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Porträt Kerstin David, Provinzial Holding, stellvertretende KBR-Vorsitzende in Hamburg vor Gemälde Magazin Mitbestimmung

Betriebsräte-Preis: „Künstliche Intelligenz ohne Regeln, wäre natürliche Dummheit“

Ausgabe 06/2024

Arbeit erleichtern, Kontrolle verhindern, das hatte sich der Konzernbetriebsrat der Provinzial Holding für den Einsatz von KI zum Ziel gesetzt. Eine Vereinbarung hält nun die wichtigsten Regeln fest. Von Maren Knödl

Wer sich auf den Straßen fortbewegt, muss sich an die Verkehrsordnung halten, damit keine Unfälle passieren. Damit es beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz nicht zu „Unfällen“ kommt, halten sich Mitarbeitende der Provinzial Holding an die „KI-Verkehrsordnung“ des Konzernbetriebsrats (KBR). Für die Einführung der Regelung ist der Betriebsrat für den Deutschen Betriebsräte-Preis nominiert, der im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags im November vergeben wird.

KBR-Vorsitzende Anke Paletta ist überzeugt: „Künstliche Intelligenz ohne Regeln, wäre natürliche Dummheit. Auch in unserer Branche kommt in Sachen KI Gewaltiges auf uns zu und wir wollten mit unserer Einflussnahme nicht warten, bis Fakten gesetzt sind.“ Also entwickelte der Betriebsrat ein KI-Qualitätsmodell, das Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gleichermaßen berücksichtigen soll. Gemeinsam mit Sachverständigen und dem „Praxishandbuch Künstliche Intelligenz“ von Schröder und Höfers modifizierten die Beteiligten ein Ordnungsmodell für KI-Anwendungen im Unternehmen.

Im ersten Schritt sollte es die Anwendung von ChatGPT im Unternehmen regulieren. In einem Modelltest haben dann rund 150 Beschäftigte mit einer abgeschotteten KI experimentiert. Diese sollten das vorläufige Regulativ testen und wurden später zu ihrer Erfahrung damit befragt. „Uns hat interessiert, inwieweit sie die Anwendungen für nützlich halten, ob KI gute Arbeit unterstützt oder gefährdet und wie die Beschäftigten die Wirkung von KI auf ihre Arbeitsbedingungen, ihre Qualifikationen und Arbeitsplätze einschätzen“, sagt Paletta. Basierend auf den Erfahrungen der Belegschaft hat der Betriebsrat dann endgültige Regeln festgelegt. „Die Komplexität, die KI schafft, zwingt dazu, den Kommunikationsjob, den Betriebsräte haben, sehr ernst zu nehmen. Das geht am besten, wenn man die Betroffenen zu Beteiligten macht“, sagt die Vorsitzende.

Denn am Ende sind es die Beschäftigten, deren Arbeit die KI beeinflusst. Wie können also „Unfälle“ verhindert werden und was gilt es überhaupt zu verhindern? Die Provinzial Holding verarbeitet als Versicherung und Vertreiberin immaterieller Produkte große Datenmengen. Da KI für diese Arbeit prädestiniert ist, geht es für Kerstin David, stellvertretende KBR-Vorsitzende vor allem auch um die Frage: „Wo setzt man künftig keine KI ein?“ Beschäftigte erstellen Texte und Codes durch KI, lassen sich Formulierungshilfen geben oder führen Recherchen und Brainstormings mithilfe der Modelle. Dem Arbeitgeber gehe es dabei sicherlich um Geschwindigkeit, Effizienz und Leistungsoptionen, sagt David. „Dem KBR geht es um Arbeitserleichterung, gute Arbeit und Verhinderung von Kontrollverlust.“

Schutz vor Leistungs- und Verhaltenskontrollen 

Um diese Ziele einzuhalten hat der KBR in der Vereinbarung die wichtigsten Regeln festgehalten. An erster Stelle schreibt diese fest, dass personalrelevante Entscheidungen weiter von Menschen getroffen werden. „Unsere Regeln zum Schutz vor maschineller Leistung und Verhaltenskontrollen bleiben bestehen, obwohl KI dazu ganz neue Optionen schaffen könnte“, sagt Kerstin David.

Für die Beschäftigten wurden außerdem klare Interventionsrechte formuliert und festgelegt, dass Betriebsräte auch eine außerplanmäßige Überprüfung von KI-Systemen verlangen können. Etwa wenn diese unerwartete Ergebnisse liefern und damit Einfluss auf die Arbeitssteuerung nehmen könnten. „Selbst wenn Beschäftigte nur mittelbar von maschinellen Schlussfolgerungen mit personenbezogenen Wirkungen betroffen sind, können sie von den Verantwortlichen eine Überprüfung der Systementscheidung verlangen“, so David. Es müsse für die Beteiligten möglich sein, ohne arbeitsrechtliche Folgen auf Unregelmäßigkeiten oder Unsicherheiten in Bezug auf KI-Ergebnisse aufmerksam zu machen. Die Vereinbarung soll das bei verstärktem Einsatz von KI auch in Zukunft sichern.

Für die Beschäftigten der Provinzial Holding ist der Umgang mit Daten und der Einsatz von technischen Systemen für deren Verarbeitung anders als für andere Branchen bereits ein alter Hut. Vielleicht sehen sie auch deswegen in der KI mehr Chancen als Risiken. „Die Arbeitserleichterung durch die Systeme ist für sie erfahrbar“, sagt Anke Paletta. „Der Beschäftigungskahlschlag, der von vielen beschworen wird, nicht.“ Die KI-Vereinbarung soll Sicherheit und Vertrauen im Unternehmen auch weiter erhalten.

Mehr zum Betriebsräte-Preis 2024:

Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags am 7. November in Bonn verliehen. Aus 60 Bewerbungen wurden zwölf Projekte nominiert, darunter das Projekt des Konzernbetriebsrats der Provinzial Holding zu KI. 

Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsräte-Preis 2024

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

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