zurück
Magazin Mitbestimmung

: Klares Votum

Ausgabe 03/2007

Der Biedenkopf-Bericht misst der Mitbestimmung der Arbeitnehmer eine grundlegende Bedeutung bei. Das begrüßt die IG Metall. Allerdings gehen der Gewerkschaft die vorgeschlagenen gesetzlichen Öffnungen für Verhandlungslösungen zu weit. Ein Beitrag von Jürgen Peters.



Jürgen Peters ist Erster Vorsitzender der IG Metall; er war Mitglied der neunköpfigen Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung.


Die Mitbestimmung hat sich bewährt. Und sie ist zukunftstauglich. Dies bestätigen die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung. Sie "sehen keinen Grund, der Bundesregierung eine grundlegende Revision der deutschen Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen" - so ihr eindeutiges Votum. Bemerkenswert, wie der CDU-Politiker und ehemalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der Direktor des Max-Planck-Instituts Wolfgang Streeck und der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts Hellmut Wißmann die Unternehmensmitbestimmung einschätzen - auf der Basis neuerer wissenschaftlicher Studien.

Die Wissenschaftler fanden keinen sachlichen Anhaltspunkt für eine grundlegende Umgestaltung, von daher stützen sie das Modell der paritätisch besetzten Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Außerdem stellen sie fest: Die Mitbestimmung stellt keinen Standortnachteil in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen dar. Ein Beleg für einen "Mitbestimmungsabschlag" auf den Kapitalmärkten war nicht zu finden. Auch in historischer Sicht ergibt sich nach ihrer Meinung kein Nachweis, wonach die Mitbestimmung nach dem Gesetz von 1976 den Unternehmen wirtschaftlichen Schaden zugefügt hätte.

Weiter unterstreicht der Bericht die vorteilhaften sozialen und gesellschaftspolitischen Effekte, die durch die Mitbestimmung in Deutschland erst möglich sind: "Nach Ansicht der wissenschaftlichen Mitglieder ist sowohl die betriebliche Mitbestimmung als auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten ihrem Auftrag gerecht geworden, ein wirksames Instrumentarium zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen.

Der kooperative Ansatz der Mitbestimmung hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Motivation und das Verantwortungsbewusstsein der Arbeitnehmer, sondern durch seinen Beitrag zum Erhalt des sozialen Friedens auch bedeutende gesellschaftspolitische Auswirkungen. Unternehmen können und sollten sich die Produktivität der Kooperation im Wettbewerb nutzbar machen." (S. 19 f.)

Wir sind Teil einer europäischen Vielfalt

Darüber hinaus wird im Bericht zu Recht auf die unterschiedlich gewachsenen Formen der Mitbestimmung mit ihren verschiedenen Reichweiten in Europa hingewiesen. In diesem Zusammenhang gehört die Behauptung, dass die Mitbestimmung die deutsche Wirtschaft in Europa isoliere, nun endgültig dem Reich der Mythen an. "Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist Teil einer europäischen Vielfalt unterschiedlicher Formen der Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen von Kapitalgesellschaften.

(…) Ob und inwieweit die in Deutschland vorgeschriebene paritätische Besetzung der Aufsichtsräte großer Unternehmen im europäischen Kontext eine besonders weitgehende Form der Unternehmensmitbestimmung darstellt, steht angesichts weit reichender Mitgestaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im Boardsystem zum Beispiel in skandinavischen Ländern dahin. (…)

Auch ist bemerkenswert, dass in Ländern wie der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn in den 90er Jahren zum Teil sehr weitgehende Arbeitnehmerrechte auf Mitbestimmung im Unternehmen neu eingeführt wurden. Unter dieser Perspektive kann nicht die Rede davon sein, dass es sich bei der deutschen Unternehmensmitbestimmung um eine einzigartige Erscheinung handelt." (S. 28 f.)

Wir begrüßen diese weiter gehende Einordnung der deutschen Unternehmensmitbestimmung in den europäischen Kontext ausdrücklich. Dies insbesondere auch vor der Tatsache, dass die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen, der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften künftig eine noch wachsende Bedeutung bei der Ausgestaltung für das soziale Europa einnehmen wird.

Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission haben in ihrem Bericht nicht nur ein gutes Zeugnis ausgestellt, sondern auch Vorschläge für die Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung formuliert.

Für positiv erachten wir vor allem die folgenden Empfehlungen aus dem Bericht:
* die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine gemeinsame Versammlung von Betriebsrats- und Sprecherausschussmitgliedern und damit eine erhebliche Vereinfachung des Verfahrens

* eine spiegelbildliche Zusammensetzung entscheidungsbefugter Ausschüsse des Aufsichtsrats und damit bei Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 eine paritätische Besetzung

* eine Angleichung der Informationsrechte des Aufsichtsrats in der GmbH an die in der Aktiengesellschaft

* eine Öffnung für eine Beteiligung im Ausland beschäftigter Belegschaften an den Aufsichtsratswahlen mit der Einschränkung, dass die gewerkschaftliche Forderung, das passive Wahlrecht im Gesetz und das aktive durch Tarifvertrag zu regeln, nicht aufgenommen wurde.

Keine Verhandlungen unter derzeitigen Standards
 
Weniger positiv ist unserer Meinung nach die Empfehlung der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder in Bezug auf Verhandlungslösungen in Konzernstrukturen, das heißt die Ergänzung des zwingenden Rechts durch dispositives Recht. "Angesichts der Vielfalt der Unternehmensstrukturen erscheint es angezeigt, durch dispositives Recht die Möglichkeit unterschiedlicher Gestaltungen zu eröffnen und so zunächst auf einem begrenzten Feld die Grundlage für einen gemeinsamen ‚Entwicklungs- und Lernprozess‘ zu schaffen.

Besonderer Flexibilisierungsbedarf wird, gerade in Konzernstrukturen, hinsichtlich des anzuwendenden Mitbestimmungsstatuts und der Größe des Aufsichtsrats gesehen." (S. 20) Damit räumen die Wissenschaftler der Möglichkeit, durch Vereinbarungen der Mitbestimmungsakteure von gesetzlichen Vorgaben abweichen zu können, einen viel zu großen Spielraum ein.

Wir haben als Arbeitnehmervertreter in der Kommission und in unserer Stellungnahme zum Bericht verdeutlicht, dass wir grundsätzlich Verhandlungslösungen bei konzernabhängigen Unternehmen gegenüber offen sind. Allerdings kann es dabei lediglich um Verbesserungen der bestehenden Mitbestimmung gehen. Die Empfehlungen der Wissenschaftler beinhalten Verschlechterungen, die wir nicht akzeptieren können.

Auf unsere Ablehnung stößt beispielsweise das vorgeschlagene Verhandlungsgremium auf Arbeitnehmerseite, weil diesem die Möglichkeit eingeräumt wird, Beschlüsse mit einer Dreiviertelmehrheit fassen zu können. Dieser Vorschlag birgt zum Beispiel die Gefahr, dass die Position der leitenden Angestellten zu Lasten der Beschäftigten gestärkt würde. Ferner muss klargestellt werden, dass Verhandlungslösungen nur über Tarifverhandlungen zu erreichen sind.

Dafür sprechen insbesondere unsere Erfahrungen, die wir in Tarifverhandlungen über Mitbestimmungsvereinbarungen bei ehemals montanmitbestimmten Unternehmen seit Jahren gesammelt haben. Verhandlungslösungen, die auch das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ergänzen und verbessern können, befürworten wir, da es sinnvoll sein kann, unterschiedliche Strukturen in den Unternehmen flexibel zu berücksichtigen.

Der Bericht mit den Empfehlungen der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission liegt seit dem 20. Dezember 2006 vor. Er liefert eine Reihe von Argumenten für die sicherlich differenzierte Diskussion um die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung. Sicher ist, dass sich die IG Metall gemeinsam mit dem DGB und den anderen Einzelgewerkschaften aktiv an der gesellschaftlichen Debatte um die deutsche Mitbestimmung und die europäischen und globalen Herausforderungen beteiligen wird. Wir werden dabei die positiven Einschätzungen des Berichts betonen, aber, wo nötig, ebenfalls unsere kritischen Anmerkungen einbringen.

Außerdem werden wir weitere Vorschläge thematisieren, die wir für die Weiterentwicklung der Mitbestimmung erforderlich halten. So ist die Empfehlung der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder in Bezug auf den Inhalt zustimmungspflichtiger Geschäfte nicht ausreichend. Obwohl sie im Kommissionsbericht aufzeigen, dass der Inhalt von Katalogen zustimmungspflichtiger Geschäfte in der Praxis eine sehr große Variationsbreite hat, verzichten sie in ihren Empfehlungen darauf, durch inhaltliche Vorgaben im Gesetz Standards zu schaffen.

Überdies sind wir der Auffassung, dass bei Fragen der inneren Ordnung des Aufsichtsrates jedes Aufsichtsratsmitglied gleiche Rechte haben muss. Aus diesem Grund befürworten wir den Wegfall der Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden bei Beschlüssen zu Verfahrensfragen, bei denen Anteilseignerinteressen nicht betroffen sind.

Gleichzeitig werden sich die Gewerkschaften für eine verbesserte Anwendung der Mitbestimmung in der Praxis einsetzen. Dazu zählt eine verstärkte Debatte der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten bei Fragen um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen, aber auch bei den Strategien um eine höhere Nachhaltigkeit. Daneben werden wir die Zusammenarbeit insbesondere mit unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen in der Mitbestimmung von Unternehmen vertiefen.

Bedauerliche Blockade der Arbeitgeber

Bedauerlich bleibt, dass die Arbeit der Kommission zur Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung durch die Blockade der Arbeitgebervertreter hinter ihren Möglichkeiten und den Erwartungen vieler zurückblieb. Zu offensichtlich war die Ablehnung der Arbeitgeber, den Auftrag der Kommission anzunehmen und sich konstruktiv an der Weiterentwicklung der Mitbestimmung zu beteiligen. Mit ihrer Verhandlungsstrategie zielten sie gerade nicht darauf ab, die Mitbestimmung auf der Basis des geltenden Rechts fortzuentwickeln. So wichen sie nicht von ihrer Grundsatzforderung ab, die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf eine Drittelbeteiligung zu reduzieren.

Damit haben sich die Falken im Arbeitgeberlager durchgesetzt. Die Betriebspraktiker bei den Arbeitgebern, die die Mitbestimmung und den Beitrag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben aus der Praxis beurteilen können, fanden bei den Hardlinern kein Gehör. Durch ihre ideologische Diskussion und ihr ordnungspolitisches Vorgehen belasteten die Falken die Arbeit der Kommission - letztendlich haben sie sich damit ins Aus manövriert.

Die mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit in der Mitbestimmungskommission vereitelte zugleich die Chance, gemeinsame Empfehlungen zu erarbeiten. Konsequenz war dann, dass die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission ihre Empfehlungen in ihrem Bericht formulierten und ihn gemeinsam mit den Stellungnahmen der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter gemäß ihrem Auftrag der Bundesregierung übergaben.

Abzuwarten bleibt, ob die Bundesregierung eine Reform der Unternehmensmitbestimmung aufgreifen wird und inwieweit hierbei die Empfehlungen der Kommission und die Stellungnahmen der Verbände Berücksichtigung finden. Auf jeden Fall wird die IG Metall gemeinsam mit dem DGB auch künftig an der Weiterentwicklung und Stärkung der Unternehmensmitbestimmung mitwirken und für die gewerkschaftlichen Reformvorstellungen werben.

 

Zum Weiterlesen
Der Bericht

der wissenschaftlichen Mitglieder der "Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung" mit Stellungnahmen der Verbände ist unter www.bundesregierung.de als PDF abrufbar (auf der Startseite "Mitbestimmung" eingeben) oder als Link unter www.boeckler.de zu finden. Alle Zitate stammen daraus.

 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen