Quelle: Anna Weise
Magazin MitbestimmungBetriebsrätepreis: Radikales Vertrauen
Bei der Volkswagen-Tochter Cariad können Beschäftigte sogar entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Sechs europäische Länder stehen bei dem Software-Unternehmen zur Wahl. Von Maren Knödl
Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Hört sich an wie ein Traum oder zumindest etwas, das sich nicht jeder erlauben kann. Bei Cariad, einer Tochterfirma von Volkswagen, ist das anders. Dort können Beschäftigte selbst entscheiden, von wo aus sie arbeiten. Die Rahmenbedingungen für Mobile Arbeit im In- aber auch Ausland sind bei dem Softwareunternehmen geregelt. Der Betriebsrat hat dazu eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) mit dem Arbeitgeber abgeschlossen, welche die Rechte beider Seiten schützen soll.
In dem jungen Unternehmen, das erst im Frühjahr vergangenen Jahres aus dem Mutterkonzern hervorgegangen ist, hatte sich bereits in den ersten Monaten ein Interessensnetzwerk unter den Beschäftigten zusammengetan. Gemeinsam wollten sich die Kollegen für die Möglichkeit mobil und auch im Ausland zu arbeiten einsetzen, und gingen offen auf den Betriebsrat zu. „Das hat uns auch später bei der Erarbeitung enorm geholfen“, sagt Britta Berlet, Betriebsratsvorsitzende von Cariad. Viele grundlegende Dinge, die jetzt in der Vereinbarung verankert sind, hatte das Netzwerk bereits vorab recherchiert. Alles habe sich aber auch sehr organisch ergeben, denn als Unternehmen, das in der Pandemie entstanden ist, sei Mobile Arbeit sozusagen von Anfang an „normal“ gewesen, so Berlet.
„Wir vertrauen den Beschäftigten“
„Für mich ist Mobile Arbeit die neue Gleitzeit“, sagt die Betriebsrätin. Die Erfahrung in der Coronazeit habe gezeigt, dass die Mitarbeitenden verantwortungsvoll mit dieser neuen Arbeitsweise umgingen. Deswegen gibt die GBV weder feste Wochen oder Tage für Mobile Arbeit vor, noch grenzt sie Aufgaben ein, die sich dafür eignen. „Wir vertrauen den Beschäftigten, dass sie selbst verantwortungsvoll entscheiden, wie sie ihre Arbeit am besten machen können“, so Berlet. Die Entscheidung über Präsenzzeiten geht so von den Führungskräften auf die Beschäftigten selbst, beziehungsweise auf deren Team über. Man könne sagen, die Radikalität diesbezüglich sei wohl der Kernpunkt der Vereinbarung, sagt sie.
Bisher können die Mitarbeiter bei Cariad nach der GBV nur in sechs EU-Ländern mobil arbeiten: Österreich, Italien, Frankreich, Spanien, Dänemark und den Niederlanden. Dort gibt es im Aufenthalts- und Arbeitsrecht keine großen Diskrepanzen und es gibt keine Schwierigkeiten wegen Aufenthaltstiteln oder Arbeitsgenehmigungen. Schon durch das Privileg der Freizügigkeit ist in der EU geregelt, dass deren Bürger in alle Mitgliedstaaten reisen und dort arbeiten dürfen. Mit der GBV werden zusätzlich die Rechte von Arbeitgeber und Arbeitnehmern geschützt.
Marktvorteil gegenüber der Konkurrenz
Das eröffnet Cariads Beschäftigten mehr Möglichkeiten als bei anderen Arbeitgebern. So könnten sie etwa vor ihren Italienurlaub noch vier Wochen Mobile Arbeit vor Ort anhängen und ihren Aufenthalt damit verlängern, erklärt Britta Berlet ein Praxisbeispiel. Das ermögliche nicht nur neue Eindrücke, die Beschäftigte mit zurück ins Unternehmen bringen, sondern mache auch den Arbeitsplatz für Bewerberinnen und Bewerber interessanter. „Als Softwareunternehmen in der Autobranche schauen wir natürlich auch immer, was die Konkurrenz macht“, so Berlet. „Tesla hat, was Mobile Arbeit angeht, da nicht so viel zu bieten.“ In geleakten E-Mails an US-Führungskräfte hatte der Tesla-Chef Mitte dieses Jahres erklärt: „Jeder, der aus der Ferne arbeiten möchte, muss mindestens (und ich meine *mindestens*) 40 Stunden pro Woche im Büro sein oder Tesla verlassen.“
Für Cariad bietet die GBV also einen Marktvorteil gegenüber der Konkurrenz. Viele wissen es zu schätzen, ihre Arbeit flexibel gestalten zu können. Bereits in den ersten Minuten nach der Bekanntmachung erreichten den Betriebsrat etliche Dankesmitteilungen aus der Belegschaft. In Zeiten Mobiler Arbeit gab es zwar keinen Applaus, aber zahlreiche Herz-Emojis, die als Reaktion in Echtzeit auf dem Teams-Desktop tanzten.
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Der Deutsche Betriebsräte-Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Die Hans-Böckler-Stiftung ist Kooperationspartnerin. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxis-Beispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. In diesem Jahr wird der Preis am 10. November auf dem Deutschen Betriebsräte-Tag in Bonn verliehen. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden 12 Projekte nominiert.