf wollen wir aufmerksam machen“, sagt Neumann.

Ein Team aus zehn bereitwilligen Betriebsratsmitgliedern und Vertrauensleuten war schnell gefunden, um die Außertariflichen anzusprechen. Swatties nennt Neumann sie. „Aber wir wussten gar nicht, mit welchen Themen und auf welchen Wegen wir sie erreichen können”, erzählt Neumann. Eine externe Agentur und das Kaat-Netzwerk der IG BCE (kaufmännische, akademische und außertarifliche Beschäftigte) unterstützten die Betriebsräte deshalb bei der Suche nach den richtigen Kommunikationswegen.

So entstand unter anderem ein Internetauftritt, Seminare für Betriebsräte und ein Podcast zu AT-Themen.  „Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass wir außertariflich Beschäftigte mit Themen wie einer gewerkschaftlichen Rechtsberatung kaum ködern können. Da kennen sich die meisten von ihnen ohnehin gut aus”, sagt Neumann. „Man kriegt sie eher, indem man an ihr Solidaritätsgefühl appelliert.” Dazu führt Neumann auch regelmäßig Einzelgespräche. „Im persönlichen Kontakt ist es einfacher, als gedacht, die Außertariflichen von den Vorteilen der Mitbestimmung zu überzeugen.” Einige seien auf diesem Weg bereits in die IG BCE eingetreten.

Erfolg mit digitalen Formaten
Besonders erfolgreich sind zwei digitale Formate: Bei „BR am Mittag” tauschen sich AT-Beschäftigte in Leverkusen untereinander und mit dem Betriebsrat auf digitalem Weg aus. „Hier geht es um Themen wie Stellenbeschreibungen oder das Arbeitszeitgesetz”, sagt Neumann. Regelmäßig kommen bis zu 100 Beschäftigte zum digitalen Treffen. 

Deutlich mehr nehmen an einem konzernweiten Dialog teil. 1600 Beschäftigte verfolgten zuletzt die „AT-Dialogveranstaltung”, die freilich schon seit dem Jahr 2017 und damit vor der Gründung der SWAT-Truppe existierte. Vier Mal pro Jahr diskutieren hier Führungskräfte, Betriebsrat, Gewerkschaft und ATler. Zuletzt stieg die Zahl der Teilnehmenden noch einmal um 14 Prozent.

An die rund zweistündigen Sitzungen schließt sich eine 60-minütige Frage-Antwort-Runde an. Im Anschluss an die jüngsten Gespräche im August dieses Jahres waren es 120 Fragen, die auch anonym gestellt werden können. „Allein die Zahl der Rückmeldungen zeigt, wie wichtig Mitbestimmung auch für außertariflich Beschäftigte ist”, sagt Neumann.  

Ihre Anliegen sind vielfältig. „Vordergründig geht es oft um Geld, gerne auch in Verbindung mit der Inflation, aber auch um Leistungserbringung und am Ende um Leistungsbewertung. Wertschätzung oder Entwicklung am Arbeitsplatz sind den Beschäftigten ebenfalls wichtig”, sagt Neumann und gibt damit einen Eindruck über Bandbreite. 

Für ATler muss mit dem Ende des digitalen Dialogs der Kontakt zu den SWAT-Experten nicht abreißen. Das Team hat eine Website für Außertarifliche eingerichtet. Dort finden sie Betriebsvereinbarungen, Entgeltbänder, Aufzeichnungen der Dialogveranstaltungen und eine Liste mit Kontakten der Arbeitnehmervertretung.  „Sie wird häufig genutzt”, sagt Neumann.  

Auch deshalb gibt es für sie derzeit keinen Grund, am Projekt etwas zu ändern. „Wir wollten von Projektbeginn an als Interessenvertretung stärker von außertariflich Beschäftigten wahrgenommen werden.” Das ist gelungen. 

Weitere Informationen:

Auf unserer Übersichtseite Deutscher Betriebsrätetag

Der Deutsche Betriebsräte-Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Die Hans-Böckler-Stiftung ist Kooperationspartnerin. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxis-Beispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. In diesem Jahr wird der Preis am 10. November auf dem Deutschen Betriebsräte-Tag in Bonn verliehen. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden 12 Projekte nominiert. 

www.deutscher-betriebsraete-preis.de

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