Quelle: Stephen Petrat
Magazin MitbestimmungBeteiligung: KI von der Idee an mitbestimmen
Bei vielen Betriebsräten liegt ein aktuelles, aber auch komplexes Thema auf dem Schreibtisch: die Einführung von KI-Systemen in ihren Unternehmen. Es geht um Arbeitnehmerrechte, aber auch um Menschenwürde. Von Maren Knödl
In der Öffentlichkeit hat vor allem der Chatbot ChatGPT in den vergangenen Monaten das Thema Künstliche Intelligenz (KI) wieder in aller Munde gebracht. Das Programm erzeugt selbstständig Texte und beantwortet alle erdenklichen Fragen von Nutzern auf Basis einer großen Menge von Daten, mit denen es trainiert wurde. Spätestens damit ist KI aus der Technikblase in fast alle Bereiche der Gesellschaft vorgedrungen. Und auch Unternehmen setzen vermehrt auf die effizienten Systeme. Sie können die Qualität von produzierten Gütern kontrollieren, Arbeitsprozesse steuern oder Entscheidungen vorbereiten.
Der ökonomische Vorteil für den Arbeitgeber erklärt sich von selbst: Viele Prozesse können die Systeme deutlich effizienter, teilweise sogar ohne weiteres Zutun eines Menschen bewältigen. Mit diesen Möglichkeiten für die Arbeitgeberseite ergeben sich aber auch Ängste und Risiken auf der Arbeitnehmerseite. Jonas Grasy, der beim IMU Institut in Stuttgart gemeinsam mit Bettina Seibold für die Hans-Böckler-Stiftung zum Thema KI und Mitbestimmung forscht, sagt: „Die Frage nach digitaler Teilhabe wird durch KI auf eine neue Ebene gehoben. Um Mitbestimmung zu ermöglichen, sind bei der Einführung solcher Technologien andere Informationen nötig als sonst.“ Es müsse zunächst eine genaue Definition von KI geben, um Systeme zu verstehen und voneinander abzugrenzen.
Eine eindeutige Definition für KI zu finden, fällt auch Bernd Waas, Professor für Arbeitsrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt, schwer. Ein entscheidendes Kriterium für ihn ist, dass KI-Systeme „autonom Entscheidungen treffen können“. Er hat sich in seiner Abhandlung „Künstliche Intelligenz und Arbeitsrecht“ für das Hugo Sinzheimer Institut (HSI) mit dem Schutz von Beschäftigten beim Einsatz von KI befasst. Durch den Einsatz von KI wachse das Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, so der Arbeitsrechtler. „Um dem entgegenzuwirken, braucht es den Betriebsrat“, betont Waas. „Der einzelne Beschäftigte kommt gegen die KI nur sehr schwer an.“
Damit der Schutz von Persönlichkeitsrechten in der Praxis durchgesetzt wird, ist Mitbestimmung entscheidend.“
Denn diese entwickelt sich, anders als andere Maschinen, stetig selbstständig weiter. „Trotzdem ist KI in Wirklichkeit nicht intelligent. Sie hat nur ein unglaubliches Wissen in Form von Daten, aber kein Verständnis“, sagt Waas. Eine Gefahr für Beschäftigte sieht er darin, dass diese sich irgendwann nicht mehr gegen die Maschine durchsetzen wollten oder könnten. Der Mensch neige häufig dazu, mehr in die Fähigkeit der KI zu vertrauen, die eine Entscheidung auf der Basis umfangreicher Daten trifft, als sich auf die eigene Einschätzung zu verlassen. Dieses Problem sieht auch Jonas Grasy. „Hinzu kommt, dass durch sich verdichtende Arbeitsprozesse oft die Zeit fehlt, die Entscheidungsvorschläge einer KI genau zu hinterfragen“, sagt der IMU-Experte.
Doch genau das sei besonders wichtig, um den Einsatz der Systeme vernünftig mitzubestimmen. „In einer Betriebsvereinbarung zum Thema KI muss es vor allem um die Ermächtigung von Beschäftigten im Umgang mit der Technologie gehen“, sagt Grasy. „Sie müssen nicht nur verstehen können, wozu die Systeme imstande sind, sondern auch deren Fehlerpotenzial kennen.“ Dazu müssten die Beschäftigten ausreichend geschult werden.
Arbeitnehmende haben Interessen und Bedenken, die sie klar definieren können.“
Denn Fehler macht auch die Künstliche Intelligenz. Modelle können zum Beispiel Situationen durch fehlende Daten falsch einschätzen oder vorhandene Vorurteile weiter verstärken. Ein Beispiel: Ein System, das etwa bei Personalentscheidungen helfen soll, zieht seine Erkenntnisse aus historischen Daten eines Beschäftigten und rät seiner Führungskraft, ihn von diesem Projekt abzuziehen. Warum er aber in der Vergangenheit seine Arbeit vielleicht nicht so gut erledigt hat oder bereit ist, sie zukünftig anders zu machen, wird von einem solchen Modell nicht einberechnet.
„Angesichts solcher Defizite dürfen Maschinen keine Entscheidungen über Menschen treffen“, sagt Waas. Dabei gehe es letztendlich um den Schutz der Menschenwürde. Arbeitgeber müssen beispielsweise auch familiäre Umstände berücksichtigen.
Anne Mollen arbeitet als Wissenschaftlerin an der Uni Münster am Institut für Kommunikationswissenschaft, und forscht für die Nichtregierungsorganisation Algorithm Watch im Bereich des „Algorithmic Decision-Making“ (ADM), also der automatischen Entscheidungsfindung durch algorithmische Systeme. Auch sie sieht beim Einsatz solcher Systeme die Gefahr, dass klassische Mitbestimmungsstrukturen ausgehebelt würden. Entscheidungen, die sich auf die Beschäftigten auswirken, seien oft nicht mehr nachvollziehbar, und ihre Interessen können so auch nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden.
Die Frage nach digitaler Teilhabe wird durch KI auf eine neue Ebene gehoben.“
Das Argument, dass nur jemand mit ausreichend technischem Verständnis mitreden könne, lässt sie nicht gelten. „Arbeitnehmende haben Interessen und Bedenken, die sie klar definieren können“, sagt Mollen. Zum Beispiel beim Umgang mit ihren Daten. „Die Mitbestimmungsakteure müssen zwischen diesen beiden Ebenen vermitteln und diese Interessen in den Entwicklungsprozess einbringen.“ Dazu müssen sich ihrer Meinung nach auch Mitbestimmungsprozesse verändern. Beschäftigte sollten am gesamten Entwicklungs-, Einführungs- und Anwendungsprozess algorithmischer Systeme beteiligt werden.
Wie das aussehen könnte, zeigt ein Beispiel aus der Praxis. Ein Porträt des IMU untersuchte den Einsatz von speziellen Steckbriefen, sogenannten AI-Cards, beim Umgang mit KI bei Siemens. Diese Karten stellen alle relevanten Funktionen und Verwendungsformen einer bestimmten KI-Anwendung im Unternehmen übersichtlich dar. Jonas Grasy hat sich dieses Vorgehen angeschaut. „Eine genaue Betrachtung einzelner Anwendungsfälle ist im Umgang mit KI besonders wichtig“, sagt er. Allgemeine Formulierungen wie etwa in der Datenschutzgrundverordnung oder in den „Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI “ der Europäischen Kommission reichten nicht aus.
Der einzelne Beschäftigte kommt gegen die KI nur sehr schwer an.“
Auch Waas sieht bei der Gesetzgebung noch Ausbaubedarf. „Im internationalen Vergleich können sich die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte beim Umgang mit KI in Deutschland zwar durchaus sehen lassen“, sagt er. Zu bedenken sei aber, dass es insbesondere in kleineren und mittleren Betrieben häufig gar keinen Betriebsrat gebe. Die zunehmende Ausbreitung von KI in den Betrieben sei ein gutes Argument, die Gründung eines Betriebsrats voranzutreiben. Eine Mitwirkung der Beschäftigten hält Waas aber auch aus Arbeitgebersicht für angezeigt. Auch für sie sei es häufig unmöglich, die Wirkungsweise der Algorithmen nachzuvollziehen, und die KI sei als „soziotechnisches System“ auf ein Feedback der Beschäftigten geradezu angewiesen.
HSI-Direktorin Johanna Wenckebach hat an einem Gesetzentwurf für ein zeitgemäßes Betriebsverfassungsgesetz mitgearbeitet. Der Reformvorschlag sieht unter anderem mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten beim betrieblichen Datenschutz vor. „Damit der Schutz von Persönlichkeitsrechten in der Praxis durchgesetzt wird, ist Mitbestimmung entscheidend“, sagt Wenckebach. „Wichtig ist auch, mehr Instrumente für Betriebsräte zu schaffen, um gegen Diskriminierungen vorzugehen.“
Reinhard Bahnmüller/ Yalçın Kutlu/Walter Mugler/Rainer Salm/Bettina Seibold/Eva Kirner/Sandra Klatt: Mitsprache bei der Digitalisierung? Beteiligung von Betriebsrat und Beschäftigten in digitalisierungsaktiven Betrieben. Study der Hans-Böckler-Stiftung, Nr.479. Düsseldorf, Februar 2023
7 Fragen, die Betriebsräte stellen sollten
1. Handelt es sich bei dem einzuführenden System um KI?
2. Wozu und mit welchem Ziel wird das System eingesetzt?
3. Welchen Mehrwert bringt das System für das Unternehmen und die Beschäftigten?
4. Welche personenbezogenen Beschäftigtendaten werden in dem System verwendet?
5. Ist für die Beschäftigten der Entscheidungsprozess der KI nachvollziehbar?
6. Welche Veränderungen ergeben sich für Beschäftigte durch den Einsatz des Systems?
7. Wie sollen Beschäftigte geschult werden, um mit dem System umgehen zu können?
Damit Betriebsräte bei KI mitbestimmen und Beschäftigte schützen können, müssen sie ein grundlegendes Verständnis für die Technologie haben. Johanna Renker, Leiterin des Zukunftszentrum KI NRW, sagt: „Das schwierige ist, bei einer gewissen Intransparenz der Systeme gute Mitbestimmung zu machen.” Durch eine Änderung im Betriebsverfassungsgesetz können Betriebsräte seit Juni 2021 externe Sachverständige miteinbeziehen, die dabei helfen komplexe Systeme zu beurteilen.