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Magazin Mitbestimmung

Automobilkrise: In der Dumpingspirale

Ausgabe 01+02/2013

Ford, PSA und Opel schließen in Europa Werke und ringen den Beschäftigten im krisengebeutelten Südeuropa Zugeständnisse ab. Die Gewerkschaft industriALL Europe befürchtet eine Dumpingspirale bei den Lohn- und Arbeitsbedingungen. Von Mario Müller

Seit Neuestem wird auch in Paris wild über Opel und die Zukunft des traditionsreichen deutschen Autobauers spekuliert. Die französische Regierung dränge den nationalen Hersteller Peugeot-Citroën (PSA), den Konkurrenten Opel zu übernehmen, um dem erfolgreichen VW-Konzern Paroli zu bieten, meldete „Le Monde“ Anfang Januar. Abwegig sind derartige Gedankenspiele nicht, schließlich haben PSA und Opel vor einigen Monaten eine enge Zusammenarbeit bei Modellentwicklung und Einkauf vereinbart. Die Idee einer Fusion erscheint verwegen, fehlt es doch beiden europäischen Herstellern derzeit an Zugkraft. Wie sollen sie gemeinsam in die Spur zurückfinden?

KRISENDATEN

Die schwere Krise, die große Teile der europäischen Autoindustrie mit ihren rund zwölf Millionen Beschäftigten erfasst hat, lässt einen tief greifenden Umbruch in der Branche befürchten. Die Schließung mehrerer Werke ist bereits besiegelt, weitere Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Nationale Alleingänge zur Rettung der heimischen Hersteller werden wahrscheinlicher, gleichzeitig wächst der Druck auf die Belegschaften, weitere Zugeständnisse zu machen. Ihnen droht, warnt Wolf Jäcklein vom neuen europäischen Gewerkschaftsverband industriALL Europe, ein „race to the bottom“, ein Wettlauf, der zu immer mieseren Arbeitsbedingungen führt.

Derweil setzt sich die Talfahrt auf dem europäischen Fahrzeugmarkt fort, wie die jüngsten Statistiken zeigen: In Italien brach 2012 der Absatz von Personenwagen um ein Fünftel ein, verglichen mit dem Vorjahr. In Frankreich schrumpften die Verkaufszahlen um 14, in Spanien um 13 Prozent. In den EU-15-Mitgliedstaaten kamen im vergangenen Jahr rund acht Prozent weniger Pkw erstmals in den Verkehr als 2011. Damit ist die Zahl der Neuzulassungen mit 11,7 Millionen auf den niedrigsten Stand seit 1993 gefallen, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank. Auch in Deutschland wurde ein – wenn auch geringer – Nachfragerückgang um knapp drei Prozent registriert.

Die Folgen dieser Absatzkrise sind inzwischen auch in den Werkshallen zu spüren. Nach zwei Jahren Wachstum schrumpfte 2012 die europäische Fahrzeugproduktion um sieben Prozent und lag damit um rund 15 Prozent unter dem Vorkrisen-Niveau des Jahres 2007.

WERKE NICHT AUSGELASTET

Der massive Einbruch kann nicht verwundern. Weite Teile Europas leiden unter einer schweren Rezession, die durch die Sparpolitik weiter verschärft wird. Nicht nur in Griechenland, auch in Italien und Spanien ist die Wirtschaft geschrumpft, die Arbeitslosigkeit dramatisch gestiegen und wird die Bevölkerung von sinkenden Einkommen und einer schwindenden Kaufkraft gebeutelt. Der Norden des Kontinents zeigt sich zwar in einer ökonomisch besseren Verfassung, aber auch dort läuft der Konjunkturmotor keineswegs rund und sitzt das Geld für den Kauf neuer Autos alles andere als locker.

„Unter Plan: Europas Automobilindustrie kämpft mit geringer Auslastung“, heißt es denn auch in einer Analyse der Beratungsgesellschaft PwC vom November. Ihr zufolge sind „insgesamt 15 europäische Werke mit Produktionskapazitäten über 100 000 Einheiten pro Jahr momentan und wohl auch auf mittlere Sicht“ nur zur Hälfte oder teilweise sogar noch geringer ausgelastet. Als untere Grenze für die Profitabilität eines Automobilwerks gelte aber „gemeinhin eine Auslastung um 75 Prozent als Benchmark“, schreibt PwC. Und meint, dass die deutschen Werke mit einer Auslastung von durchschnittlich 85 Prozent noch „gut dastehen“.

Massiv zu schaffen macht die Automobil-Absatzkrise den sogenannten Volumenherstellern, die den Massenmarkt bedienen. Demgegenüber sind teurere Modelle aus dem „Premiumsegment“, wie sie etwa BMW, Daimler oder Audi anbieten, vor allem auch außerhalb Europas nach wie vor gefragt. Diese Zweiklassengesellschaft der Autobranche spiegelt sich in den angekündigten Kahlschlagaktionen der Volumenhersteller wider: Peugeot-Citroën, das nach Angaben seines Konzernchefs Philippe Varin jeden Monat einen Verlust von rund 200 Millionen Euro einfährt, will 8000 Stellen streichen und ein Werk bei Paris schließen. Ford gab Ende Oktober das Ende für die Produktionsanlagen im belgischen Genk mit rund 4600 Beschäftigten bekannt. Am Opel-Standort Bochum sollen, wie die Belegschaft kurz vor Weihnachten erfahren musste, 2016 die letzten Fahrzeuge aus den Hallen rollen. Der Betrieb wird den Aussagen der Geschäftsführung zufolge zwar nicht völlig dichtgemacht. Von den zuletzt noch rund 3000 Arbeitsplätzen dürften aber nur noch wenige übrig bleiben.

Im belgischen Genk ist die Wut besonders groß. Denn mit der geplanten Schließung des Werks bricht Ford Europe eine Vereinbarung, die den Standort bis 2020 sichern sollte. Anfang November machten rund 200 Arbeiter aus Genk ihrem Ärger Luft, indem sie in die Kölner Europazentrale des Konzerns eindrangen und Reifen verbrannten. Dieter Hinkelmann, Vorsitzender des Eurobetriebsrats von Ford, versicherte die Kollegen der Solidarität der Gesamtbelegschaft: „Der Schock sitzt auch hier tief.“ Auch in Köln stelle man sich „besorgt die Frage, ob man sich auf Aussagen und Unterschriften dieses Managements verlassen kann“.
 
Der Zorn mancher der Belgier richtet sich allerdings nicht nur gegen das Management. Auch die deutschen Kollegen bekommen ihr Fett weg. „Wegen der Macht der IG Metall“ schlössen GM und Ford ihre Werke in Belgien und nicht in Deutschland, hatte Rohnny Champagne von der belgischen Gewerkschaft ABVV Metaal Ende Oktober gewettert. „Die Deutschen reden immer von europäischer Solidarität, aber in Wahrheit haben sie doch nur ihre nationalen Interessen im Blick: in der Politik und in der IG Metall“, sagte er gegenüber der FTD, wobei Champagne bei seiner Attacke das Schicksal des Bochumer Opel-Werks schlicht ausblendete.

Mit seiner Meinung, in der Krise würden zunehmend nationale Interessen verfolgt, liegt Champagne keineswegs falsch. Ein einheitliches Europa „existiert in der Autoproduktion nicht“, bedauert auch Branchenexperte Wolf Jäcklein vom Gewerkschaftsverband industriALL in Brüssel. Stattdessen betreibe jedes Mitgliedsland eine „nationalistische Politik“, um die heimische Beschäftigung zu sichern. Das Prinzip „Equal share of pain“ (geteiltes Leid), das etwa der GM-Eurobetriebsrat als Maxime seiner Politik lange Jahre verfolgte, scheint zu zerbröseln. Was auch die Opelaner in Deutschland zu spüren bekommen: So wird das Modell Astra künftig nur noch in England und Polen und nicht mehr in Rüsselsheim produziert, nachdem die britische Gewerkschaft Unite finanziellen Zugeständnissen vonseiten der Belegschaft zugestimmt hatte. Dass es im Zuge dieser Standortentscheidung „keine Rücksprache“ der britischen und polnischen Gewerkschaft mit der IG Metall gegeben habe, hatte IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber bei einer Tagung im Sommer mit einiger Bitterkeit festgestellt.

Den Vorwurf, dass die Deutschen ebenfalls ihr eigenes Süppchen kochen, weist Martin Bartmann, Referent des Eurobetriebsrats von Opel/Vauxhall, zurück. Hierzulande werde „nichts verhandelt, was nicht mit den Kollegen an anderen Standorten abgestimmt ist“. Und Konzessionen würden nur dann gemacht, „wenn das Management eine überzeugendes Geschäftsmodell und Wachstumskonzept für Europa vorlegt“.

RACE TO THE BOTTOM

Nachdem man in Deutschland schon längst die Schattenseiten jener „Bündnisse für Arbeit“ erfahren hat, haben sie jetzt in Südeuropa Konjunktur. Die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien nutzte Renault, um den Beschäftigten seines Werks in Valencia weitere Konzessionen abzutrotzen mit dem Versprechen, dort im Niedriglohngebiet zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Und die Renault-Geschäftsführung hat bereits angekündigt, die Lohn- und Produktionskosten in Frankreich jenen in Spanien angleichen zu wollen. Auch Ford will einige jener Modelle, die bislang im Werk Genk hergestellt wurden, künftig in Spanien bauen. Sollte das Beispiel Schule machen, könnte dies, wie Jäcklein befürchtet, tatsächlich europaweit eine Abwärtsspirale bei den Beschäftigungsbedingungen in Gang setzen.

Was tun? Gewerkschafter Jäcklein sieht die EU-Politik in der Pflicht, den Unterbietungswettbewerb zu unterbinden. Um Marktverzerrungen zu verhindern, müssten einheitliche soziale Mindeststandards eingeführt werden, beispielsweise für die Kurzarbeit. Hoffnungen setzt industriALL dabei in die EU-Initiative Cars 2020. Dieser Aktionsplan soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Autoindustrie stärken und will auch soziale Aspekte stärker berücksichtigen. Allein mit Kostensenkungen sei die Absatzkrise nicht zu bewältigen, meint der Gewerkschaftsverband. Vielmehr komme es jetzt darauf an, die Massenkaufkraft zu stärken. Unternehmen wie Opel/Vauxhall, Ford, PSA oder Fiat seien gegenwärtig nicht in der Lage, den Rückgang der europäischen Binnennachfrage durch zusätzliche Exporte auszugleichen.

INDUSTRIALL setzt auch auf eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen den „industriellen Akteuren“, und zwar „bevor die Interessen durch den Wettbewerb auf den Märkten dominiert werden“. Entsprechende Möglichkeiten wurden auf einer Automotive-Conference von industriALL am 23./24. Januar in Brüssel ausgelotet. Denn der weltweite Konkurrenzkampf in der Autobranche wird auch in Zukunft nicht an Intensität einbüßen. Immerhin: Für Europa sehen die Marktbeobachter der Deutschen Bank „Licht am Ende des Tunnels“: 2014 könnte der Neuwagen-Absatz um fünf Prozent steigen. 

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