zurück
Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion (l.) und  Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V. (r.) Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Ist Atomenergie ein totes Pferd?

Ausgabe 05/2023

„Ja“, Atomkraft hat keine Zukunft, findet Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für nukleare Sicherheit. „Nein“, Atomkraft ist kein totes Pferd, sagt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

JA.

Atomenergie hat keine Zukunft. Neben den erheblichen Risiken gibt es dafür mindestens drei gute Gründe: Erstens sind Atomkraftwerke viel zu teuer. Ein Atomkraftwerk zu errichten, dauert rund 15 Jahre und kostet 15 bis 20 Milliarden Euro. Entsprechend hoch sind auch die Kosten der Stromerzeugung. In der EU liegen sie für Atomstrom zwischen 14 und 19 Cent pro Kilowattstunde, für Strom aus Windkraft und großen Photovoltaikanlagen nur zwischen 2 und 8 Cent.

Seit 2018 geht deshalb die Zahl der Atomkraftwerke weltweit zurück. Gerade mal vier Gigawatt Atomkraft wurden letztes Jahr weltweit zugebaut. Ganz anders sieht es bei den erneuerbaren Energien aus. Hier wurden 295 Gigawatt zugebaut. Das entspricht der Leistung von knapp 300 Atomkraftwerken. Das zeigt, wo die Musik spielt.

Zweitens ist Atomkraft keine sinnvolle Ergänzung der erneuerbaren Energien. Notwendig sind flexible Kraftwerke, die kurzfristig einspringen können, wenn mal nicht die Sonne scheint oder der Wind weht. Atomkraftwerke können aber nicht flexibel ihre Leistung anpassen.

Drittens ist die Endlagerfrage völlig ungelöst. Im Standortauswahlgesetz ist ein Endlager im Jahr 2031 vorgesehen, realistisch sind inzwischen die 2040er Jahre. Gleichzeitig verschlingen die Zwischen- und Endlagerung rund die Hälfte der Haushaltsmittel des Bundesumweltministeriums. Im Ergebnis hinterlassen wir 30 000 Generationen hochgefährlichen Müll, von dem sie keinerlei Nutzen haben.

MATTHIAS MIERSCH ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für nukleare Sicherheit.


NEIN.

Atomkraft ist kein totes Pferd. Die deutsche Energiepolitik steckt in einer Sackgasse. Die Strompreise steigen immer weiter, die Versorgungssicherheit sinkt immer mehr, die Energiewende droht zu scheitern. Dabei gibt es Wege aus der Misere, beispielsweise mit der Kernenergie. Sie ist eine klimafreundliche, sichere und kostengünstige Energiequelle, die
weltweit einen Aufschwung erlebt, denn sie erzeugt abrufbar Energie ohne CO2-Emissionen.

Deutschland hält nur wegen irrationaler Ängste und purer Ideologie am Atomausstieg fest. Die SPD stand bis Tschernobyl 1986 fest hinter der Atomkraft, die CDU bis Fukushima 2011. Es bleibt dabei: die deutschen Kernkraftwerke gelten weltweit als die sichersten. Es braucht also keine Panik, sondern eine nüchterne Betrachtung der Fakten: Bis auf weiteres gibt es in Deutschland ohne Kernkraft keine zuverlässige Stromversorgung ohne leistungsbedingte CO2-Emissionen.

Der Atomausstieg ist ein Fehler, der unser Land deindustrialisiert. Er bremst den Klimaschutz, weil er den Einsatz von Kohlestrom erforderlich macht. Er vernichtet Industriearbeitsplätze und damit Chancen auf Wohlstand für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir brauchen einen Ausstieg aus dem Atomausstieg und den Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke als dritte Klimaschutzsäule neben Sonne und Wind.

Die Kernenergie ist kein totes Pferd, sondern ein lebendiges Pferd, das uns aus der Energiekrise reiten kann. Wir müssen nur den Mut haben, aufzusatteln und loszureiten.

WOLFGANG STEIGER ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.


Und Ihre Meinung? Was halten Sie davon? Schreiben Sie an redaktion[at]boeckler.de

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen