Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: M. Helmer / C. Girndt: Die Arbeitnehmerbank als Motor
In diesen Zeiten, da Renditen und Restrukturierungen die Unternehmen beherrschen, sind die Arbeitnehmervertreter zu einer unverzichtbaren Lobby für Arbeitsplätze und Region geworden - bei EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt dank Mitbestimmung.
Von Matthias Helmer und Cornelia Girndt
Der Autor ist Industriesoziologe und Journalist in Göttingen.
Die Autorin ist Redakteurin des Magazin Mitbestimmung.
Eisenhüttenstadt im Sommer 2005. Zur Zeit der Wende hatte die Stadt an der polnischen Grenze über 50 000 Einwohner, heute sind es noch rund 37 000. Jeder Arbeitsplatz zählt. Und jeder, der abwandert, ist ein Verlust an Qualifikation.
Zu Eisenhüttenstadt gehört EKO-Stahl und umgekehrt. Das frühere "VEB Bandstahlkombinat Hermann Matern", heute Teil des Arcelor-Konzerns aus Luxemburg, hatte vor 1989 eine Leuchtturmfunktion innerhalb der DDR, Symbol der Leistungskraft der Werktätigen. Kehrseite der Medaille war die Monostruktur der Region: 1989 hingen knapp 80 Prozent der Industriearbeitsplätze in Eisenhüttenstadt von EKO ab.
Ohne Mitbestimmung wäre EKO nicht mehr
Ohne Mitbestimmung wäre das Werk platt und Eisenhüttenstadt industrielles Brachland. 1990 bis 1994 habe man einen schweren Kampf gegen die westdeutsche Stahlindustrie geführt, die EKO als "überflüssig wie ein Kropf" bezeichnet hat", erinnert sich Bürgermeister Rainer Werner. "Diese Phalanx musste erst mal durchbrochen werden. Aber ohne die IG Metall, ohne die Mitbestimmungsleute vor Ort würde es EKO heute nicht mehr geben. Die Mitbestimmungsorgane waren die Motoren, die diesen Prozess immer wieder mit vorangetrieben haben."
Rainer Werner weiß, wovon er spricht. Seit 1990 steuert der SPD-Bürgermeister von Eisenhüttenstadt auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat die Geschicke der EKO-Stahl mit. Dort sitzt er als Wahlvorschlag der IG Metall und bildet die perfekte Verbindung zwischen der Stadt und dem Werk. "Die Stadt Eisenhüttenstadt hat einen wesentlichen Beitrag für die Sanierung von EKO geleistet", sagt Werner und verweist auf Grundstückskäufe und die Schaffung entsprechender Infrastruktur. Andererseits kann der Bürgermeister soziale Anliegen und Überlegungen zur Stadtentwicklung in den Aufsichtsrat einbringen. Es ist ein Geben und Nehmen. Ein Unternehmen sei doch in erster Linie gesellschaftlichen Interessen verbunden, erklärt er mit Nachdruck.
Das sieht Rainer Barcikowski, Arbeitsdirektor bei EKO, nicht anders: Da Unternehmensentscheidungen immer auch Auswirkungen auf die Region haben, sei die "Einbindung der Bürgergesellschaft", etwa in der Person des Bürgermeisters, eine sinnvolle Sache. Aber auch umgekehrt sollte "das Unternehmen als Bürger" agieren.
Genau das treibt die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat voran. Es ist ihr Verdienst, dass die EKO-Stahl GmbH mit zwei Millionen Euro eine Bürgerstiftung und eine Stahlstiftung fördert. Damit finanziert das Unternehmen viele Projekte der Jugend- und Sozialpolitik, die die Stadt angesichts sinkender Gewerbesteuereinnahmen und hoher Schulden nicht aus eigener Kraft unterhalten kann. Aber auch um neue Arbeitsplätze kümmern sich die Arbeitnehmervertreter - zusammen mit dem Arbeitsdirektor. Seit einiger Zeit sondieren sie Ideen, wie man - als Kompensation für weggefallene Industriearbeitsplätze - in Eisenhüttenstadt neue Firmen ansiedeln kann.
Alternativkonzepte für den Standort
Das kam so: Vor zwei Jahren stand die Stahlbranche - ganz im Gegensatz zu heute - alles andere als glänzend da. Auch der Arcelor-Konzern stellte alle seine Werke auf den Prüfstand. "Generell ist nach der Fusion der Rationalisierungsdruck an allen Standorten erhöht worden, auch das gegenseitige Ausspielen", erinnert sich Betriebsrat Holger Wachsmann. McKinsey wurde von Arcelor beauftragt, das Unternehmen EKO nach Möglichkeiten zur Kostensenkung zu durchforsten, und präsentierte ein Einsparpotenzial von über 600 Beschäftigten bzw. "Mannjahren", wie es nüchtern in der Berater-Sprache heißt.
"Diese Region kann bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit keine Arbeitsplatzverluste mehr verkraften" - das war Rainer Barcikowski so klar wie den Aufsichtsräten der Arbeitnehmerseite. Krisensitzungen wurden einberufen, Spitzengespräche geführt. Gleich nachdem ihnen im Dezember 2003 die Papiere zum Rationalisierungsvorhaben ZUG wie "Zukunftsgestaltung" vorlagen, setzten sich die Betriebsräte und die Mitglieder der Arbeitnehmerbank zusammen, um die sozial- und regionalpolitischen Ergänzungen auszuarbeiten. Fünf Tage und Nächte wurde fieberhaft gefeilt und kontrovers diskutiert, dann stand der Gegenentwurf. Der damit verbundene Sozialplan und Interessenausgleich wurde von der Arbeitnehmerbank einstimmig befürwortet, "eine Stunde vor Beginn der entscheidenden Aufsichtsratssitzung", erinnert sich Wachsmann.
Die Anteilseigner, die sich vermutlich schon auf eine breite Nein-Front eingestellt hatten, wurden von den detaillierten Vorschlägen der Arbeitnehmerseite überrascht. Das reine Rationalisierungskonzept war ergänzt worden durch Standortentwicklungsideen - verbesserte Arbeitsbedingungen, aktive Personalentwicklung und ein Konzept für neue Arbeitsplätze bzw. Wirtschaftsförderung.
In dieser Aufsichtsratssitzung stimmten die Arcelor-Manager auf der Anteilseignerseite dem Konzept der Arbeitnehmerbank genauso zu, wie sie bereit waren Sechs-Millionen-Euro-Topf zur Realisierung der regionalen Entwicklungsideen bereitzustellen. "So eine schnelle Einigung ist nur in Deutschland möglich, in Belgien wäre das nicht ohne Streiks abgegangen", hatte der Arcelor-Manager und Aufsichtsratsvorsitzende der EKO-Stahl, Hedwig Vergote, am Ende der Verhandlungsrunde den Mitbestimmungs-Akteuren bescheinigt.
"Nichts geht hier gegen die Arbeitnehmerbank", stellt auch Rainer Barcikowski selbstbewusst klar. Das ist Kern der Montanmitbestimmung. Sofern die Arbeitnehmerbank den Neutralen überzeugt, hat sie die Mehrheit im Aufsichtsrat. Den Arbeitsdirektor, ehemals Leiter des IG-Metall-Zweigbüros, trifft man in einem bescheidenen 60er-Jahre-Flachbau. "Wir haben gesagt, wir jagen keine Köpfe, sondern Kosten", erläutert Barcikowski das Alternativkonzept und ergänzt: "Wir wollten einen synchronen Ab- und Aufbau von Beschäftigung." Die Einsparungs-Vorgaben wurden erreicht, indem der Arbeitsdirektor die gesamten Personalkosten bis 2007 auf dem Niveau des Jahres 2003 deckelte - was man über Altersteilzeit erreichte und durch ein Vorziehen der 35-Stunden-Woche - bei gleichem Lohn, aber befristetem Verzicht auf Lohnsteigerungen.
Gleichzeitig finanziert ein Sechs-Millionen-Euro-Topf Aufbaumaßen für den Standort. Den Topf hat der Aufsichtsrat als "Maßnahmenpaket zur Regionalentwicklung und aktiven Wirtschaftsförderung" ("Modul 5" von ZUG) bewilligt. Für die Arbeitnehmerseite ist der Qualifizierungsplan ein zentraler Aspekt, denn dem Unternehmen darf kein Know-how-Verlust entstehen. Da man aber nicht Personalkosten einfrieren und gleichzeitig ohne Abstriche einstellen könne, wie Barcikowski erläutert, bekamen 40 Azubis von der neu gegründeten Dienstleistungsgesellschaft EDL einen Zwei-Jahres-Arbeitsvertrag. Die jungen Leute werden künftig an EKO ausgeliehen; die zehn besten Azubis werden übernommen.
Die Arbeitnehmerbank macht Wirtschaftsförderung
Bis 2007 müssen in Eisenhüttenstadt 350 Ersatzarbeitsplätze her - über Ausgründungen und Neuansiedlungen. Damit dieses anspruchsvolle Ziel nicht nur auf dem Papier des ZUG-Konzeptes steht - es sollen ja auch "Jobs zu Tariflöhnen, und keine Telefonbuden" (Barcikowski) sein, sitzen der Bürgermeister, die Betriebsräte, der Arbeitsdirektor und die Geschäftsführer regelmäßig zusammen und brüten, welche Unternehmen sie für den Standort anwerben können. Einen Gründerpreis haben sie ausgeschrieben.
Und sie haben ehemalige EKO-Manager angeworben, nun als "Scouts" tätig zu werden - für Neuansiedlungen in Eisenhüttenstadt. Das ist harte Arbeit, da muss um jeden Arbeitsplatz gerungen werden. Doch es tut sich was: Angedockt hat mittlerweile die Münchner Medent GmbH, die Abrechnungen für Krankenkassen macht. Effekt: 150 neue Jobs. Derzeit prüfen die Wirtschaftsförderer von der Arbeitnehmerbank zwei Röhrenwerk-Konzepte und die Ansiedlung eines Recycling-Unternehmens.
Natürlich sind auch die 3000 EKO-Beschäftigten gefragt, den Standort nach vorne zu bringen. Für den Ideenwettbewerb der Beschäftigten waren anfangs die McKinsey-Berater allein zuständig; auf Anregung der Arbeitnehmerbank wurden sie mit gewerkschaftsnäheren Wissenschaftlern vom IFO-Institut Saarbrücken zusammengespannt - gemeinsam teilten sie sich sogar ein Büro. Am Ende waren die McKinsey Berater gleichwohl überrascht, wie stark eine Mitbestimmungskultur die Beteiligung an Verbesserungsprogrammen steigert, berichtet Betriebsrat Frank Balzer.
Was man in Eisenhüttenstadt auch lernt: Die Montanmitbestimmung hat andere Möglichkeiten als die 76er-Aufsichtsratsmitbestimmung. So wird das neue Führungsmodell, das der Arcelor-Konzern allen Töchtern verordnet, in der Form nicht für EKO gelten. Geplant war eine Zweiteilung des Unternehmens in die Divisionen "Downstream" (Flüssiglinien) und "Upstream" (Kaltwalzwerke), mit nur zwei Managern statt einem vierköpfigen Vorstand. Das zentralistische Führungsmodell hätte die Vorteile des integrierten Hüttenwerkes und damit den Standort in Frage gestellt, da ist sich die Arbeitnehmerseite sicher.
"Wir haben im Zuge der Verhandlungen signalisiert, dass dieses vom Konzern geplante Modell nicht geht. Kein Konsens mit der Arbeitnehmerbank!", sagt der Arbeitsdirektor. Nun wird es ein den montanmitbestimmten Verhältnissen angepasstes Modell geben. Mit der 76er-Mitbestimmung - also mit der Doppelstimme des Aufsichtsratssitzenden und mit einem um seine Karriere bangenden Leitenden Angestellten im Aufsichtsrat - hätte man ein von der obersten Konzernspitze verordnetes Führungskonzept vermutlich nicht zurückweisen können.
Montanmitbestimmung - der kleine Unterschied
"Die Zusammenarbeit auf der Arbeitnehmerbank ist hervorragend", konstatiert Holger Wachsmann, Betriebsratsvorsitzender von EKO-Stahl. Die betrieblichen Aufsichtsräte schätzen Rat und Unterstützung von erfahrenen Externen: dem ehemaligen IG-Metall-Bezirkschef Hasso Düvel, dem DGB-Vorsitzenden von Berlin-Brandenburg, Dieter Scholz, und von Friedhelm Matic, der das IG-Metall-Zweigbüro in Düsseldorf leitet - bekanntlich ein Kompetenzzentrum, was die Entwicklungen in der Stahlbranche betrifft.
Regelmäßig wird auch Burkhard Dreher, der "Neutrale" im montanmitbestimmten Aufsichtsrat, konsultiert. "Ist nicht die Aufsichtsratsmitbestimmung in Zeiten global agierender Hedgefonds eine notwendige Kraft der Checks and Balances zur Berücksichtigung von Standortinteressen?", fragt der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister von Brandenburg. Dreher begegnet all jenen, die das deutsche Modell der Montan- bzw. Aufsichtsratsmitbestimmung abschaffen wollen, mit Unverständnis. "Als Minister habe ich in extremen Jahren der Strukturanpassung erfahren, dass Belegschaften und Arbeitnehmervertretungen - auch in Aufsichtsräten - bei hunderten von Unternehmenssanierungen konstruktive, realitätsbewusste und notwendige Partner waren."
Dazu muss die Arbeit des Kontrollgremiums auch in der Belegschaft verankert sein. In Eisenhüttenstadt kein Problem! Wenn der Aufsichtsrat wie jetzt am 21. Juni vor Ort tagt, findet auf dem Werksgelände gleichzeitig eine Betriebsversammlung statt. Die hier versammelten Arbeitnehmer müssen nicht lange auf Neuigkeiten warten: So hat sich nach der jüngsten Aufsichtsratssitzung der frisch installierte Geschäftsführer, Wim van Gerven, gleich der Belegschaft präsentiert.
Gegenwärtig boomt die Stahlindustrie, wenn auch verhaltener als im letzten Jahr. Mit zwei Hochöfen und eigenem Warmwalzwerk hat EKO in Eisenhüttenstadt trotz seiner Binnenlage Wettbewerbsvorteile gegenüber den europäischen Konkurrenten. Auch die Stadt profitiert mit ihrem neu belebten Hafen von der Erweiterung der EU. Und doch ist die Belegschaft von EKO und die Bevölkerung von Eisenhüttenstadt besorgt, berichtet Betriebsratsvorsitzender Wachsmann. "Das Sorgenkind ist mehr die Stimmung als die wirkliche Lage", sagt er. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.