Quelle: Uwe Zucchi
Magazin MitbestimmungBetriebsrätepreis: „Nicht dem Schicksal ergeben“
Beim Automobilzulieferer Gestamp Griwe in Haynrode hat das Engagement der Arbeitnehmervertreter den Standort bewahrt. Nun wachsen Umsatz und Beschäftigung. Von Kevin Gallant
Dass Andreas Zappe und seine Kollegen wissen, wie Betriebsratsarbeit funktioniert, haben sie im Sommer 2019 gezeigt. Damals schloss die IG Metall mit Unterstützung der Gewerkschaftsmitglieder des Autozulieferers Gestamp Griwe Haynrode in Haynrode in Thüringen mit der Unternehmensführung einen Zukunftstarifvertrag ab. Die Arbeitnehmerseite verzichtete fürs Erste auf drei Prozent Lohnerhöhung, erhielt aber gleichzeitig die Garantie, dass zum Beispiel betriebsbedingte Kündigungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen werden dürfen. Für die Beschäftigten brachte der Tarifvertrag außerdem mehr Urlaub, eine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche, weitere Schritte in Richtung Flächentarifvertrag und eine Standort- und Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2024.
Zappe ist freigestellter Betriebsratsvorsitzender und seit 20 Jahren im Unternehmen. Der Betriebsrat wurde 2009 gegründet, ein paar Monate später wurde er Vorsitzender. „Schon damals lag einiges im Argen“, erzählt er. Arbeitsbedingungen, Löhne und Zulagen waren schlecht. Der Weg zur Veränderung sei lang gewesen; erstmal musste der Betriebsrat sich formieren und einarbeiten. „2011 haben wir uns entschlossen, mit der IG Metall für einen Tarifvertrag zu kämpfen – und schon im Jahr darauf wurde ein Haustarifvertrag abgeschlossen.“
Rund 500 Beschäftigte arbeiten in Haynrode, viele als Anlagen- und Maschinenführer, Werkzeugmechaniker oder Mechatroniker. Hier entstehen aus Stahlblech einbaufertige Teile für die Autoindustrie. Sie werden umgeformt, gelasert und dann zu Schweißbaugruppen wie Stoßfängern oder der A- und B-Säule des Autos zusammengebaut. Weltweit beschäftigt das Unternehmen über 40 000 Menschen an mehr als 100 Standorten und beliefert alle namhaften Automobilhersteller. Für den spanischen Mutterkonzern ist Haynrode wichtig. „Wir nutzen Technologien, die nicht jeder hat“, sagt Andreas Zappe, „zum Beispiel die Warmumformung. Alle neuen Produkte, die wir fertigen, sind für die E-Mobilität gedacht; in puncto Zukunftsfähigkeit sind wir also gut aufgestellt.“
„Da gingen alle Alarmglocken an“
Trotzdem schien die Zukunft des Standorts eineinhalb Jahre nach Abschluss des Tarifvertrags von 2019 nicht mehr sicher. „Der Arbeitgeber war der Meinung, man würde so schlechte Ergebnisse erzielen, dass man den Standort eigentlich schließen müsste“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende. „Neue Aufträge sollten wir gar nicht mehr bekommen.“ Auch Auszubildende wurden nicht mehr eingestellt. „Da gehen bei einem Betriebsrat natürlich alle Alarmglocken an.“
Die Unternehmensführung brachte Argumente vor, die die Pläne zum Personalabbau und für die mögliche Schließung des Standorts untermauen sollten. Es hieß, der Standort sei ungeeignet für neue Aufträge, weil der Platz für neue Anlagen fehle. „Dagegen haben wir uns gewehrt und das widerlegt“, berichtet Andreas Zappe. „Wir haben einen Plan des Werkes ausgebreitet, die Anlagen maßstabgetreu ausgeschnitten, hin und her geschoben und schließlich nachgewiesen, dass genug Platz da ist.“ Außerdem widerlegte der Betriebsrat die Behauptung der Unternehmensleitung, die Beschäftigten stünden nicht loyal zum Standort Haynrode. „Über 400 Mitarbeiter haben unterschrieben, dass sie die neuen Aufträge nach Haynrode holen wollen – und das haben wir auch so an den Konzern weitergegeben.“ Wieder ein Argument weniger für die Schließung des Werks.
Die Pläne der Unternehmensführung sahen vor, keine Aufträge mehr nach Haynrode zu geben, die den Zusammenbau der Automobilteile etwa zu kompletten Stoßfängern betreffen. Das sollte künftig ein anderes, nicht tarifgebundenes Werk des Konzerns übernehmen. „Dabei hat Haynrode mit seiner Fähigkeit, die Teile komplett zu fertigen, klare Vorteile“, sagt Zappe. „Bei uns kommen die Stücke aus einer Hand, und es findet kein Teiletourismus statt. Ansonsten müssten die Teile durch die halbe Welt transportiert werden – das kostet zusätzliches Geld, vom ökologischen Fußabdruck mal ganz zu schweigen.“
Unter dem Eindruck all dieser Argumente dachte die Unternehmensleitung schließlich um – von Kostenreduktion und Personalabbau hin zu Neuinvestition und Einstellungen. Das Engagement hat sich gelohnt. Der jährliche Umsatz ist um 25 Millionen Euro gestiegen. „Wir sind jetzt in einer ganz guten Lage, auch wenn die gestiegenen Energiepreise an uns nicht spurlos vorbeigehen“, so der Betriebsratsvorsitzende.
Die neuen Anlagen sind schon im Betrieb. Und es gibt sogar die berechtigte Aussicht auf eine erneute Erweiterung. Außerdem steht das Unternehmen jetzt vor einem erheblichen Personalaufbau. „Wir hätten uns auch unserem Schicksal ergeben können,“ sagt Andreas Zappe mit Blick auf die Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres, „aber dann wären wir im nächsten Jahr vielleicht schon 200 Mitarbeiter weniger gewesen.“
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Der Deutsche Betriebsräte-Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Die Hans-Böckler-Stiftung ist Kooperationspartnerin. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxis-Beispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. In diesem Jahr wird der Preis am 10. November auf dem Deutschen Betriebsräte-Tag in Bonn verliehen. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden 12 Projekte nominiert.