Quelle: signum communication
Magazin MitbestimmungArbeitsrecht: Noch wird mit Wasser gekocht
Welche Rolle spielt Legal Tech in der Rechtsberatung, und was folgt daraus für Gewerkschaften und Betriebsräte? Ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt geht den Fragen nach. Von Joachim F. Tornau und Kay Meiners
Die Digitalisierung und KI-Anwendungen machen auch vor der Welt des Rechts nicht Halt. Legal-Tech-Firmen bieten Geschädigten die einfache Teilnahme an Sammelklagen an oder empfehlen sich, beim Einfordern von Fluggastrechten zu helfen. Natürlich haben sie auch das Arbeitsrecht für sich entdeckt. Die technische Disruption vermischt sich mit einer marktförmigen Konkurrenz, was weitreichende Folgen für die industriellen Beziehungen haben könnte. Daher fördert die Hans-Böckler-Stiftung ein Forschungsprojekt, das unter dem Titel „Mausklick statt Mitbestimmung?“ die Entwicklung untersucht.
Legal Technology ist weit gefasst. Unter Legal Tech 1.0 fallen etablierte Anwendungen etwa für die digitale Dokumentenverwaltung oder Spracherkennung.
Legal Tech 2.0 meint teilautomatisierte Prozesse, wie sie zum Beispiel von den Fluggastrechte-Dienstleistern eingesetzt werden..
Noch einen großen Schritt weiter ginge Legal Tech 3.0: Hier würden selbstlernende Algorithmen und generative KI die anwaltliche Arbeit ganz oder in Teilen ersetzen.
In einem 2021veröffentlichten ersten Aufsatz diskutieren die Soziologen Britta Rehder, Berthold Vogel und Birgit Apitzsch mögliche Folgen von Legal Tech für die Gewerkschaften und die Arbeitswelt. Sie werfen mit Blick auf die neuen Anbieter die Frage auf: „Richten sie sich an Beschäftigtengruppen, die bislang für die etablierten Akteure wenig relevant oder schwer zu erreichen waren? Oder konkurrieren sie mit Gewerkschaften und Betriebsräten um die gleichen Gruppen?“
Beschäftigte aus dem Dienstleistungssektor oder Migranten könnten mit Legal Tech und digitalen Angeboten besser zu erreichen sein. Das Versprechen: Die Ansprache könnte durch niedrigschwellige Angebote erleichtert werden – „etwa durch geringe Kosten, einfache Delegation der Konfliktaustragung oder die direkte Beantwortung rechtlicher Fragen vom heimischen Sofa aus.“
Die neue Technik ist kapitalintensiv und dürfte vor allem für Großkanzleien oder Finanzkonzerne interessant sein. Die Online-Tools könnten aber auch – so eine weitere Prognose – die gewerkschaftliche Rechtsberatung revolutionieren und zum Beispiel „die rechtssichere Gründung von Betriebsräten in gewerkschaftsfernen Betrieben unterstützen.“
Legal-Tech-Anbieter haben im individuellen Arbeitsrecht bisher vor allem versucht, im Kündigungsschutzrecht und bei der Erstreitung von Abfindungen Fuß zu fassen. Dies sind bisher in der Praxis oft Fälle, bei denen Gewerkschaften um Hilfe gebeten werden, sodass hier eine Konkurrenz möglich erscheint. Das könnte, so die Experten, die „etablierten Formen der Konfliktaustragung“ verändern.
Aufgrund aktueller Umfragen gibt Cathérine Momberger von der Ruhr-Universität Bochum, allerdings Entwarnung: „Die teilweise euphorischen, teilweise dystopischen Prognosen konnten wir empirisch nicht belegen“, so das Zwischenfazit der Bochumer Soziologin und ihrer Kollegen, die das Böckler-Projekt „Mausklick statt Mitbestimmung?“ inzwischen betreuen. Das Projekt läuft noch bis Mai 2024. Mehr als qualitative 60 Interviews haben die Wissenschaftler bislang geführt – mit Fachleuten aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, aus Betriebsräten und Personalabteilungen, aus Legal-Tech-Firmen, Anwaltskanzleien und Arbeitsgerichten. Hinzu kommen rund 300 Befragungen per Fragebogen.
„Die Rückmeldung war meist, dass die Standardisierung und Automatisierung im Arbeitsrecht sehr schnell an Grenzen stößt, weil die Fälle zu spezifisch sind“, berichtet Momberger. „Auch dass Unternehmen bei der Personalauswahl auf jeden Fall automatisierte Recruiting Tools nutzen werden, ist nicht ausgemacht.“ Zu groß sei die Skepsis, wichtige Entscheidungen einer Maschine zu überlassen. Auch seien Legal-Tech-Instrumente, jedenfalls noch, sehr teuer und nur schwer in bestehende IT-Landschaften zu integrieren. Sie sagt aber auch: „Der Digitalisierungsdruck ist groß. Alle sagen, dass sie sich damit beschäftigen.“
„Legal Tech 3.0 ist uns noch nicht untergekommen“, sagt Mira Kossakowski, Politikwissenschaftlerin an der Universität Bochum. Selbst 2.0-Anwendungen, seien zum Teil schon wieder auf dem Rückzug: „Die Möglichkeiten von Legal Tech, die arbeitsrechtliche Vertretung von Beschäftigten zu übernehmen, scheinen erst einmal ausgeschöpft zu sein“, sagt Kossakowski.
Statt auf rein digitale Beratung würden Onlineplattformen heute eher auf die Vermittlung echter Anwältinnen oder Anwälte setzen. Gute Beratung brauche Vertrauen.
Studie
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Mausklick statt Mitbestimmung?“ der Hans-Böckler-Stiftung erschien: Britta Rehder/Birgit Apitzsch/Berthold Vogel: Legal Technology im Arbeitsrecht. In: Arbeit, 30(4), 2021, S. 357–374