Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Planspiele zur Abschaffung der Unternehmensmitbestimmung
Die Debatte um gute Unternehmensführung wird zunehmend als Vehikel genutzt, um zu erklären: Mitbestimmung ist im Aufsichtsrat falsch platziert. Dahinter steckt eine elitäre Sicht, die besagt: Arbeitnehmer haben in den Führungsgremien nichts zu suchen.
Von Cornelia Girndt
Cornelia-Girndt@boeckler.de
Soll man die Sitzgarantien der Gewerkschaftsvertreter aufheben? Oder die Unternehmensmitbestimmung in allen Aktiengesellschaften auf eine Drittelparität absenken? Könnte man die Konzernspitze (Holding) von Mitbestimmung freistellen und Unternehmensmitbestimmung nur noch im inländischen Konzernteil zulassen? Oder besser gleich die Unternehmensmitbestimmung ganz abschaffen? Konservative Unternehmensrechts-Experten fühlen sich derzeit berufen, Szenarien zur "Modernisierung der Mitbestimmung" durchzuspielen und die politischen Realisierungschancen eines reinen Konsultationsrates zu testen, der als Ersatzgremium für die Arbeitnehmer fungieren soll.
Modernisierung als Mogelpackung
Planspiele dieser Art präsentierte Axel von Werder Ende 2003 auf einem gut besuchten Workshop in Berlin. Der Professor für Organisation und Unternehmensführung an der TU Berlin war Mitglied der Cromme-Kommission zur Corporate Governance und leitet nun sein "Berliner Netzwerk Corporate Governance", dem sechs Juristen und Betriebswirtschaftler angehören. Was diese Professorengruppe hier zur "Modernisierung der Mitbestimmung" vorlegte, ist nichts Geringeres als die Abschaffung von Mitbestimmung: die Aufkündigung des gesetzlichen Auftrages des Mitbestimmungsgesetzes '76 und der Rauswurf der Arbeitnehmervertreter aus den Aufsichtsräten.
Den Arbeitnehmer/innen bliebe reine Konsultation - das Recht, Fragen zu stellen und Stellungnahmen gegenüber dem Aufsichtsgremium abgeben zu können. Eine Mogelpackung ist dieses "neue institutionelle Design für die Mitbestimmung" allemal. Das räumten in einer emotional aufgeheizten Debatte sogar die Netzwerkprofessoren selbst ein. "Es ist keine Mitbestimmung, es ist eine reine Konsultationslösung", beschwichtigte Prof. Franz Säcker jene Kritiker, denen ein Konsultationsrat überflüssig und zu bürokratisch erscheint. Und Prof. Christine Windbichler warb um Verständnis für die Terminologie: "Es würde die Diskussion belasten, wenn man sagt, das, was wir vorschlagen, sei eine Abschaffung der Mitbestimmung."
Seit einiger Zeit kann man beobachten, wie die Angriffe auf die Unternehmensmitbestimmung zunehmen. Der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, der McKinsey-Chef, der DWS-Geschäftsführer spielen sich die Bälle zu, die auch die Vorsitzenden der Corporate Governance-Kommissionen von Zeit zu Zeit aufnehmen. Wenn auch die immer gleichen Behauptungen - Mitbestimmung sei eine Fusionsbremse, sie behindere deutsche Unternehmen an den internationalen Kapitalmärkten, schmälere die Überwachungseffizienz - weder durch Fakten noch durch wissenschaftliche Studien zu belegen sind (siehe die Tipps zum Weiterlesen). Anstatt dass die namhaften Wirtschaftsvertreter in ihren Kreisen tatkräftig wirken, um die Anteilseignerseite gegen Über-Kreuz-Verflechtungen zu immunisieren und ihrerseits für mehr Internationalität zu sorgen, wird die CG-Debatte genutzt, um mit größtenteils haltlosen Behauptungen zum Angriff auf die Arbeitnehmerbank zu blasen.
Mangel an "intellektueller Dignität"
Dabei greift man vor allem Postulate aus den USA auf, die dort im Gefolge des Enron-Skandals für eine unabhängige und qualifizierte Unternehmensaufsicht sorgen sollen. Mit diesen Versatzstücken gewappnet wird das deutsche System der mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsräte zur Fehlkonstruktion erklärt, wobei völlig außer Acht gelassen wird, dass unser System institutionell und sozialkulturell anders eingebettet ist. Zwar wird von der konservativen Fachwelt auch nicht mit Kritik an der Besetzungspraxis der Anteilseignerseite gespart. Doch scheinen auf der Kapitalseite die Mängel reformierbar und behebbar, wie Marie Seyboth, DGB-Juristin für Unternehmensrecht, auf dem Berliner Workshop nicht ohne Süffisanz anmerkte.
Der DGB hält seit Jahren eine Reform von Leitung und Kontrolle der Unternehmen für überfällig und hat seinerseits Reformbausteine vorgelegt. Doch blieb dies auf dem Berliner GC-Workshop genauso unerwähnt wie die "Grundsätze ordnungsgemäßer Aufsichtsratstätigkeit", wie sie der DGB-Bundesvorstand postuliert.
Diese Einseitigkeit ist beabsichtigt. Systemimmanente Reformschritte zur Optimierung des bestehenden Systems der Aufsichtsräte werden ausgeschlossen. So würde nach Ansicht von Axel von Werder eine weitere Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter wenig helfen, da unterstellt wird, dass für diese per se Arbeitnehmerinteressen und nicht das Unternehmensinteresse im Vordergrund stehen.
Ebenso scheide eine internationale Besetzung der Arbeitnehmerbank in den Aufsichtsräten aus, betont von Werder, "weil damit die Mitbestimmungsprobleme (mangelnde Qualifikation und Unabhängigkeit) nicht bewältigt, sondern allenfalls internationalisiert werden." Auch ein Expertenzwang würde den "Sinn der Mitbestimmung verfehlen", meint von Werder. Was durchaus richtig ist, da Mitbestimmung ein Mittel demokratischer Teilhabe und Kontrolle darstellt. Müsste man konsequenterweise also auch die Demokratie abschaffen, sobald sich herausstellen sollte, dass dem Volk die Expertise fehlt?
Just in diesem Kontext vertrat Manfred Gentz, Finanzvorstand der DaimerChrysler AG, die Ansicht: "Die Mitbestimmung trägt nicht zur effizienten Aufsichtsratstätigkeit bei, weil es zu viele Kompromissgeschäfte gibt." (Siehe dazu auch unser mit Erich Klemm, dem Konzernbetriebsrats- und stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG.)
Trotz seiner umfänglichen Kritik distanzierte sich Gentz gegenüber den Veranstaltern jedoch ausdrücklich davon, akademisch nicht vorgebildeten Arbeitnehmern die Qualifikation für ein Aufsichtsratsmandat abzusprechen. "Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind so gut involviert in die Geschäftsprozesse des Unternehmens, dass ihr Rat qualifiziert ist." Dies betonte Gentz umso deutlicher, als ihm im Laufe der Diskussion gedämmert sein muss, dass hier die "Klassengesellschaft aus der konservativen Ecke" - so DGB-Vorstand Dietmar Hexel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 18.12.2003 - ihren ideologischen Führungsanspruch anmeldet.
So hatte etwa der Tübinger Aktienrechtler Prof. Wolfgang Zöllner erklärt, Arbeitnehmern fehle für ein Aufsichtsratsmandat "die wirkliche intellektuelle Dignität"; daher müsse man "überlegen, ob man sie nicht in einem anderen Gremium unterbringen könne." "Hier wird der Grundgedanke der Mitbestimmung aufgegeben, so wie er dem Gesetz zugrunde liegt", gab Prof. Thomas Raiser von der Humboldt-Universität zu bedenken. In der Tat zielt das 76er-Mitbestimmungsgesetz darauf, Konfrontation zu überwinden, indem es Arbeitnehmer und Gewerkschaften über den Aufsichtsrat tief in die ökonomischen Sachzwänge der Unternehmen integriert und dabei Verantwortung teilt.
"Endlich kein Tabu mehr"
Ihre späte Chance wittern nun jene Mitbestimmungsgegner, die schon die Schlachten der 70er Jahre gefochten und verloren hatten: Wortreich dankten die angejährten Kämpen den Veranstaltern und dem Zeitgeist, dass "man endlich wieder ohne Tabus über das Mitbestimmungsproblem reden könne". Hocherfreut über die offenen Worte des DaimlerChrysler-Vorstandes Gentz zeigte sich auch die Kölner Handels- und Gesellschaftsrechtsprofessorin Barbara Dauner-Lieb: "Noch vor sechs Jahren hätte sich mit solchen Aussagen kein Vorstandsmitglied hervorgewagt, er wäre nicht wiedergewählt worden."
Trotz der Danksagungen, "nun wieder offen eine Debatte führen zu können, die man jahrelang nur hinter vorgehaltener Hand führen konnte", (ein Rechtsanwalt) - so richtig froh dürften die Veranstalter des Berliner CG-Netzwerkes nicht sein. Ihr Konzept zur "Modernisierung", respektive Abschaffung der Mitbestimmung wurde ziemlich zerpflückt. Die Hardliner verwarfen das Konstrukt eines Ersatz-Konsultationsrates als überflüssig und bürokratisch. Auf der anderen Seite schüttelte mancher den Kopf über den Mangel an wissenschaftlicher Seriosität und fragte die akademischen Kolleginnen und Kollegen, wie sie denn zu der Behauptung kämen, die deutsche Mitbestimmung sei nicht in ein europäisches Institutionensystem integrierbar.
Auch einige Unternehmensjuristen gaben - im kleinen Kreis - zu verstehen, dass ihnen der erklärte "fundamentale Systemwechsel", verbunden mit der Platzierung der Arbeitnehmer am Katzentisch, doch entschieden zu weit ging. Mehr Realismus mahnte letztlich auch Prof. Joachim Schwalbach vom Institut für Management der Humboldt-Universität Berlin an - er ist einer der CG-Netzwerkprofessoren: "Wer die Mitbestimmung abschaffen will", sagte er, "muss belegen, dass dadurch das Unternehmensergebnis verbessert wird."
Der Workshop
Die rund 120 Teilnehmer des Workshops "Corporate Governance und Modernisierung der Mitbestimmung" am 5. Dezember 2003 in Berlin waren Justiziare großer Unternehmen, Vertreter von Kapitalmarktinstitutionen, der Arbeitgeberverbände, Unternehmensvorstände und -berater, Rechtsanwälte und Ministerialbeamte - neben zahlreichen Aktien- und Gesellschaftsrechtlern.
Zum Weiterlesen
Folgende vier Beiträge findet man in der jeweiligen Ausgabe des Magazins Mitbestimmung sowie in unserem Internet-Portal in der Rubrik "Debatte um die Corporate Governance"
Martin Höpner: Die Argumente der Kritiker im Spiegel der Forschung, 9/2003;
Roland Köstler: Attacken gegen die Arbeitnehmerbank, 3/2003;
Dietmar Hexel: DGB-Reformbausteine 9/2003;
Matthias Müller: US-Börsenaufsicht erkennt deutsche Arbeitnehmervertreter an,
1+2/2003, S.7
Grundsätze ordnungsmäßiger Aufsichtsratstätigkeit, Arbeitshilfen für Aufsichtsräte 10 der Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2003. Kostenlos über Setzkasten, Bestellnummer 25010, Fax 0211/408009040 oder mail@setzkasten.de
Wer die "12 Thesen zur Modernisierung der Mitbestimmung" des Berliner Netzwerks zur Corporate Governance nachlesen möchte, findet sie unter dieser Adresse:
www.bccg.tu-berlin.de/main/publikationen/12-Thesen-Papier.pdf