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Scooter Ranger in Berlin Magazin Mitbestimmung

Mobilitätsdienstleister: Mächtig Luft nach oben

Ausgabe 01/2023

Car-Sharing, Scooter und Elektro-Kleinbusse sollen die Verkehrswende mit vorantreiben. Die Gewerkschaften sind alarmiert – denn die Arbeitsbedingungen passen meist nicht zum hippen Image. Von Andreas Molitor

Thadeus Mainka ist am Telefon ausgesprochen gut aufgelegt. Kein Wunder, der IG-Metall-Sekretär aus Hannover kann von einem erfolgreichen Kampf für mehr Mitbestimmung berichten. Es geht im Stakkato, das Wichtigste in zehn Sekunden: „Wir haben Betriebsräte, einen mitbestimmten Aufsichtsrat und gleiches Entgelt an beiden Standorten. Das ist jetzt ein gut organisierter Betrieb. Und nun sind wir unterwegs in Richtung Tarifvertrag.“ Noch Fragen? 

Die Rede ist von Moia, einer Tochter des Volkswagen-Konzerns. Die goldfarbenen Elektro-Kleinbusse des Unternehmens gleiten durch Hamburg und Hannover und sammeln Fahrgäste auf. Moia bietet Ridepooling: Passagiere, deren Start- und Zielorte in ähnlicher Richtung liegen, buchen eine Fahrt per App und teilen sich einen Minibus. Ein Algorithmus plant und optimiert die Route. Vor Jahresfrist sah es bei Moia noch bedenklich aus. Der Arbeitgeber triezte die Beschäftigten, rechnete Pinkelpausen aus der bezahlten Arbeitszeit heraus, bezahlte die Hannoveraner Mitarbeiter schlechter als die Hamburger und sperrte sich gegen die Gründung von Betriebsräten. 

Moia gehört zur Palette neuer Dienstleister, die der Verkehrswende Schwung verleihen und Mobilität ohne eigenes Auto ermöglichen sollen. Car-Sharing, Elektro-Scooter und -Motorroller, Leihräder und Ridepooling à la Moia sollen den Abschied vom eigenen Auto erleichtern – und die letzten Kilometer vom Bahnhof nach Hause oder ins Büro überbrücken. 

Rund 3,4 Millionen Menschen nutzten Anfang 2022 die Car-Sharing-Angebote – 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die E-Scooter boomen, auch wenn der Hype allmählich abzuflachen scheint. Rund zehn Millionen Menschen mieteten im vergangenen Jahr bei Startups wie Lime, Tier, Bolt oder Voi einen Roller.   

Die Autokonzerne mischten eine Zeitlang kräftig mit beim Aufbruch in eine neue Ära der Mobilität.  Das passte prima zum Imagewandel: vom traditionellen Blechbieger zum hippen Mobilitätsdienstleister. Doch insbesondere das klassische Car-Sharing blieb trotz hoher Investitionen und zwischenzeitlicher Kampfpreise ein Zuschussgeschäft. Oft standen die Autos tagelang in entlegenen Ecken des Geschäftsgebiets und mussten zurückgeholt werden. Die Autobauer haben sich von großen Teilen des Geschäfts wieder getrennt. Daimler und BMW verkauften Share Now voriges Jahr an Stellantis; der neue Eigentümer kündigte als Erstes einen Personalabbau an. Im vergangenen November zog auch Volkswagen die Reißleine und gab seine Carsharing-Tochter WeShare an das Berliner Startup Miles ab. Dessen Beurteilungen auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen sind, gelinde gesagt, durchwachsen. „Gründung eines Betriebsrats wäre nötig“, schreibt jemand.  

Nicht besser sieht es bei anderen Dienstleistern rund um die Mobilität auf kurzen und mittleren Strecken  aus, etwa den E-Scooter-Start-ups. Der Verleiher Tier entließ voriges Jahr 180 Mitarbeiter – das war jede sechste Stelle. Bird hat das Deutschland-Geschäft im vorigen Jahr sogar ganz aufgegeben. Faire Löhne und Mitbestimmung blieben beim Kampf um Marktanteile weitgehend auf der Strecke. Kaum irgendwo gibt es Betriebsräte, die Branche ist komplett tarifvertragsfreie Zone.  Die Gewerkschaft  Verdi kritisiert die Arbeitsbedingungen bei den neuen Moblitätsdienstleistern seit Jahren scharf und warnte 2020 zusammen mit der Verkehrsgewerkschaft EVG und dem DGB, die „Beschäftigten der neuen Mobilitätsdienste und bei Plattformen“ würden „nicht wirksam vor Prekarisierung und Ausbeutung geschützt.“ 

Gerade bei den Scooter-Verleihern herrscht Wildwuchs. Für die Juicer, Ranger, Watcher oder Hunter, meist junge Leute, die für die Scooter-Firmen die Roller aufsammeln und aufladen, gibt es weder tarifliche Löhne, verbriefte Arbeitnehmerschutzrechte noch geregelte Arbeitszeiten. Kein Betriebsrat kümmert sich um sie. Manche Verleiher kooperieren mit Logistikfirmen, andere setzen auf eigenes Personal, meist Minijobber oder Selbstständige. Für das Aufsammeln, Laden und Ausliefern eines Scooters verdienen die Juicer zwischen vier Euro und fünf Euro; ein Fahrzeug für den Transport der Roller müssen sie in der Regel stellen. 

Früher Zoff, jetzt Konsens 

Bei den Carsharing-Anbietern sieht es in punkto Mitbestimmung nur wenig besser aus. Viele lokale Anbieter haben nur wenige Beschäftigte, da steht ein Betriebsrat nicht zur Debatte. Eines der wenigen Unternehmen mit Beschäftigtenvertretung ist die Stadtmobil Rhein-Neckar AG. Dort gibt es schon seit zehn Jahren einen Betriebsrat. Damals wehrten sich die Beschäftigten mit Hilfe der Gewerkschaft Verdi gegen Niedriglöhne, unbezahlte Arbeitsstunden und einen rauen Umgangston. Seitdem habe sich vieles zum Besseren gewendet, berichtet der heutige Betriebsratsvorsitzende Michael Werner.   

So habe man in letzter Zeit Betriebsvereinbarungen beispielsweise zur Arbeitszeit und zum mobilen Arbeiten abgeschlossen. Bei den anderen sieben Stadtmobil-Unternehmen, so das Verdi-Mitglied Werner, gibt es allerdings bisher keinen Betriebsrat. Für seinen Betrieb wünscht sich der Betriebsratsvorsitzende noch bessere Löhne – „daran arbeiten wir jetzt“, – aber Stadtmobil hat keinen Konzern im Rücken, der einen Verlustbringer mit durchschleppt. „Wir müssen Gewinne erwirtschaften und günstigere Preise bieten als die großen Wettbewerber“, sagt Werner. „Für eine Angleichung an Konzernlöhne bleibt da bislang leider kein Raum.“  

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