Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Schnelle Eingreiftruppe
WERKZEUGE Auf dem Höhepunkt der Krise richtete die IG Metall eine Taskforce ein, um Betriebsräten bei Entlassungen und der Suche alternativer Wege aus der Krise helfen zu können. Von Joachim F. Tornau
Joachim F. Tornau ist Journalist in Kassel/IG Metall
Es war ein Schauerszenario. Jeder Fünfte der 132 Beschäftigten beim Bau- und Gartenprodukteanbieter ATIKA im westfälischen Ahlen sollte seinen Job verlieren. Die verbliebene Belegschaft, so verlangte es die Firmenleitung, müsse zudem auf fast eine Million Euro Lohn verzichten. Und: Es sollte künftig nur noch Einzelarbeitsverträge ohne Tarifbindung geben. Nur so, hieß es, könne die drohende Insolvenz abgewendet werden. "Da hat man einfach mit der Angst gespielt", erinnert sich Betriebsratsvorsitzender Thomas Albert-Schwarte.
Doch der Plan ging nicht auf. "Am Ende musste die Geschäftsleitung all das tun, was sie eigentlich nicht wollte", sagt der Arbeitnehmervertreter. Nach monatelangem Ringen wurde der vom Arbeitgeber gekündigte Anerkennungstarifvertrag wieder in Kraft gesetzt. Kein ATIKA-Beschäftigter musste gehen. Und der vereinbarte "Sanierungsbeitrag" der Belegschaft summiert sich auf gerade einmal 100.000 Euro. Den Erfolg kann sich auch die Taskforce Krisenintervention der IG Metall auf die Fahne schreiben. Sie organisierte einen Einsatz der Beraterfirma arbeco in dem Unternehmen und dabei wurde offenbar, dass trotz Krise und Kurzarbeit von einer bevorstehenden Pleite nicht die Rede sein konnte. "Uns Betriebsräten wäre das alleine nicht gelungen", meint der Betriebsratsvorsitzende. "Wir sind Handwerker, keine Betriebswirte."
Als beteiligungsorientiertes Beratungsunternehmen prüfte die arbeco nicht nur die Unterlagen, die die Geschäftsleitung zur Verfügung gestellt hatte, sondern griff auch auf Wissen und Erfahrung langjähriger Mitarbeiter zurück. Danach stand fest, was der Betriebsrat zwar schon vermutet hatte, aber nicht belegen konnte: Das Management hatte in seinem Sanierungsplan schlicht mit falschen Zahlen operiert. "Es sind 28 000 geleistete Arbeitsstunden unterschlagen worden", sagt Albert-Schwarte. "Das war ein Hammer."
TAUSENDE ARBEITSPLÄTZE GESICHERT_ Das Ahlener Unternehmen ist einer von mehreren Hundert Fällen, in denen die Taskforce seit ihrer Gründung im März 2009 zum Einsatz kam. Und ein durchaus typisches Beispiel, wie Jochen Schroth berichtet. Der Gewerkschafter, der beim IG-Metall-Vorstand für die schnelle Eingreiftruppe zuständig ist, hält das neue Beratungsangebot für ein Erfolgsmodell. "Die Taskforce war ein wichtiger Mosaikstein, der uns geholfen hat, im Horrorkrisenjahr die Beschäftigung in der Metall- und Elektroindustrie halbwegs stabil zu halten", bilanziert Schroth. "Sie hat mit dazu beigetragen, Tausende von Arbeitsplätzen zu sichern."
Auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise hatten die Bordmittel der Gewerkschaft nicht mehr ausgereicht, um den Betriebsräten aller in Bedrängnis geratenen Unternehmen helfen zu können. "In manchen Verwaltungsstellen gab es nicht mehr nur zwei oder drei Brandherde, sondern zehn gleichzeitig", sagt Schroth. Mit der Taskforce wollte die IG Metall Abhilfe schaffen: Ein bundesweites Netzwerk aus 60 Beratungsfirmen wurde geknüpft, um je nach Bedarf Experten für Arbeitsrecht, Betriebs- oder Personalwirtschaft in kriselnde, vor allem klein- und mittelständische Unternehmen schicken zu können. Bezahlt werden müssen diese Erste-Hilfe-Einsätze in der Regel vom Arbeitgeber - Betriebsräte haben das Recht, sich externen Sachverstands zu bedienen. In Ausnahmefällen aber können die Kosten auch übernommen werden: Rund 120 Anträge auf Finanzierung wurden bereits bewilligt. Denn zur Sicherstellung des Beratungsangebots haben Bundesarbeitsministerium und Europäischer Sozialfonds der IG Metall insgesamt zwei Millionen Euro zweckgebunden zur Verfügung gestellt.
Die Förderung des Projekts war zunächst bis März 2011 befristet. Jetzt wurde sie um ein Jahr verlängert. Von Beginn an ging es der Gewerkschaft nicht nur um die kurzfristige Krisenintervention, um Feuerwehreinsätze wie bei der ATIKA in Ahlen, sondern auch um die Durchsetzung von "Besser-statt-billiger-Strategien". Langfristige Innovationsprozesse sollen angestoßen werden, um ein Unternehmen krisenfester zu machen - und damit die Beschäftigung nachhaltig zu sichern. "Wir wollen betriebspolitische Alternativen zu einseitigen Kostensenkungsprogrammen aufzeigen", erklärt Schroth. Statt immer wieder nur über Lohnverzicht zu verhandeln, sollte man einen effizienteren Einsatz von Ressourcen einfordern. Der Materialverbrauch mache im verarbeitenden Gewerbe schließlich fast die Hälfte der Unternehmenskosten aus, Löhne dagegen nur rund 17 Prozent. "Über das größte Stück vom Kuchen reden wir aber mit dem Management bisher meist gar nicht."
BETRIEBSPOLITISCHE ALTERNATIVEN_ Das soll sich ändern. Die Taskforce bietet darum neben betriebswirtschaftlichen Analysen auch fachspezifische Beratung an über die Gestaltung von Produktionssystemen, über Logistik, Personalentwicklung oder eben Ressourceneffizienz. Und die Nachfrage wächst, wie Schroth berichtet, auch wenn Betriebsräte mitunter noch skeptisch sind und sich in eine Rolle als Co-Manager gedrängt fühlen.
Welche Chancen es birgt, sich mit derlei Fragen zu beschäftigen, zeigt das Beispiel der Franz Kiel GmbH & Co. KG im bayrischen Nördlingen. Der Hersteller von Sitzen für Busse und Eisenbahnwagen verlangte massive Zugeständnisse der Belegschaft und drohte mit der Kündigung von bis zu 90 der rund 280 Beschäftigten. "Da haben wir gesagt: In der Firma steckt noch so viel Potenzial, die sollen erst mal ihre Hausaufgaben machen", erzählt Betriebsratsvorsitzender Heinz Blank. Über die Taskforce der IG Metall kam die Beraterfirma U2 ins Unternehmen. "Die sind ein paar Tage im Haus geblieben, haben die Arbeitsabläufe beobachtet und dieselben Mängel festgestellt wie wir", sagt Blank. Probleme bei der Materialbereitstellung etwa oder zu lange Wege zwischen Arbeitsplatz und Lager. "Das hat unsere Position gegenüber der Geschäftsleitung gestärkt." Folge: In den Verhandlungen konnten die verlangten Lohneinbußen deutlich reduziert und sämtliche Entlassungen abgewendet werden. Es gibt wieder einen Anerkennungstarifvertrag, und betriebsbedingte Kündigungen sind zumindest für ein Jahr ausgeschlossen. Und: Das Management hat die Vorschläge des Betriebsrats aufgegriffen und seinerseits eine Beratungsfirma beauftragt, die sich um die Prozessoptimierung im Unternehmen kümmern soll. "Das ist durch die Taskforce angestoßen worden", meint Blank. "Ich gehe davon aus, dass das langfristig funktionieren wird."
Mehr Informationen
Die Taskforce Krisenintervention: Schnelle Hilfe, um Arbeitsplätze zu sichern. Arbeit und Innovation 2/2010 - Arbeits- und innovationspolitische Information der IG Metall. Erhältlich als Download unter http://www.igmetall.de/ (Publikationen).
Anpacken statt abwarten! Mit "Besser statt billiger"-Strategien Beschäftigung und gute Arbeit sichern. Broschüre der IG Metall, zweite, erweiterte und aktualisierte Auflage, Oktober 2010. Kostenlos zu bestellen über die Verwaltungsstellen der IG Metall oder per Mail an jochen.schroth@igmetall.de