Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungKliniken: "Mein Büro steht immer offen"
Eher unschön war der Start, heute ist die aus ver.di kommende Arbeitsdirektorin Birgit Dilchert hoch anerkannt für ihre fairen Interessenausgleiche beim kommunalen Klinikverbund Gesundheit Nordhessen. Von Joachim F. Tornau
Als Birgit Dilchert ernannt werden sollte, schoss die örtliche Presse aus allen Rohren. Mangelnde Kompetenz wurde ihr vorgeworfen, von „Gewerkschaftsfilz“ war die Rede. Gar zum „Skandal des Jahres“ erklärte es das Lokalblatt, dass nicht ein einschlägig erfahrener Manager als Arbeitsdirektor in den Vorstand des kommunalen Klinikkonzerns Gesundheit Nordhessen (GNH) einziehen sollte. Sondern, auf Vorschlag der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat: eine Gewerkschaftssekretärin.
„Nicht schön“, sagt die 58-Jährige in freundlicher Untertreibung, sei ihr Start damals gewesen. Heute, fast zwölf Jahre später, ist die Kritik von damals breiter Anerkennung gewichen. Zweimal bereits wurde der Vertrag der Arbeitsdirektorin vom Aufsichtsrat verlängert. „Könnte es eine schönere Bestätigung geben?“, fragt Dilchert und stellt selbstbewusst fest: „Dem Unternehmen hat die Schaffung des Zweiervorstands gutgetan.“ Und zwar mit ihr als der einen Hälfte dieses Vorstands.
Seit Dilcherts Berufung im Januar 2004 wird die Gesundheitsholding, die zwei Jahre zuvor aus der Umwandlung des Kasseler Klinikums in eine Aktiengesellschaft entstanden war, von einer Doppelspitze geführt: von einem Vorstandsvorsitzenden (der in Dilcherts Amtszeit schon zweimal wechselte) und von ihr als Personalvorstand. Das, erklärt die diplomierte Sozialpädagogin, habe nicht nur den drängenden Fragen der Personalentwicklung und des Personalmanagements den nötigen hohen Stellenwert verschafft. Es sorge auch dafür, dass bei jeder Vorstandsentscheidung zwei verschiedene Blickwinkel einfließen. Und welcher der ihre ist, daran lässt die ehemalige Vizegeschäftsführerin von ver.di in Nordhessen keinen Zweifel: „Als Arbeitsdirektorin liegt mein Fokus natürlich schwerpunktmäßig auf den Beschäftigten.“
Mit rund 4800 Arbeitnehmern ist der kommunale Krankenhausverbund, zu dem neben dem Kasseler Klinikum als dem Flaggschiff noch drei Krankenhäuser im Umland, zwei Reha-Zentren, zwei Altenheime, ein ambulanter Pflegedienst und eine Krankenhaus-Servicegesellschaft gehören, einer der größten Arbeitgeber in Nordhessen. Die Interessen der Beschäftigten hatte Dilchert vor ihrer Ernennung zur Arbeitsdirektorin als stellvertretende Vorsitzende des GNH-Aufsichtsrats vertreten. Dass sie mit dem Wechsel in den Vorstand die Seiten gewechselt habe, hört sie ungern. Als „Bindeglied“ zwischen Vorstand und Betriebsräten sieht sie sich in einer „zunehmend wichtigeren Funktion, um einen angemessenen Interessenausgleich herstellen zu können“. Aber natürlich auch zwischen den Stühlen.
„Es geht darum, den Dreiklang aus Patientenorientierung, fairen Arbeitsbedingungen und Wirtschaftlichkeit in Balance zu bringen“, sagt Dilchert. Angesichts der bekanntermaßen prekären Krankenhausfinanzierung, die auch in Arbeitsverdichtung und Personalmangel ihren spürbaren Ausdruck findet, nicht eben ein Kinderspiel. Dennoch: „Ich würde, was ich tue, nicht als Mangelverwaltung bezeichnen“, sagt sie. „Aber es ist eine Herausforderung, die manchmal der Quadratur des Kreises gleicht.“
STOLZ AUF PROFESSIONALISIERUNG
Als sie ihren Job antrat, musste Dilchert fast bei null anfangen. Trotz der neuen privatrechtlichen Struktur des Klinikkonzerns wurde das Personal wie eh und je verwaltet, Personalentwicklung galt als „Sonnenscheinthema“. „Es ist uns gelungen, das gesamte Personalmanagement professionell zu gestalten“, blickt Dilchert zurück. Neun strategische Handlungsfelder wurden definiert und so mit Leben gefüllt, dass sie ineinandergreifen und aufeinander aufbauen sollen. So gibt es im Fortbildungsprogramm, das mehr als 200 Veranstaltungen im Jahr umfasst, eine Reihe von Pflichtschulungen für Führungskräfte. Ob Oberarzt, Stationsleitung oder Abteilungsleiterin in der Verwaltung: Sie alle sollen Hilfestellung bekommen in Sachen Kommunikation, Gesundheitsprävention, Teambildung oder Zeitmanagement.
Das mit 380 Azubis in zehn Lehrberufen äußerst umfangreiche Ausbildungsprogramm wurde 2014 um eine Teilzeitausbildung in der Pflege ergänzt. Vier statt drei Jahre dauert sie, dafür ist die tägliche Arbeitszeit geringer, und es wird, soweit möglich, auf familiäre Verpflichtungen Rücksicht genommen – ein Projekt, das gleichzeitig dem Fachkräftemangel vorbeugen wie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen soll.
Bei einer Belegschaft, die zu 80 Prozent aus Frauen besteht, müsse man der Frage der Vereinbarkeit besondere Aufmerksamkeit widmen, erklärt Dilchert. „Das sehen wir auch unter dem Aspekt der Arbeitgeber-Attraktivität.“ Ein innovatives Arbeitszeitmanagement soll deshalb ermöglichen, dass die Wünsche der Arbeitnehmer bei der Dienstplangestaltung berücksichtigt werden. „In einem 24-Stunden-Betrieb mit so vielen Beschäftigtengruppen, weit über 100 Arbeitszeitmodellen und einer Teilzeitquote von fast 50 Prozent ist das eine Riesenherausforderung“, sagt die Arbeitsdirektorin.
Aber die Bemühungen werden honoriert: Bei einem Ranking der „besten Arbeitgeber“ in Deutschland, das das Nachrichtenmagazin „Focus“ zu Jahresbeginn auf der Grundlage von Arbeitnehmerbefragungen veröffentlichte, landete die Gesundheit Nordhessen auf dem ersten Platz im Bereich „Gesundheit und Soziales“. Zur Zufriedenheit der Beschäftigten dürfte dabei auch das betriebliche Gesundheitsmanagement beigetragen haben, mit dem das Unternehmen auf Arbeitsverdichtung und alternde Belegschaft reagieren will. Eine Betriebsvereinbarung zum demografischen Wandel regelt unter anderem, dass die Arbeitnehmer im Reha-Zentrum der GNH unter professioneller Anleitung Präventionssport treiben können – zu vergünstigten Konditionen und, wenn sie älter als 50 Jahre sind, zum Teil in der Arbeitszeit. „Das kommt total gut an“, berichtet Dilchert. Ein Drittel der Beschäftigten nehme mittlerweile an Maßnahmen des Gesundheitsmanagements teil.
„Das alles machen wir natürlich nicht aus Selbstlosigkeit, sondern aus der Überzeugung heraus, dass dies ein elementarer Beitrag für den Unternehmenserfolg ist“, sagt die Arbeitsdirektorin. „Wir sind angewiesen auf motivierte und qualifizierte Beschäftigte.“ Die, so wäre zu ergänzen, auch zu Zugeständnissen bereit sind. Rund 150 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren in Neubauten des Kasseler Klinikums investiert. Um das abzusichern, wurde mit ver.di ein Zukunftssicherungstarifvertrag, abgekürzt „Zusi“, für das nicht-ärztliche Personal ausgehandelt. Seit 2007 verzichteten die Arbeitnehmer einschließlich der außertariflich Beschäftigten auf maximal sechs Prozent ihres Gehalts – erst einmal. Schrieb der Gesamtkonzern schwarze Zahlen, gab es einen Teil davon wieder zurück. Und wenn auch das jeweilige Einzelunternehmen im Plus lag, sogar fast die gesamte Summe. „Wir sind alle sehr stolz, dass es acht Jahre lang gelungen ist, den größten Teil der Vergütungsbestandteile zurückzuzahlen“, sagt Dilchert und spricht von einem „Erfolgsmodell“.
Als Gegenleistung wurden betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Selbst als die GNH im vergangenen Jahr ihre Kleinstklinik in Bad Karlshafen, der nördlichsten Stadt Hessens, schloss, konnte allen Beschäftigten damit ein Arbeitsplatz im Konzern angeboten werden. „Das ist, was ich mir unter einem fairen Interessenausgleich vorstelle“, sagt die Arbeitsdirektorin. Natürlich wäre ihr eigentlich eine Krankenhausfinanzierung lieber, die auskömmlich genug ist, um derlei Regelungen unnötig zu machen. Doch da das nicht absehbar ist, möchte der GNH-Vorstand, wenn der Zusi zum Jahresende ausläuft, einen Folgevertrag erreichen. Zwar sind die Neubauvorhaben im Klinikum Kassel abgeschlossen, aber dafür sind Umstrukturierungen bei den defizitären Tochtergesellschaften geplant.
Was die Arbeitnehmer/-innen davon halten, hört sich Birgit Dilchert gerne auch ganz ungefiltert an. Regelmäßig geht sie auf die Stationen, sucht das Gespräch, informiert sich über Abläufe, Sorgen und Probleme. Und von Zeit zu Zeit arbeitet sie auch mal eine Schicht in der Pflege mit. Unangekündigt, versteht sich. „Der Kontakt zu den Beschäftigten wie zu den Führungskräften ist mir sehr wichtig“, sagt sie. „Auch meine Bürotür steht immer offen.“