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Magazin Mitbestimmung

: Lotse in stürmischen Zeiten

Ausgabe 05/2007

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Die Ankündigung von Bayer Schering Pharma, allein in Berlin 950 Stellen zu streichen, traf auf eine zornige Belegschaft - und einen medial gut aufgestellten Betriebsrat.



Von ANDREAS MOLITOR. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin. 


Wäre Norbert Deutschmann ein Zyniker, dann hätte er es folgendermaßen gemacht: Gleich als die Nachricht kam, dass die Bayer Schering Pharma AG in Berlin 950 Jobs streichen will, hätte der Betriebsratschef die Seinen alarmiert: "Gleich wird die Presse anrufen. Wir brauchen schnell ein paar Fälle, handverlesen.

Am besten 'ne Laborantin, schön dekorativ mit Schering-Schriftzug auf dem Kittel, 20 Jahre im Unternehmen, vier Kinder, Mann arbeitslos, Häuschen gebaut, Hypothek aufgenommen, total verzweifelt. Die muss so richtig auf die Tränendrüse drücken." Genau das wollen die Presseleute doch haben. Dann müssen sie nicht stundenlang vorm Werkstor rumlungern und dort möglicherweise jemanden aufgabeln, der ins Mikro berlinert, dass er eh keine Lust mehr hat und sich schon auf die Abfindung freut.

Aber Norbert Deutschmann mag inszenierte Kampagnen nicht. Der 56-jährige gelernte Chemielaborant, seit vier Jahrzehnten bei Schering, davon 22 Jahre als Betriebsrat und die letzten neun Jahre als Vorsitzender, ist kein Schaumschläger. 

ZWISCHEN KLIMA UND KNUT_ Aber etwas musste passieren, nachdem der Vorstand des Pharmaherstellers am 28. Februar verkündet hatte, dass er 950 von knapp 6000 Mitarbeitern in Berlin nicht mehr braucht. Ein halbes Jahr nach der Übernahme des Berliner Traditionsunternehmens Schering durch Bayer war der Fusions-Honeymoon abrupt beendet. 

Öffentlichkeit musste her, und zwar schnell. Dass die Presse ein wichtiger Transmissionsriemen ist, weiß jeder Betriebsrat. Und Norbert Deutschmann hatte in der Vergangenheit schon häufig beobachtet, "dass Konzerne wie Bayer sehr sensibel auf Öffentlichkeit reagieren". Letztlich ist eine negative Presse nicht gut fürs Image - und möglicherweise auch nicht für den Aktienkurs.

Aber wie verschafft man der Stimme einer Belegschaft öffentlich Gehör, damit sie nicht untergeht zwischen den Schlagzeilen über Klima und Knut - zumal wenn der Gegner hervorragend aufgestellt ist? Dort die geölte Kommunikationsmaschine eines Konzerns, Medienprofis mit besten Kontakten in die Redaktionen, gut trainiert in der Vermittlung der Logik einschneidender Sparmaßnahmen.

Und hier Norbert Deutschmann, der vor Jahren mal ein Medienseminar mitgemacht hat. Schering hatte es bezahlt, weil das Unternehmen wohl fand, das es nicht schlecht ist, wenn ein Betriebsratschef sich überlegt äußert, mit vertraulichen Informationen verantwortungsvoll umgeht und heikle Zitate zur Sicherheit noch mal abstimmt, bevor die Zeitung in Druck geht.  Ein Betriebsratsvorsitzender hat ja auch nicht den ganzen Tag Zeit, sich mit den Journalisten zu beschäftigen, Interviews zu geben, Statements zu verfassen, vor die Mikrofone und Kameras zu treten.

Oder tatsächlich mundgerechte Fallbeispiele zu liefern. Gerade in sturmumtosten Zeiten, da Tausende um ihre Arbeitsplätze fürchten, aufgewühlt sind und verunsichert, ist das ein Unding. "Zuallererst wollen doch die Kollegen informiert werden", stellt Deutschmann die Prioritäten klar, "da kannst du natürlich nicht alle Interviewanfragen befriedigen, das schaffst du einfach nicht."

TAGESTHEMEN UND BOULEVARD_ Der Betriebsrat hatte sich eine Strategie der kleinen Schritte zurechtgelegt, die sich dennoch als äußerst wirkungsvoll erweisen sollte. Ein Jahr zuvor, im Frühjahr vergangenen Jahres, als der Darmstädter Pharmakonzern Merck Schering schlucken wollte, waren Deutschmann und seine Truppe auf den Ansturm der Medien noch völlig unvorbereitet. Gleich nach dem Bekanntwerden der Übernahmeoffensive waren die ersten TV-Teams vor Ort, ständig riefen Journalisten an und wollten wissen, wie der Betriebsrat zum Kaufangebot von Merck steht.

Damals sammelte man, in weiser Voraussicht, die Kontaktdaten der anklopfenden Journaille und erstellte einen Pool von Journalisten aus Agenturen, Zeitungen, Radiosendern und Fernsehstationen. Jetzt, im erneuten Krisenfall, waren die E-Mail-Adressen dem Betriebsrat zu Nutze. Hier konnte man ansetzen.  Als es drauf ankam, zeigte sich der Betriebsrat, zwischenzeitlich durch eine freie Journalistin verstärkt, medial gut aufgestellt. Vom Protestzug der 2000 Schering-Mitarbeiter durch den "Schering-Stadtteil" Wedding berichteten sogar die Tagesschau und die Tagesthemen - Letztere auf Platz eins.

Vielleicht hatten Deutschmann und die Seinen auch ein bisschen Glück, dass die sonstige Nachrichtenlage an diesem Tag etwas mau war. Wie auch immer - als am Nachmittag das Management von Bayer Schering eine Pressekonferenz abhielt, um die Ratio des Personalabbaus zu erklären, war eine Menge Platz im Saal. "Die wollten uns mit ihrer Veranstaltung das Wasser abgraben", vermutet Norbert Deutschmann. "Aber das ging daneben. Die Journalisten drängten sich auf unserer Pressekonferenz. Die wollten alle wissen, wie wir denn nun auf die Zahlen reagieren."

In jenen Tagen schlug Deutschmann viel Verständnis von Seiten der Journalisten entgegen, mehr als er erwartet hatte. Manchmal musste er gar nicht viel erklären. "Personalabbau, ja das kennen wir", hieß es dann, "in unserer Redaktion läuft das schon seit Jahren so, mit den gleichen Argumenten." In solchen Fällen musste er sich über die anschließende Berichterstattung keine Sorgen mehr machen.

Sogar die Boulevardblätter schlugen sich auf die Seite von Betriebsrat und Belegschaft. "Schering wird geschlachtet", war da zu lesen, "bis zum Horizont zieht sich die Schlange der Wut, der Empörung, der Ohnmacht." Ein Kommentar schloss mit fast schon klassenkämpferischem Pathos: "Die Menschen spielen keine Rolle mehr. Das müssen wir umkehren. Stoppt die Gewinnmaximierung um jeden Preis!"

Die Unterstützung der Blätter mit den knalligen Schlagzeilen, fett und rot, war dem Betriebsrat sehr willkommen. "Man muss Bild oder B.Z. ja nicht unbedingt mögen", sagt Norbert Deutschmann, "aber viele Kollegen lesen das morgens auf dem Weg zur Arbeit. Da ist es für uns schon wichtig, was die schreiben." 

"ZWEI, DREI ZITIERFÄHIGE SÄTZE"_ Deutschmann lernte schnell, wie die Journalisten und die Redaktionen funktionieren. Eine Pressemitteilung muss kurz und knapp sein, das war die erste, wichtigste Lektion. Langweilige Aufsätze und Agitprop-schwangere Predigten landen gleich im Papierkorb. So etwas druckt keiner. "So eine Erklärung muss zwei, drei zitierfähige Sätze enthalten", sagt der Betriebsratschef.

Für differenzierte Argumentation ist da wenig Raum, leider. Zwei, drei Sätze, "dann sind die Journalisten meist zufrieden. Interviews am Telefon dauern oft nur wenige Minuten, da konzentrierst du dich auf deine Kernaussagen, mehr geht nicht. Hauptsache, die Botschaft kommt rüber."

Später hat Deutschmann sich die gedruckten Artikel mal angeschaut. Fast immer wurden die gleichen zwei, drei Kernsätze zitiert. Von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, von Aachen bis Görlitz. Hundertfach, immerhin. Dass mit dem Abbau der 950 Stellen "die Schmerzgrenze deutlich überschritten" worden ist, war immer wieder zu lesen. Und dass "die vom Vorstand vorgestellten Pläne für den Standort Berlin unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt haben". Es hatte funktioniert.

Dass systematische Medienarbeit tatsächlich etwas bringt, wurde auch den Skeptikern im Betriebsrat schnell klar. Wenn die Schering-Beschäftigten morgens in der U-Bahn die Zeitung lasen und gleich neben dem Statement der Konzernleitung die Entgegnung des Betriebsrats sahen und vielleicht noch ein Foto des Vorsitzenden dazu, dann spürten sie: Die vom Betriebsrat kümmern sich, die tauchen nicht ab, die kämpfen für uns. Diese Botschaft trugen die Mitarbeiter wiederum in den Betrieb hinein, zu ihren Kollegen. Man könnte auch sagen: Die Presse wurde als agitatorisches Element genutzt.

MEHRTÄGIGES MEDIENGEWITTER_ Klug vermied man einen Fehler: den Bogen zu überspannen. Eine Protestdemo durch den Wedding ist eine tolle Sache. Schickt man die Belegschaft aber jede Woche auf die Straße, kommt schon bald kein Journalist mehr. Schon im April vergangenen Jahres drängten einige Aktivisten: "Wann demon-strieren wir denn endlich?" "Nur gut, dass wir uns dieses Mittel aufgespart haben", sagt der Betriebsratschef. 

Dauerhafter Protest hätte die Kampfbereitschaft der Schering-Mitarbeiter zudem über Gebühr strapaziert. Der Organisationsgrad liegt bei unter 20 Prozent, es mangelt an Kampferfahrung. In mehr als 100 Jahren hatte es bis dato keine einzige Demonstration gegeben. "Das ist hier keine Belegschaft wie bei Opel", sagt Deutschmann in Anspielung auf die Opelaner, die vor drei Jahren das komplette Bochumer Werk sechs Tage lahmlegten, nachdem der Konzern Tausende Jobs zur Disposition gestellt hatte. 

Auf einmal ging dann alles ganz schnell: Gut eine Woche nach Bekanntgabe der Entlassungspläne, nach mehrtägigem Mediengewitter gegen die "Blutsauger" (Berliner Kurier) traf der Vorstand mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung: Betriebsbedingte Kündigungen wird es nach Möglichkeit nicht geben. Zwar bleibt der Umfang des Personalabbaus bestehen, aber nun soll er vorrangig über Altersteilzeit, Abfindungen und Teilzeitangebote bewerkstelligt werden.

Norbert Deutschmann ist überzeugt, dass "wir die Zusagen vor allem durch unsere Aktivitäten erreicht haben". Die machtvolle Demonstration und vor allem die Berichterstattung darüber habe "das Management tierisch genervt", sagt er. "Mit dieser Medienresonanz hatten die einfach nicht gerechnet." Manchmal lernen auch Konzerne nur, indem man sie unter Druck setzt.


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